Blumfeld: Blühende Landschaften
Blumfeld machen Picknick im Paradies
Es sprießt und blüht und brummt und schwirrt auf dem neuen Blumfeld-Album. „Verbotene Früchte“ irritiert durch seinen scheinbar simplen Naturalismus und setzt bei genauerer Betrachtung doch – trotz einiger wesentlicher Veränderungen in Besetzung und Umfeld – auf musikalische und inhaltliche Kontinuität. Blumfeld-Songwriter Jochen Distelmeyer hilft, die dichten Nebel, die seine Band seit ihrer ersten Single „Ghettowelt“ von 1991 einhüllen, ein bisschen zu lüften.
Schön, mal wieder ein Lied zu hören, in dem von Schnee gesungen wird und auch wirklich Schnee gemeint ist. „Noch trägt die Welt ihr weißes Kleid/ Die Nacht hat alles zugeschneit“, heißt es gleich zu Beginn in – genau – „Schnee“, dem ersten Stück des neuen Blumfeld-Albums „Verbotene Früchte“. Und diese Zeilen beschreiben in etwa auch meinen Weg, als ich mich an einem kalten Märzmorgen zum Blumfeld-Interview aufmache. Durch Reste winterlicher Pracht, über Eisschollen-bedeckte Flüsse und weiße Bürgersteige. Für mich ist das ein großes Glück. Denn im Schnee kann vielleicht auch ein ungeübter Fährtenleser wie ich den Spuren von Blumfeld folgen. Und es gibt sehr viele, in alle möglichen Richtungen. 14 Jahre, sechs Alben, Hunderte seitenlanger analytischer und emphatischer Artikel, Deutungen, Interviews.
Ich treffe die Band in ihrer Heimatstadt Hamburg. Nahe der Alster. An den Großen Bleichen, im „Renaissance Hotel“. Als ich in die Straße einbiege, fällt mein Blick auf zwei Schilder. „Olymp & Hades“ steht auf dem einen, „Mephisto“ auf dem anderen.
Ich notiere das, vielleicht ist das ja eine erste Spur. Die Renaissance als Epoche, in der die Ästhetik der Antike ihr Revival erlebte, dazu der Berg der Götter und das Totenreich der griechischen Mythologie. Das passt doch wie die Faust aufs Auge. Aber „Mephisto“? Mist, wie war das im Deutsch-LK? „Zwar sind auch wir von Herzen unanständig/ Doch das Antike find ich zu lebendig/ Das müsste man mit neustem Sinn bemeistern/ Und mannigfaltig modisch überkleistern“ – Mephistopheles im „Faust II“ vom ollen Goethe. Mit der berühmten faustischen Vision am Ende: „Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn/ Zum Augenblicke dürft‘ ich sagen/Verweile doch, du bist so schön!“ Hieß die Hitsingle vom letzten Blumfeld-Album „Jenseits von Jedem“ nicht „Wir sind frei“? Wow!
Genug herumgekaspert. Im letzten Absatz habe ich vermutlich schon alle Vorurteile bestätigt, die man gegen diese Band vorbringen kann. „Verkopft“, „typisch deutsch“, „der Typ ist doch auf Prozac!“, schimpft schon der Chef übern Flur. „Intellektualistischer Quark“, „total unsexy“, „einfach nur peinlich“ – ich gebe nur wieder, was ich mir in den letzten Wochen anhören musste, wenn ich erzählte, dass ich an einer Coverstory über Blumfeld sitze. Dabei stören sich die meisten gar nicht an der Musik (viele haben nie ein Album von Anfang bis Ende gehört), sondern vielmehr an der Berichterstattung über diese Band. An hoch fliegenden, schwer durchdringbaren Interpretationen und einer Art Geheimwissen, das sie dahinter vermuten. Das liegt sicherlich auch an Songwriter Jochen Distelmeyer, der es in den Anfangsjahren seiner Band wie kein anderer verstand, sich als Konzeptkünstler zu inszenieren und allen auf die Nase zu binden, das gesamte Werk der Band folge einem Masterplan.
Seit „Ich-Maschine“, dem ersten Album von 1992, ist man darauf konditioniert, auf Covern, in Titeln, Texten, Interviews und der Musik nach (versteckten) Verweisen und Bedeutungen zu suchen. Wie vielleicht keine andere Band in den letzten 15 Jahren lösten Blumfeld mit ihren Platten und dem Drumherum Gespräche und Diskussionen aus – vom Jugendzentrum bis zum Feuilleton. Diskursrock nannte man das damals.
