Zum Geburtstag von Bob Dylan: Der Freidenker
Kleine Hommage zum Ehrentag des bedeutendsten Songschreibers aller Zeiten.
Schreib‘ etwas zum Geburtstag von Bob Dylan.
Man kann auch die Bibel in 4000 Zeichen nacherzählen.
Junger Bursche aus Duluth in Minnesota spielte Gitarre, ging nach New York, besuchte Woody Guthrie, trat in Cafés auf, schrieb Songs, die man für Protestlieder hielt, schloss bei einem Folk-Festival eine elektrische Gitarre an (das Publikum protestierte), nahm binnen eineinhalb Jahren drei Meisterwerke auf, die das Musikmachen für immer veränderten, und hatte einen Motorradunfall. Das waren die ersten 26 Jahre.
Seitdem ist Bob Dylan eine Legende.
Mit jeder neuen Platte kam er zurück, war wieder da, machte mäßige Platten und gute und fantastische und schludrige, begann seine „Never Ending Tour“, die bisher nicht endete, trat vor dem Papst auf, gestaltete Radiosendungen, schweißte eiserne Gartentore, brachte einen Whisky auf den Markt, den er „Heaven‘s Door“ nannte, schrieb oder schrieb nicht eine Autobiografie, die er „Chronicles 1“ nannte, woraufhin kein zweiter Teil folgte, bekam einen Oscar und wünschte per Satellitenübertragung „love and tranquility“ aus Australien, bekam schließlich den Nobelpreis für Literatur und ging nicht zur Verleihung in Stockholm.
Bob Dylan ist ein Schelm und Schlemihl, ein Revolutionär und Revisionist, ein Autodidakt und Privatgelehrter, ein Historiograf und Sammler. Vor Dylan handelte der Rock’n’Roll von Liebe, Sex, Drogen und Autos. Seit Dylan handelt er zum Beispiel von einem Leopardenfellpillboxhut und Parkuhren und vor allem von dem Ich, das die Geschichten erzählt. Dylan erfand den Songschreiber als Autor seiner selbst. Aber je mehr er von sich erzählte, desto ferner rückte er uns. Er suchte die Mythen, in denen er verschwinden konnte. Eine Weile, zu Beginn der 90er-Jahre, sang er alte Folk-Weisen. Vor ein paar Jahren nahm er eine Weile nur noch Songs aus den 50er- und 60er-Jahren auf, vor allem solche, die Frank Sinatra gesungen hat.
„Dylan machte nichts zum ersten Mal, aber er machte das meiste zum ersten Mal auf bestimmte, nämlich seine Weise“
Das drolligste Klischee über Dylan ist, dass er nicht singen könne – was insofern merkwürdig ist, als sein Ton („nölig“) von so vielen Berufenen und Unberufenen scherzhaft imitiert wurde, darunter von Joni Mitchell und John Lennon. Woody Guthrie sagte nach einer Anekdote: „Er kann keine Songs schreiben, aber er kann gut singen.“
Dylan verquickte den Talking Blues mit dem Bewusstseinsstrom, die Oral History mit der Literatur, dazu den Schlager „La Bamba“, und das war dann „Like A Rolling Stone“. Kein Hexenwerk. Dylan machte nichts zum ersten Mal, aber er machte das meiste zum ersten Mal auf bestimmte, nämlich seine Weise. Immer mal wieder entdecken Philologen, dass Dylan „abgeschrieben“ habe. Dabei ist sein Werk vollkommen unverhohlen ein gewaltiger Zitatenschatz, ein Labyrinth von Verweisen und Anverwandlungen, ein Register von Andeutungen und Fußnoten.
„Time Out Of Mind“: Wer Dylan bisher nicht für ein Orakel gehalten hatte, wurde nun gläubig
Auf seinem Album „Rough And Rowdy Ways“ von 2020 ist das Stück „Murder Most Foul“, das eine eigene Plattenseite darstellt, 17 Minuten lang, eine sentimentale Reise durch Namen, Orte und Songtitel seit Kennedy, seit 1963, dem Jahr, in dem „The Freewheelin‘ Bob Dylan“ erschien, die eigentliche Geburt Dylans als Songschreiber. „Blowin‘ In The Wind“ ist darauf, „Masters Of War“, „Bob Dylan‘s Blues“, „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“, „Girl From The North Country“, „Talking World War III Blues“. Drei Jahre brauchte er dann bis zu seiner allergrößten Platte, dem Doppelalbum „Blonde On Blonde“, dem „thin wild mercury sound“. Alle machten dann Doppelalben, aber bei Dylan weiß man, weshalb das Album doppelt ist.
Die Nachricht von seinem Tod nach einer Herzbeutelerkrankung im Jahr 1996 war, mit Mark Twain zu sprechen, stark übertrieben. Im Jahr darauf wurde „Time Out Of Mind“ veröffentlicht, und wer Dylan bisher nicht für ein Orakel gehalten hatte, wurde nun gläubig.
Die Wanderung „Highlands“, ein 16-minütiges Divertimento um ein sich ständig wiederholendes Gitarren- und Orgelmotiv, eröffnete ein Spätwunderwerk, das mit „Rough And Rowdy Ways“ vielleicht abgeschlossen ist oder vielleicht nicht. In „Highlands“ singt Dylan („knarzig“): „I got new eyes, everything looks far away/ Well my heart’s in the highlands at the break of day/ Over the hills and far away/ There’s a way to get there, and I’ll figure it out somehow/ Well I’m already there in my mind, and that’s good enough for now.“
Im Geist war er schon immer da. Dass Bob Dylan älter wird – was kümmert es den, der neue Augen hat.