Kritik: „Black Mirror“ auf Netflix – alle Episoden im Ranking
ROLLING STONE bringt die Episoden aller sechs Staffeln in die richtige Reihenfolge, von schlecht bis herausragend.
Charlie Brooker, Macher von „Black Mirror“, stellte die Frage: „Wenn Technologie eine Droge ist, was sind dann die Nebenwirkungen?“ In den ersten vier Staffeln der britischen Serie wird eine entsprechende Zukunftsvision entworfen. Drohnen werden gehackt und greifen an, Roboter ersetzen Ehemänner, Cartoon-Figuren bewerben sich für ein Amt im Parlament, und es gibt Urteile in den sozialen Netzwerken, die über unser Leben entscheiden (was nicht so weit entfernt wirkt).
Schon die dritte Season wurde nicht mehr von Endemol produziert, sondern von Netflix, mit mehr Starpower und sichtbar höheren Budgets. Wie gut ist der „Black Mirror“-Film „Bandersnatch“, wie gut Season fünf, seit Juni 2019 verfügbar, taugt „Death To 2020“ etwas? Und it Season Six ein Return to form?
ROLLING STONE bringt alle Episoden plus Filme in die Reihenfolge schlecht bis herausragend.
Die Bewertungen beinhalten Spoiler.
29. „Rachel, Jack and Ashley Too“ (Staffel 5, Episode 3)
Eine Folge mit Miley Cyrus, wie von Miley Cyrus ausgedacht. Eine Episode wie ihr Leben, ein Leben voller „Jumping The Shark“-Momente. Cyrus spielt den Popstar Ashley O, der erwachsen werden will, aber von ihrer Tante, gleichzeitig Managerin, an der kurzen Leine gehalten wird – als Ashley droht, nur noch ernste Songs zu schreiben, wird sie ins Koma befördert, ihr Talent zum Komponieren billiger Schlager dann einfach aus den Gehirnwellen abgezapft.
Vielleicht muss man diese Folge etwas sacken lassen, um dann erst zu entscheiden: Soll man sich lieber über die „Zukunftsvisionen“ amüsieren oder über den Anspruch der Sängerin, ein Statement in Sachen Selbstbestimmung zu setzen? „Ich fühle mich, als würde ich die Haut von jemand anderem tragen“, klagt sie. Sätze, die man höchstens noch Jugendlichen als Ausbruchsphilosophie verkaufen kann.
Aber auch in der Betitelung der Hardware und Software, bislang immer eine Stärke von „Black Mirror“, gibt es arge Fehltritte. Die Glaubhaftigkeit der Serie hing immer davon ab, wie sehr die Entwicklung von Technik nachvollziehbar bleibt. Der Patientenhelm, der Ashleys Lieder aus dem Kopf zieht, heißt „temporaler Interpretator“. Das hat schon Parodie-Niveau, ein Begriff wie aus dem Latein-Unterricht im ersten Fachjahr der siebten Klasse. Mich erinnert er an die BWKs aus „Riskant!“ mit Hans-Jürgen Bäumler – „Blickwinkelkonzentratoren“.
70 Minuten dauert diese letzte Folge der Staffel, und der Shift vom Drama zur Comedy innerhalb der zweiten Hälfte war sicher keine gute Entscheidung. „Black Mirror“ funktioniert nicht als Komödie. Die Idee, Ashley als Hologramm auftreten zu lassen, mag noch als höhnischer Wink an die existierende Idee durchgehen, das Abbild Amy Winehouse‘ durch die Welt zu schicken. Die entscheidendere, also unfreiwillige Komik aber war den „Black Mirror“-Leuten vielleicht gar nicht bewusst. Am Ende verkauft Ashley O ihren Punk-Song „Head Like a Hole“ als Emanzipationsmusik, aus der Krise geschrieben – das Stück ist aber von Nine Inch Nails.
Die Ironie ist, dass gerade die Ashley-Harmonien, also der Pop-Shit, die echte Miley besser widerspiegelt, als das, wogegen sich die Kunstfigur in der Serie wehrt. „Sie ist Ashley O und nicht Leonard fucking Cohen“, urteilt die Tante, als sie deren Skizzen am Klavier hört. Das kann man so unterstreichen.
