BLONDIE
Ist das die Rückkehr der Jedi-Ritter? Ohne Vorwarnung durchbricht Clem Burke das Intro-Musikgewaber aus dem Dunkel und prügelt gewohnt explosiv die ersten Takte von "Dreaming" in sein Premier-Kit.
Aber dies ist kein Traum. Links außen deuten alle Zeichen auf Verfall. Da steht Jimmy Destri an den Keyboards, einst ein ranker Jüngling heute mit Doppelkinn und Speckrolle über der zu engen Lederhose. Debbie Harry hingegen hat sich beeindruckend gut gehalten, mit ihren immerhin 53 Jahren. In gut knielangen, schwarzen Leggins schlurft sie über die Bühne, schüttelt die frisch blondierte Blondie-Mähne mal nach vorn, mal nach hinten, gegen Ende auch mal seitwärts, und trifft obendrein alle Töne, die sie so treffen sollte. Na ja: fast alle. Vor allem aber macht sie nicht den tödlichen Fehler, sich als immergeile Sex-Göttin produzieren zu wollen. Das hat eine gewisse Klasse immer noch. Oder gerade jetzt.
Mit dem eigenen Repertoire indes steht die New Wave-Ikone offenkundig auf Kriegsfuß: Harry kündigt einen neuen Song (zwei werden’s insgesamt) aus dem kommenden Album „No Exit“ an, um dann nach Rücksprache mit dem ergrauten Chris Stein doch erstmal „Sunday Girl“ zu reichen. Die Leute im mäßig gefüllten „Docks“ – smarte Immobilien-Haie, aufgebretzelte Old School-Punketten, reifere Pop-Diskursler – sbd begeistert Laut und gut hangeln sich Blondie so von Hit zu Hit: „Atomic“, „Hanging On The Telephone“, „Rapture“. Aus der Reihe fallt ausgerechnet das zu Film-Ehren gekommene „Call Me“: Für dieses Gebolze hätte sich Richard Gere nie und nimmer in Schale geschmissen.
Das Frühwerk ignorieren sie zunächst beharrlich, bis doch tatsächlich „In The Flesh“ ein paar Feuerzeuge entflammt. Rührend, aber gar nicht peinlich, wie Harry noch mal Teen-Sehnsüchte formuliert. Mit der Punk-Energie von „Rip Her To Shreads“ und „(Se)X-Offender“ biegen Blondie schließlich auf die Zielgerade ein eine Zugabe mit „The Tide Is High“ und einem gefeierten „Heart Of Glass“ bringt sie heim. Kein Song allerdings vom famosen „Plastic Letters“-Album, nicht mal „Denis“.
Michael Stipe – nur wenige Straßen weiter mit R.E M. zugange – soll dennoch tief bedauert haben, daß er sein Adoleszenz-Idol nicht in Augenschein nehmen konnte. (Siehe auch nebenstehende Besprechung des R.E.M.-Konzerts.) Zu Recht und verständlich.
Haben Blondie eine Zukunft? Wir werden sehen. Das neue Album, aus dem bereits einige Auszüge vorliegen, scheint nicht gerade an frühere Höhenflüge anzuknüpfen. 15 Jahre danach haben sie immerhin auf der Bühne ihre Vergangenheit auferstehen lassen. Und das muß fürs erste reichen.