Das klingt viel freudloser, als es ist. Wie angenehm lustvoll sowas sein kann, zeigte sich erst kürzlich, als eine Pressemitteilung den Namen des neuen Albums „Verbotene Früchte“ ankündigte. Im Internetforum der Popzeitschrift „Intro“ wurde daraufhin sofort die Assoziationsmaschine angeworfen. Mögliche Songtitel („Love Me Gender“, „Garten Eden“, „Gezeitenreiter“), ganze Tracklistings dachten sich die User sich aus. Distelmeyers Stil parodierende Lyrics wurden geschrieben, ein Cover entworfen, fiktive Interviews geführt. „Für was mir fehlt, sing ich ein Lied“, hieß es in „Wir sind frei“. Und die Forumsuser taten quasi genau das: Sie füllten die Lücke zwischen der ersten Meldung und der Veröffentlichung von „Verbotene Früchte“, indem sie selbst ein neues Blumfeld-Album mit dem gleichen Titel erschufen. Nicht als physischen Tonträger (aber die haben ja eh bald ausgedreht), sondern als Idee in der Sprache, als geistiges Wesen könnte man sagen. Am Anfang war halt das Wort…
Vor dem Wort steht nicht selten noch ein leeres Blatt Papier.
Ein weißes Blatt
Jochen Distelmeyer empfängt in einem hellen Hotelzimmer ganz oben unterm Dach. Weiße Wände, weißes Sofa – in der Ecke steht ein Klavier. „Eigentlich müsstest du dich jetzt dahin setzen und ‚Imagine‘ spielen“, schlage ich vor. „Würde ich tun, wenn ich’s könnte“, lacht er. Er sieht ziemlich gut aus in schwarzem Pullover, weißem Hemd und mit seinem strahlenden Lächeln. Irgendwie sehr entspannt.
Er soll auch Vater geworden sein, erzählte mir ein Freund – wie mögen die Kinder von Jochen Distelmeyer heißen? Ingeborg und Franz? Orpheus und Eurydike? Philemon und Baucis? Okay, ich hör ja schon auf…
Die anderen aus der Band sind beim Interview nicht dabei – Schlagzeuger Andre Rattay und die neuen Leute, Keyboarder Vredeber Albrecht und Veranda Music-Bassist Lars Precht, der Michael Mühlhaus ersetzt hat. Und die personellen Veränderungen sind nicht die einzige Neuerung. Blumfeld haben die Plattenfirma gewechselt, ein eigenes Label, „Blumfeld Tonträger“, gegründet und sich nach all den Jahren von dem alten Indie-Haudegen Alfred Hilsberg, Vertrauter der ersten Stunde und Manager ihres „Zick Zack“-Labels, getrennt. „Das war schon so ein längerer Prozess“, erklärt Distelmeyer. „Nachdem wir so von Plattenfirma zu Plattenfirma gewandert sind und er immer eine betreuende Funktion hatte, hat irgendwann Oliver Frank unser Management übernommen, und Alfred hat sich anderen Projekten zugewandt. Aber es ist nach wie vor ein sehr gutes und freundschaftliches, einander zugetanes Verhältnis, würde ich sagen.“
Das klingt aus Hilsbergs Mund allerdings ein bisschen anders. Die Akte Blumfeld sei seit einem Jahr zu, seitdem habe man auch nicht mehr miteinander gesprochen. Ansonsten: kein Kommentar. Eine Geschichte, die in nächster Zeit auch mal erzählt werden muss, wenn die Gemüter sich abgekühlt haben und die Beteiligten zu offenen Stellungnahmen bereit sind. Vielleicht schon wenn – wie Distelmeyer ankündigt – in naher Zukunft „Teile des Backkatalogs“ auf dem neuen, bandeigenen Label wiederveröffentlicht werden.
Blumfeld setzen jetzt jedenfalls auf Autonomie. Distelmeyer: „Es war unsere Entscheidung, alles was wir aus den verschiedenen Zusammenarbeiten gelernt und an Erfahrung mitgenommen hat, jetzt mal selber in die Hand zu nehmen.“ So ist „Verbotene Früchte“ das erste Blumfeld-Album, das nicht von Chris von Rautenkranz in den Hamburger „Soundgarden Studios“ produziert wurde, sondern von der Band selbst in den hanseatischen „O-Ton Studios“ – unter Mithilfe von Stefan Wulff, dem Studiobesitzer und früheren Mitglied der Mittelalterkapelle Ougenweide.