Miley Cyrus sitzt in den frühen Morgenstunden, als alle anderen noch schlafen, am Flügel, der Blick geht über das Valley hinter ihrer Villa, und heraus kommt, wie wahr, ernsthafte, aber eben auch billige Musik. Der Ansatz erinnert an Lady Gaga, die in der aktuellen Neuverfilmung von „A Star Is Born“ ihre Geschichte der Selbstverwirklichung erzählt.
Es gibt Unterschiede zwischen Miley Cyrus und Lady Gaga.
Zum einen sieht man Lady Gaga in Film wirklich Klavier spielen. Cyrus setzt nur die Hände auf die Tasten, dann kommen die vermeintlich cleveren Schnitte, die die echte Performance verschleiern. Aber der eigentliche Unterschied zwischen den beiden ist der: Lady Gaga stellte sich in den Dienst einer Rolle, in der ihre Entwicklung zur fremdgesteuerten Interpretin auch eine Kritik an den patriarchalischen Strukturen des Musikgeschäfts verdeutlichte. Miley Cyrus zeigt innerhalb dieser einen Folge, wie eine Musikerin mit schlechter Musik, die stets auch als ihre wirkliche zu identifizieren ist, sich zu einer noch schlechteren (Cover-)Musikerin entwickelt.
Ein echter Tiefpunkt der Serie, eine wankelmütige Kritik an Fan-Kultur und Star-Kult, ein Ego-Projekt einer irgendwie Dystopie-begeisterten Sängerin. Ein Ausverkauf. Stupid money being spent.
Charlie Brooker hat sich von einem Popstar den Kopf verdrehen lassen, einem Popstar, der glaubt, seine eigene Erfindung besser zu verstehen als er. „Rachel, Jack and Ashley Too“ wird Brooker noch lange nachhängen.
28. „Joan is Awful“ (Staffel 6, Episode 1)
Das Problem vieler „lustiger“ „Black Mirror“-Episoden ist, dass sie einfach nicht lustig sind. So wie diese. „Joan ist awful“ erzählt eine „Truman Show“-Satire mit einer – im Gegensatz zu Truman – wissenden Protagonistin. Joan dissoziiert schnell und fühlt sich wie die Hauptfigur ihres eigenen Lebens. Viel Haareraufen und Geschrei. Viel zu oft schon gesehen bei Brooker: Die ausgenutzte Arbeitsameise (Joan) bekämpft die Arbeitsameise aus der etwas höheren Hierarchie-Ebene (Salma Hayek), bis beide erkennen, dass man sich doch gleich gegen den Master stellen kann. Protagonistin und scheinbare Antagonistin verbünden sich gegen das System und proben die Rebellion.
Unabhängig davon hat die Story den Logikfehler, dass Joan selbstverständlich hätte wissen müssen, dass sie nicht echt ist.
27. „Mazey Day – „Mazey Day“ (Staffel 6, Episode 4)
Mal eben ein wenig mit (veralteter) Technik und Korruption zu hantieren, macht noch keinen überzeugenden „Black Mirror“-Content. Dies ist ein Genre-Horrofilm, keine Dystopie. Es spielt überhaupt keine Rolle, dass der Film zu Beginn der Nullerjahre angesiedelt ist, statt im Jetzt. Ob Zazie Beetz nun eine klobigere Kamera hält und ein Rattertatter-Modem bedient oder mit dem Equipment von 2023 arbeitet – worin besteht der Unterschied? „Mazey Day“ ist höchstens Beleg für den seit vielen Jahren vorherrschenden Stillstand der Mode und Musik – Filme, die in den 2000er-Jahren spielen, sind nicht mehr über Stil und Fashion, sondern nur noch über die Technik zu identifizieren.
Die mehr in Hollywood als hierzulande bekannte deutsche Regisseurin Uta Briesewitz leitete die Aufnahmen bei diesem pointenfreien Werwolf-Flick, dessen einzige Existenzgrundlage darin zu bestehen scheint, dass ein VFX-Team die noch immer unerreichte „American Werewolf“-Transformation von 1981 mit ähnlich gelagerten Profilshots des Monsters honorieren darf. Nur um den Wolf dann als CGI-Kreatur durch ein Haus (das im für Amerikaner natürlich befremdliche erscheinenden, dunklen Tschechien liegt) jumpen zu lassen. Klappert Brooker bald alle traumainduzierenden Lieblingsfilme seiner Kindheit ab?
