Blasse Teints in rotem Rahmen
Christian Kortmann über altmodisches Zapping-Handwerk und den Charme des Schwarzweiß-Fernsehers im 21. Jahrhundert
Mein Fernseher ist klein und leuchtend rot, aber alles, was ich damit empfange, ist schwarzweiß. Sehr schön rahmt die rote Karosserie die Grautöne ein, als kämen die Bilder aus der weiten Welt durch die Windschutzscheibe eines Ferraris zu mir. Anstelle von Knöpfen besitzt mein Universum-Portable drei Drehregler, und schließe ich den Netzstecker an, brummt das Gerät – was stets daran erinnert, dass die Bilder technisch produziert sind. Sogar ein aufladbarer Akku ist integriert, und das bei Baujahr 1975. Schon lange steht dem Stromnetz-unabhängigen Fernsehgucken nichts mehr im Weg, aber durchgesetzt hat es sich nie. Der Fernseher ist anders als Buch, Radio und Telefon ein Stubenhocker-Medium geblieben, daran hat auch Sony mit der Erfindung des Watchman nichts geändert. Oft spielte ich mit dem Gedanken, mir einen schicken kleinen Apparat zuzulegen, inklusive Fernbedienung. Auch die besitze ich nicht, so erfüllt mein Fernseher noch nicht mal die Grundvoraussetzung fürs Zapping. Mit meinem Oldschool-Fernseher zu zappen ist, wie mit Telemark-Skiern Slalom zu fahren. Man muss üben, um im harmonischen Zusammenspiel der beiden Drehregler den richtigen Sendeort zu finden. Nach ein paar Monaten automatisiert sich die Fingerbewegung, und man beherrscht das Dreh-Zapping im Schlaf.
In Schwarzweiß zu gucken ist trotz immer bunterer Kulissen kein Erlebnis des Mangels. Vielmehr bedeutet der S/W-Fernseher den Härtetest für jeden Film: Nur was hier besteht, ist wirklich gut Der Regisseur hat keine Chance, durch Farb-Bombast von langweiligen Schnitten oder schlecht komponierten Bildern abzulenken. Roland Emmerichs SF-Saga „Stargate“ scheiterte kläglich, „Pulp Fiction“ hingegen bestand den lest bravourös und sah aus wie ein Film noir. Und S/W-Klassiker wie Fellinis „Dolce Vita“ wurden neben dem Kino damals ja für solche Apparate gedreht Dann ist mein Fernseher ganz bei sich, wie in seinem früheren Arbeitsleben, als er in den Nachrichten die entführte „Landshut“ in Mogadischu oder den neuen Papst Johannes Paul EL zeigte.
Das Fernsehen wird durch S/W schöner, die Menschen verfugen allesamt über makellose blasse Teints. Der direkte Vergleich bewebt dies: Ich installiere einen Farbfernseher neben meiner roten Antiquität und wähle als Testobjekt die „Tagesthemen“ aus. In der Buntversion trägt Ulrich Wickert unterm braunen Jackett eine braune Weste mit beigem Saum. Das ist sehr dezent, doch in Kombination mit dem blauen ARD-Layout mehr visuelle Irritation als sachdienliche Berufskleidung. In der S/W-Fassung wird Wickert zu einem gut gekleideten Mann, der sich ins Studiodekor einfügt und seinen Job erledigt S/W-TV schmeichelt ästhetisch, weil es farbliche Fehlgriffe abmildert Das wird beim erbarmungslos grell designten „Berlin direkt“ mit Peter Hahne noch deutlicher. Hinter dem weichen Typ Hahne toben Plasma-Stürme in der Kulisse, die man sonst nur aus „Star Trek“ kennt Hahne ist zwar dunkel gekleidet, aber in S/W wirkt das Politmagazin unaufdringlicher und seriösen Das MDR-Programm ist in Farbe noch gruseliger, als man in S/W zu ahnen wagt, denn da bleiben einem wenigstens die auberginefarbenen Jacketts und seniorenbeigen Kostüme erspart Andererseits fragt man sich natürlich, welche Informationen einem so entgehen. Klar, wenn Harald Schmidt mehrfach auf seinen jägergrünen Anzug verweist, möchte man den Waidmann gerne in seiner ganzen Farbenpracht sehen. Und wenn Lino Ventura im Krimi sagt: „Folgen Sie dem roten Lancia!“, dann muss man dem Taxifahrer eben glauben, dass es wirklich das rote Auto ist, hinter dem er herjagt Wenn die Farbe im Fernsehen doch eine tragende Rolle spielt, dann weniger im erzählerischen Repertoire der Macher als im originellen Zugang der Betrachter. So berichtet ein Medienprofessor von einem Phänomen, durch das TV zu Kunst wird: American Football auf Kunstrasen sehe im Fernsehen wie ein „verfilmter Manga-Comic“ aus.
Auch die alljährliche Übertragung des „Grand Prix“ ist ein Fall für den Farbfernseher. Spätestens bei der Diskussion über die schockierendsten Kostüme beginnt man ihn zu vermissen. Fußball lässt sich hingegen wunderbar in Schwarzweiß verfolgen. Selbst wenn beide Teams graue Trikots tragen, leitet der geübte Blick die Mannschaftszugehörigkeit von Bewegung und Position des Spielers ab. Durch andauernden S/W-Konsum stellt sich irgendwann die Fähigkeit ein, vom Grad der Grautönung auf die dargestellte Farbe schließen zu können. Mit dieser Nummer könnte man glatt in „Wetten, dass-.“ auftreten – einer Sendung übrigens, der die schlichte S/W-Rezeption ausnehmend gut bekommt Dies sei nicht zuletzt allen Leserbriefschreibern empfohlen, die sich in der „Hörzu“ über Gottschalks „geschmacklose Garderobe“ beschweren.
Gestern Nacht ist mir mein S/W-Portable aus der Hand gerutscht und auf den Fuß gefallen. Mein großer Zeh ist sofort blau angeschwollen – nicht dunkelgrau, was abstrakter wäre und weniger schmerzen würde. Doch das hier ist kein Film in Schwarz und Weiß, hier verfärben sich Blutergüsse blau. Der S/W-Fernseher zeigt ein ästhetisiertes Bild der Welt und behauptet nicht wie sein jüngerer bunter Bruder, die Wirklichkeit so darzustellen, wie sie ist: Die schönsten, besten und ehrlichsten Fernsehbilder sind schwarzweiß.