Bei so vielen Neuerungen ist es nur konsequent, dass „Verbotene Früchte“ in „Schnee“ mit einem weißen Blatt Papier beginnt: „Und weiß wie Schnee ein Blatt Papier/ Liegt da und fragt: ‚Wie geht es Dir?’/ Ich mach mir meinen Reim/ Und singe was ich seh.“
Von diesem einfachen Bild aus entfaltet sich das Album, geht das lyrische Ich durchs Treppenhaus, am Salz streuenden Nachbarn vorbei in die Natur hinaus, am gefrorenen Fluss entlang. Es läuft und läuft. Die Jahreszeiten wechseln, alles sprießt und blüht und brummt und schwirrt.
Der Apfelmann
„Für mich handelt das Album vom selben Ort wie das letzte“, erklärt Distelmeyer. „Der hat sich natürlich gewandelt im Lauf der Wochen, Monate, Jahre. Wobei die Songs auch immer so von einem Unterwegs-Sein handeln. Das wird ja in ‚Lord Of Song‘ auf ‚Old Nobody‘ schon gesagt: ‚Ich bin der Weg‘. Man könnte auch sagen: Jemand bewohnt den Weg. Schon da war klar, dass so bestimmte Blues-Wege beschritten werden. Das ist bei allen unseren Platten so, dass jemand so rausgeht, um zu gehen. Das wird hier auch wieder erzählt.“ „Verbotene Früchte“ hat vor allem viele Gemeinsamkeiten mit dem Vorgänger „jenseits von Jedem“, „dockt da an“, würde Distelmeyer sagen. Der Verweis auf das Paradies in den Albumtiteln, der Weg in die Natur, die Schöpfergestalten, Abweichler, fiktive und mythische Figuren, die beide Platten bevölkern. Nur scheint Distelmeyers Blick dieses Mal noch ein wenig genauer geworden zu sein. Er geht ins Detail, ist wie der „Apfelmann“ im gleichnamigen Song, der die Stämme seiner Bäume hegt und sich um jeden einzelnen Ast sorgt.
Apfelbäume standen ja auch schon im Titelstück von „Ich-Maschine“ 1992 oder in „Pro Familia“ auf „Old Nobody“. Doch in dem neuen Rockabilly-Stück geht Distelmeyer am Ende sogar so weit, einzelne Apfelsorten aufzuzählen – „Jonagored, Novajo, Elstar, Karmijn, Rubi, Winterprinz, Ontario, Gravensteiner, Fuji…“ -, berichtet in anderen Songs von Schmetterlingen und Katzen, von Vögeln, Rhododendren und Orchideen, erzählt eine Fabel vom mächtigen Löwen und schlauen Fuchs, fliegt am Ende mit den Raben. „Ich würde sagen, wie es auch in ,Kleines Lied‘ heißt: ,Es ist in allen Dingen.‘ Ich denke, das macht auch den Reichtum dessen aus, worum’s auf dieser Platte geht. Ja klar, der Apfelmann in seinem Garten, der will für jeden Baum das Beste.“
Natürlich erkennt man, wenn man Blumfelds Spuren durch Album und Werk folgt, mehr in diesen Bildern als naive Naturmalerei. Es geht – einige Vorschläge meinerseits – um das Verhältnis von Wahrheit und Poesie, um die Suche nach der Freiheit und der „kleinen Utopie“, von der schon in „Wir sind frei“ die Rede war, um die Schönheit des Erkennens und der Erkenntnis. Vielleicht sogar um die Erschaffung einer anderen Wirklichkeit. Es braucht kein sprachphilosophisches Studium, um zu verstehen, dass man eine solche mit Worten hervorbringen kann, man muss nur nochmal ins „Intro“-Forum gucken. Aber warum der ganze Aufwand? Weil die Wirklichkeit, in der wir leben, zum Himmel stinkt. „Die Götter sind korrupt/ Das Leben ist nicht fair/ Der Himmel ist kaputt/ Die Träume stehen leer“, heißt es in der neuen Single „Tics“, zu der es auch ein putziges Video gibt, in dem die Band bis zur letzten Szene von Knetgummifiguren vertreten wird. Auch ein Spiel mit Wirklichkeiten.
In diesem Song zoomt Distelmeyer raus aus dem Mikrokosmos, schwingt sich auf eine Wolke, schleudert Blitze und lässt den Donnergrollen – irgendwer muss es ja tun. „Ich sehe Dinge, die nicht da sind“, singt er, und so bekommt das „Ich singe, was ich seh“ aus „Schnee“ noch mal eine andere Wendung.
Distelmeyer: „Die Single repräsentiert das Album, so lange es nicht da ist – auch inhaltlich. Ich bin gespannt, wie sich der Song so macht in der Wirklichkeit.“ Dann grinst er.