Paparazza Bo (Zazie Beetz) soll sich am Ende als schlechter Mensch entpuppen. Fair enough. Aber dafür braucht es kein Monster.
26. „Krokodil“ – „Crocodile“ (Staffel 4, Episode 3)
John Hillcoat hat Regie geführt, und zumindest die Landschaft ist ihm gelungen: In seiner Umsetzung von Cormac McCarthys Roman „The Road“ (2008) waren es die verschmutzten Wälder Amerikas, hier sind es die verschneiten Vulkanlandschaften Islands, in denen das Grauen verkehrt. Es sieht also alles sehr beeindruckend aus.
Die Folge fällt allein deshalb auh, weil Technik hier eine wichtige und positive Rolle für die Aufklärung spielt – mittels fremder Einblicke in Erinnerungen wird ein Verbrechen aufgeklärt. Pointe: Auch Tiere, und seien es Hamster, speichern Erlebtes. Das Tier, der einzige Zeuge. Nur ahnt der Verbrecher oder die Verbrecherin dies natürlich nicht.
Das Gerät „Recaller“ und dessen außergewöhnliche Fähigkeit wirkt etwas fremd in dieser Mördergeschichte, die ihren Fokus nicht recht finden kann: Wie konnte aus der Karrierefrau Mia eine Killerin werden? Wieso müssen wir uns so schnell von der Versicherungsangestellten Shazia, der interessantesten Figur, die unfreiwillig zur Detektivin wird, verabschieden? „Krokodil“ ist eine Episode, die viele Fragen stellt, für die „Black Mirror“ vielleicht nicht die richtige Heimat ist.
Apropos Heimat: Dass das „Black Mirror“-Ursprungsland England seit der Netflix-Ära (Staffel drei) abgemeldet ist, wird man wohl verschmerzen müssen. Aber kam Ihnen Island hier wirklich wie Island vor?
Falls die Serie nun durchwegs amerikanisiert ist, sollte man die Geschichten vielleicht auch in den USA belassen. So schön Island auch ist.
25. „Arkangel“ – „Arkangel “ (Staffel 4, Episode 2)
Mit Jodie Foster engagierte das Team um Netlix/Brooker die bislang bekannteste Hollywood-Persönlichkeit. Foster tritt hier hinter die Kamera. Ihre Idee – totale Überwachung des Kindes mittels Kamera-Einblick in dessen Sichtfeld – gefällt, Hand aufs Herz, allen Eltern.
Schon in unserer realen Welt gibt es heftige Diskussionen darüber, ob Ortung per Handy-App in die Freiheit des Kindes eingreift – oder dies zu größerer Sicherheit führt. Die Erwachsenen jedenfalls, ständig mit Blick aufs Mobiltelefon, werden dadurch ein Stück unfreier.
Schon im Kreißsaal erleben wir, dass die alleinerziehende und frisch geborene Mutter Marie eine Angststörung hat. Traumatisch wird ihr Erlebnis, als die kleine Sara später auf dem Spielplatz verloren geht. Marie lässt ihr daraufhin einen Überwachungs-Chip einpflanzen.
„Früher hat man die Haustür aufgemacht und die Kinder einfach spielen lassen“, sagt der Großvater. „Und dann hab ich mir den Arm gebrochen“, entgegnet die Helikopter-Mutter, damit sind die zwei widerstreitenden Auffassungen auf den Punkt gebracht.
Regisseurin Foster gelingt es, Marie nicht als Unmensch, sondern Kranke darzustellen. Der erhobene Zeigefinger aber beherrscht jedes Geschehen. Deshalb sei Überbehütung schlecht: Die Gewaltszenen im Internet, falls man selbst keinen Zugang dazu hat, werden dann eben durch Mitschüler erzählt; dann kommt der erste Sex, die erste Linie Kokain.
Obligatorische Beispiele, die obligatorische Versuchungen. Am Ende ruft die Mutter verzweifelt: „Aber ich liebe Dich doch“. Natürlich tut sie das. Am Ende steigt die Tochter dennoch als Tramperin bei einem Trucker ins Führerhaus. Natürlich tut sie das. Plakativer kann man ein Worst-Case-Szenario nicht gestalten. Zumindest aus Sicht der Eltern.
Aber brauchen wir zu diesem Thema eine „Black Mirror“-Utopie?
