Blumfeld – Hamburg, Markthalle
Ladies and gentlemen, the boygroup of the year: Die Rhythmusmaschine schnalzt verführerisch wie ein Champagnerkorken, erhebend schwillt eine Morgentau-Melodie vom Synthesizer an, und in einen Lichtkegel hinein betritt Jochen Distelmeyer die Bühne, bekleidet mit dem obligatorischen Pullunder unter einem schwarzen Anzug, um die Schultern einen Pullover geknotet. Innig, versunken, ja geradezu autistisch und ohne einen Blick ins Publikum intoniert er „1000 Tränen tief, seine Ode an die Liebe und Liebeslieder, mit der alles ganz klar wurde. Linkisch, mit angewinkelten Armen wippt er zum Playback, wirkt er so nackt, daß es einen fröstelt, lotet sein gehauchter Gesang die Tiefe des ganz banalen Gefühls aus, vollzieht sich die wundersame Metamorphose des Denkers und Dichters Distelmeyer zum Roland Kaiser der Gegenkultur.
Dieser Auftakt ist kein Witz. Ihm ist es ernst mit dem schönen Kitsch. Trotz aller Gefühligkeit ist bei Distelmeyer dennoch alles Wille und Vorstellung. Wie auf „Old Nobody“ legt er mit „Mein System kennt keine Grenzen“ rhetorisch nach und den Pullover ab, stürzt sich mit Gebrüll in den Gitarren-Mahlstrom „Eine eigene Geschichte“ von „L’Etat Et Moi“, scherzt sinnig, er sei kürzlich mit dem Sänger von Liquido verwechselt worden, „und weil gerade wieder in der ‚Woche‘ stand, die Linke sei tot“, bringt er als Retourkutsche „Status: Quo Vadis“ wie einen Protestsong. Bei „The Lord Of Song“ kreist eine Discokugel an der Decke wie der Stern von Bethlehem: „Ich gehe mit dir in ein anderes Licht.“
Bei seinem schlaufenartigen, süchtigmachenden Bekenntnis „So lebe ich“ spielt er sich dann in Ekstase, wobei die Zeile „Ein neuer Sound, ein neuer Sinn“ bereits auf den bizarren, bierernsten Spaß im Zugabenteil verweist. Im Muskel-Shirt zerrt er eine frappante Gitarren-Version von Adamskis „Killer“ hervor, für Van Halens ,Jump“ bittet er einen „lieben Freund“ ans Mikro und legt Luftsprünge hin, als mucke er in einer Top-40-Band auf einer 80er-Jahre-Fete. Wie elastisch Blumfelds Pop-Koordinaten sind, beweist Distelmeyer am Ende mit dem symbolträchtigen Feedback-Song „Verstärker“, in dem er plötzlich ergreifend zu „Love Is In The Air“ abschweift, kurz „Every Time We Say Goodbye“ anklingen läßt, und doch bei sich selbst bleibt: „Merkst du, was ich merke?/ Wo ich nicht war, komm ich nicht hin/ Verstärker.“ Eine Offenbarung.