Weitere (verbotene?) Lese- und Hörfrüchte: In „Der sich dachte“ wird sich der Sänger seiner eigenen Geschichte bewusst, indem er sie seinen Zuhörern (und sich selbst) erzählt. „Und er ging seinen Weg, nur ein Wunsch ohne Ziel/Auf dem Rücken der Zeit- mit Liebe im Gefühl/…/ Auch wenn am Ende die Zeit keinen Unterschied machte/ So hat der, der sich dachte, für das, was er dachte, gelebt.“ In „Fleisch und Atem“ singt der Chor „Es gibt nur diese Welt/ Wir sind auf uns gestellt“, und man muss gleich wieder an den Nihilismus von „Eintragung ins Nichts“ auf „Testament der Angst“ denken – allerdings klingt der neue Song dagegen fast hoffnungsvoll. Distelmeyer: „Es ist schon so, dass für mich mit .Verboten e Früch te so eine Art Trilogie – eine ungeplante Trilogie allerdings- ihren Abschluss findet. Bestimme Fragen, Themenschwerpunkte, Spielweisen. So fühlt es sich zumindest an.“
Tradition / Irritation
Spätestens da kommt die Band ins Spiel. Denn trotz der Umbesetzungen gibt es auch eine musikalische Kontinuität, werden die Folk-Spielweisen von Stücken wie „Der Wind“ oder der „Wir sind frei“-B-Seite „Blues wegen dir“ weitergeführt. Und das auf berückend schöne Weise. Blumfeld sind – im Gegensatz zu so vielen Gitarrenschrummelbands im deutschen Pop – auch musikalisch eine Klasse für sich. „Natürlich spielen wir da an einigen Stellen mit Folk-Elementen“, erklärt Distelmeyer, „oder sagen wir so: legen die Folklore-Elemente von Songwriting im Spiel frei. Denn Songwriting, wie wir damit vertraut sind, kommt ja eigentlich aus dem Folk-, Blues-, Country-Bereich und ist insofern auch immer in dem, was wir gemacht haben, gegenwärtig. Das wird jetzt hier bei ein paar Stücken offener gelegt.“
Songs wie „Ich fliege mit Raben“ oder „Schmetterlings Gang“ erinnern spontan an die britische Folkband Pentangle, die Distelmeyer schon seit einigen Jahren immer mal wieder erwähnt. „Was mir an denen gefällt: Das ist sehr körperlich. Es driftet selten ab in so was Ätherisches. Auch wenn Jacqui McShee eine sehr hohe Stimme hat, ist es dadurch, wie die Band spielt, immer sehr physisch, sexy, bluesig.“
Folk, Blues, Country – diese alten Formen hört man natürlich mit deutschen Texten versehen ganz anders.
„Come gather ‚round people…“ klingt einfach auf eine seltsame Weise vertrauter als „Kommt alle her, ich erzähl euch von dem, der sich dachte“. Das klingt nach Rolf Zuckowski oder Reinhard Mey, und man denkt kurz mal: Will der uns eigentlich verarschen? Mindestens irritert ist man da. „Das ist nicht beabsichtigt“, beteuert Distelmeyer mit Unschuldsmiene. „Natürlich will man sich selber auf eine Art… irritieren ist der falsche Ausdruck dafür. Man will sich um alle möglichen Spielarten, die einem sonst auch so gefallen oder von denen man beeinflusst ist, kümmern. Das klingt jetzt schon so, als ob das eine bewusste Entscheidung wäre. Aber es ist eigentlich ganz einfach: Der Song ist da und wird gespielt.“
Und all die Bewohner von Songs wie „Tiere um uns“, „Schmetterlings Gang“, diese Heinz-Sielmannhaftigkeit? Nicht mal ein Hauch von Provokation? „Das kam aus der Musik raus. Bei „Schmetterlings Gang“ ist es ein Riff – ich dachte: Ist ja abgefahren. So’n Morning-Raga, dazu spukte mir diese Sitar im Hinterkopf herum, die dann auch dieses flatternde Fliegen dieses Schmetterlings bespielt. Und das kommt (schnippt) aus der Musik, nicht? Es gibt da nicht so’n Konzept.“
Eine eigene Geschichte
Trotzdem sucht man natürlich nach einem Masterplan, danach, wie das alles zusammenhängt. Find ich aber auch gut. Du erlebst es ja gerade selber. Dir sind Sachen aufgefallen, und ich bin dann so erfreut überrascht. Aha, ja, hm hm… So hab ich das noch gar nicht gedacht (lacht). Das ist dann so, als wenn das das Gewissen wäre, das die Platte dem Songwriter voraus hat. Aber die Erfahrung, dass die Leute, die die Platte dann hören, sie unter Umständen nicht nur anders verstehen, sondern vielleicht auch besser verstehen als man selber, die macht man sowieso immer. Denn ab einem bestimmten Punkt ist es nicht mehr die eigene. Also lässt man alles hinaus, und man kann das dann durch Interviews noch so begleiten, aber man hat da schon keine…
Man verliert die Kontrolle…
Aber das ist ja auch der Sinn der Übung. Darum geht’s ja.
