Bob Dylan live in Berlin: Diese Stimme klingt nach Schicksal
Eine Reinheit liegt in Bob Dylans Bewegungen auf der Bühne, etwas Filigranes, wenn er sich zufrieden den Wuschel über der Stirn zurechtzupft.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass er alle verhöhnt. Doch wenn sich dann aus dem Watchtower-Rauschgeklimper seine Stimme wie ein Elixier herauszulösen beginnt, dann hat man einen samtroten Schmetterling im Bauch herumschweben.
„Some people say that I am a poet“, hat er 1965 geschrieben. Jetzt und hier, 2024, atmet Bob Dylan denselben schlaksigen Trotz. Da ist er, der wildsanfte Expressionismus seiner Kehle, der buntgläsern zersplittert. Das Auf und Ab des heiseren Schmirgels in der wärmenden Konstante seines vertrauten Krähens. Das Leben in seinen Refrains, die mürbe Magie seiner Skepsis, der Ruf einer verborgenen Menschheit. Mit Key West kommt das Leuchten in den Saal. In dieser Musik ist kein Gift versteckt. Eher beruhigendes Chaos. Intelligenz und Spiel. Amerikanisch in der Überwältigung und Maschinerie, unamerikanisch in den Geheimnissen und Irrgärten.
Eine Reinheit liegt in seinen Bewegungen auf der Bühne, etwas Filigranes, wenn er sich zufrieden den Wuschel über der Stirn zurechtzupft. Bob Dylans Stimme klingt nach Schicksal. Schicksal, sagte er einmal, ist eine bestimmte Empfindung, die man von sich selbst hat, etwas von sich zu ahnen und zu wissen, was keiner sonst um einen herum vermag.
Er singt nicht, er erzählt und kein Selbstgespräch wäre schöner
Die Freiheit einer zerbrechlich fiebrigen Arroganz umgibt ihn, wenn er da einfach nur sitzt und sich selbst genießt – manchmal abgewandt, sein Anzug glitzert. Geschichtslos in all seiner politischen Wucht und während des US-Wahlkampfs mitten in Europa, offenbart er die Willkür der Dinge mit jener Nuance von Verachtung, die ihn so unergründlich macht.
Er singt nicht, er erzählt und kein Selbstgespräch wäre schöner. Seine Mundharmonika kettensägt sich durch die Reihen. Mit viel rauem Schmelz in der Brust gebietet er, die ganze Konzerthalle pulsiert wie aus dem Innersten eines pochenden, neonblauen Herzens. Gitarrist Stu Kimball teilt sich auf in drei Zauberer von Oz, mit golddunklen, romantischen Riffs, die sie sich bei „Every Grain of Sand“ gegenseitig zuwerfen und die einem über die Rippen gleiten, wenn man die Augen schließt. Öffnet man sie wieder, steht er da – Bob Dylan.