Blur: Dokument steten Wandels
Mit einem schillernden Best-Of-Album lassen Blur elf Jahre Band-Historie Revue passieren.
Es kommt nicht mehr allzu oft vor, dass sich die vier von Blur zu einem Interviewtermin zusammenfinden. Das Album „Best Of Blur“, das die letzten elf Jahre der 1989 gegründeten Band anhand von 17 bereits bekannten Hits und der gänzlich neuen, an die frühen Happy Mondays erinnernden Single „Music Is My Radar“ Revue passieren lässt, ist jedoch ein guter Grund. Das sieht sogar Gitarrist Graham Coxon ein, der jüngst erst mit seinem ungewohnt punkigen, zweiten Solo-Album „The Golden D“ überraschte und dem Interviews ansonsten eher ein Greuel sind.
Zunächst ergreift Bassist Alex James das Wort: „Ich denke, dass der Zeitpunkt für ein Best-Of-Album genau der richtige ist. Vor genau zehn Jahren haben wir unsere Debüt-Single ,She’s So High‘ veröffentlicht, so dass es nun einfach natürlich ist, zurückzublicken. Überdies sind Damon und Graham Väter geworden und brauchen eine kleine Pause. Auch dazu gibt uns diese Veröffentlichung die Gelegenheit.“ Dennoch wird derzeit schon an neuem Material gearbeitet, und wer die erstaunliche Entwicklung Blurs auf ihren sechs vorangegangenen Alben verfolgt hat, weiß: Auch der nächste Longplayer wird wieder eine ganz andere Seite von Blur zeigen, an die vielleicht momentan noch niemand denkt. Kann dann auch wieder mit einer ordentlichen Tour gerechnet werden?
Frontmann Damon Albarn weiß um dies Reizthema nur zu genau: „Eigentlich lieben wir es, live zu spielen, doch wir sind einfach nicht konsequent genug, um eine Tour zivilisiert durchzuziehen. Und unglücklicherweise endet das Ganze dann immer in Sex, Drugs and Rock’n’Roll.“ Und Graham Coxon ergänzt: „Bei den Shows zu ,13′ haben wir die Leute etwas vor den Kopf gestoßen, da wir fast ausschließlich neues Material spielten, einfach, weil wir mit dem so glücklich waren.“
Damon ist derweil in Fahrt gekommen und hat nun sogar Lust, ein paar Worte über den Schnee von gestern zu verlieren: Blur vs. Oasis. „Noel Gallagher sagt ab und zu immer noch ätzende Sachen über uns. Er hat ja auch mal gesagt, dass er sich niemals eine Blur-Platte kaufen würde. Aber die Best-Of wird er sich nun definitiv zulegen müssen!“
Während Oasis nicht gerade für musikalische Stilkorrekturen bekannt sind, ist die Wandlungsfähigkeit bei Blur – gerade wenn man die drei letzten Alben „The Great Escape“ (1995), „Blur“ (1997) und „13“ (1999) vergleicht unüberhörbar. Herrlich zu vernehmen, wie sich die Einflüsse des Quartetts von den Kinks hin zu Sonic Youth oder Pavement und schließlich zu Can hin veränderten. Schlagzeuger Dave Rowntree hat dafür sofort eine Erklärung parat: „Wir sind eben sehr schnell gelangweilt und könnten daher gar nicht zweimal dasselbe machen.“
Auch der Fakt, dass sich die musikalischen Vorlieben der vier Musiker mittlerweile doch sehr voneinander unterscheiden, trägt dazu bei, dass mannigfaltige Ingredienzen den „Sound of Blur“ bereichern: Während Graham leidenschaftlicher Gitarrenrock-Fan ist, interessiert sich Alex für Pop, Damon für Black Music und Dave für Computer. Und während Graham alle sechs Blur-Alben „großartig“ findet, hat Damon immerhin am Debüt „Leisure“, mit dessen Produktion er im Nachhinein nicht wirklich zufrieden war, etwas auszusetzen. Alex James bringt es auf den Punkt: „Alle Alben hatten ihre Stärken, doch meine Lieblingsplatte ist immer noch ,Parklife‘, weil ich denke, dass sie die Stimmung im ganzen Lande verändert hat. Komischerweise hat dann erst ,The Great Escape‘ den ganz großen Durchbruch gebracht, während ,Blur‘ bis heute unser bestverkauftes Album ist, obwohl damals alle sagten: Diese Scheibe ist kommerzieller Selbstmord!“ Scott Walker- und Julian Cope-Verehrer Damon fügt hinzu, dass ihm besonders das letzte, von William Orbit produzierte Album „13“ weiterhin sehr am Herzen liegt und stellt eine gewagte These auf: „Wir hätten mit ,13′ sogar noch viel weiter gehen können, als wir es je getan haben. Die Single-Auskopplungen aus diesem Album waren ja sogar sehr zugänglich. Der Rest war schon ziemlich vom Krautrock beemflusst. Ich hoffe, Can sind stolz auf uns, wenn sie ,13′ hören.“
Und was bringt die Zukunft? Garage? Electronic? Raggamuffin? You never know.