Liest Du die Sachen, die über Euch geschrieben werden?
Kaum noch, ehrlich gesagt. Als junger Musiker in einer Band ist man natürlich darum bemüht, relativ klar eine Position einzunehmen. Da war ich mehr damit beschäftigt, wie das so wahrgenommen wird. Was wird dazu gedacht? Hab ich da vielleicht ’nen Fehler gemacht? Was erzählen die da eigentlich für ’ne Scheiße? Das ist aber eigentlich seit ‚Old Nobody‘ einer Gelassenheit gewichen. Ob das jetzt mit dem Alter zu tun hat oder weil es eigentlich schon relativ klar umrissen ist, worum es so bei der Band eigentlich gehen könnte… Es geht eben darum, wie man so schön sagt, loslassen zu können. Ich vertraue darauf, dass die Gespräche, die ich als anregend empfinde, irgendwie ihren Niederschlag finden in der Art, wie es dann aufgeschrieben wird.
Ich würde mir manchmal wünschen, erst die ganzen Diskussionen und Berichte abzuwarten, bevor ich etwas über ein neues Blumfeld-Album schreibe.
Okay, das ist die Schwierigkeit deines Jobs. Dann ist man aber beim Phänomen. Das ist natürlich eine Erfahrung, die ich sehr häufig gemacht habe, dass Gespräche sehr um das Phänomen dieser Band kreisen. Und dann ist da schon ziemlich viel Nebel, und man versucht, den Blick für das Album frei zu machen. Ich würde mir manchmal wünschen, dass die Leute so’n Album gelassener hören und sagen: Hier bin ich, da ist die Platte, das ist die Story, die ich dazu zu erzählen habe. Und nicht: (laut einatmend, Hände reibend) Pfuch, dann mal los…lacht) Das macht natürlich auch Spaß, so was zu lesen. Aber für mich ist es schwierig, vor diesem Hintergrund Interviews zu führen. Weil ich die ganze Zeit das Gefühl habe (blickt sich stammelnd um): ‚W-w-w-w-er, ich?‘ Das ist dann eine Zuordnungsfrage.
Zuordnung ist ein gutes Stichwort. Ihr steht mit dem, was ihr macht, ja mittlerweile ziemlich alleine da. Es gibt keine Szene mehr, der man Euch zuordnen würde. Tauscht ihr Euch noch mit anderen Künstlern aus?
Ich glaube, wir sind eh mit dem, was wir gemacht haben und machen, immer relativ alleine gewesen. In der Auseinandersetzung darüber natürlich nicht, aber das sind wir jetzt auch nicht. Es gibt nach wie vor regen Austausch. Mit den Goldis (Goldenen Zitronen) zum Beispiel. Okay, es ist nicht mehr so intensiv oder beflügelnd wie am Anfang der 90er Jahre, wo man mit Huah!, Brüllen, Captain Kirk und den Goldenen Zitronen so eine Art Euphorie geteilt hat, gemeinsam in einer Stadt Musik zu machen, ohne quasi ein Konkurrenzverhältnis zueinander laufen zu haben. Das fand ich Anfang bis Mitte der 90er Jahre echt ziemlich einzigartig und bemerkenswert, auch weil man mehr im Blick hatte als nur die Musik – beziehungsweise es von der Musik ausgehend über die Musik hinausging. Das gilt jetzt für uns eigentlich immer noch. Diese Grundstimmung hat sich im Laufe der Jahre dann in der Art, wie sich andere Bands uns gegenüber positioniert haben, allerdings schon geändert. Mit den Bands, mit denen es immer noch so diesen Austausch gibt, ist es eigentlich immer noch genauso wie vorher auch.
Tok, tok, tok – die Band klopft an die Tür. Man will gemeinsam essen gehen. Das Interview ist beendet. „Zurück in die Welt; fort von hier“, heißt es im letzten Song des Albums „Ich fliege mit Raben“. Ich gehe mit meiner Geschichte wieder zurück auf die Straße und kaufe mir bei „Mephisto“ ein Paar Wanderschuhe. Denn der Weg ist lang, wenn man geht, nur um zu gehen.