24. „Smithereens“ – „Smithereens“ (Staffel 5, Episode 2)
Wie schwer oder wie leicht es ist, sich bis an die Spitze eines Social-Media-Giganten hochzutelefonieren, das zeigt diese im Ansatz viel versprechende, im Verlauf jedoch arg absehbare Episode.
Die Schwächen sind umso bedauerlicher, da diese Folge als bislang einzige der 23 „Black Mirror“-Episoden tatsächlich am Jetzt zu messen ist – sie spielt in einer alternativen Realität, aber nicht in der Zukunft. Doch die Konsequenzen unseres Tuns – soziale Medien treiben uns erst in die Sucht, dann verlieren wir die Kontrolle über unser Leben und geben uns für jene Unachtsamkeit die Schuld, die zum Tod anderer führen kann – haben keine Wow-Effekte.
Dies ist eine Geschichte wie aus dem echten Leben. Deshalb gehört sie nicht in dieses Format.
Die Leute des Tech-Riesen Smithereens heißen wie die Leute von Facebook, zum Beispiel Penelope Wu. Okay! Smithereens hat die Macht, FBI-Beamte einfach aus der Telefon-Leitung zu schmeißen. Nun gut! In Krisensituationen hat der Konzern auch mehr Macht als die (britische) Polizei. Check! Sie haben auch einen größeren Datenschatz über die Mitglieder ihrer Gemeinde als die britische Polizei. Warum nicht!
Am Ende gibt es mindestens einen Toten unter den Nutzern des Netzwerks, und der Imperium-Chef Billy Bauer verschließt buchstäblich davor die Augen. Hart, hart, hart.
Aber wo sind die Überraschungen?
23. „Death To 2020“ (Film)
Charlie Brookers Versuche der Total-Satire sind nicht immer mit Erfolg gekrönt. Auf jedes „The National Anthem“ folgte, wie zuletzt, ein „Rachel, Jack and Ashley Too“ mit einer überforderten Miley Cyrus, die sich in den Meta-Ebenen ihrer Künstlerpersönlichkeit verliert, was selbstbespiegelnd, aber wenig unterhaltsam ist.
„Death To 2020“ ist vielleicht Brookers erster Film, der die Frage stellt, ob die „Black Mirror“-Dystopie nicht schon längst Realität geworden ist. Ein Jetzt-Film also. Der Horror des Jahres, bestimmt durch das Coronavirus, Trump, die Klimakatastrophe, Brexit und den Mord an George Floyd.
Das macht „Death To 2020“ zu einer bisweilen sehenswerten Mockumentary. Nur ist die Retrospektive eines grauenvollen Jahres eben nicht so schlau, wie es eine Zukunftsvision sein könnte, die von den zuletzt arg enttäuschenden „Black Mirror“-Machern vielleicht nicht zu erwarten, aber immer noch zu hoffen gewesen wäre. Selbst die 80er-Jahre-Hommage „Bandersnatch“ hatte mit seiner dem Zuschauer zur Verfügung stehenden Multilevel-Auswahl an Handlungssträngen zumindest eine technische Vision.
„Death To 2020“ ist also eine Rückblicks-Revue, weniger ein „Black Mirror“-Film. Die Witze kommen im Sekundentakt, aber sie sind nicht alle gut, geschweige denn clever. „Davos ist das Coachella der Milliardäre“, „Greta Thunberg ist die neue Billie Eilish – eine Karriere, die auf Depressionen beruht“, „General Soleimani – die Beyonce der Revolutionsgarde“ oder „das Corona-Virus, das auf die Welt einbrach wie die Weißen Wanderer in Westeros“ … es gibt sogar eine Soccer Mommy, die das inflationär gebrachte Verschwörungstheoretiker-Argument vorbringt: „George Soros hat das Virus in einem chinesischen Labor erschaffen, damit Bill Gates einen Impfstoff entwickeln konnte, der …“ – Sie wissen, wie es weitergeht.
Brookers Sicht ist aber nicht nur eine, in der die Soccer Mommy, die Central-Park-Karens oder Trump-Wähler im Allgemeinen, oder Briten wie Boris Johnson durch Idiotie glänzen, sondern in der vor allem die um Neutralität bemühten Intellektuellen und Wissenschaftler versagen. Hugh Grant spielt einen Historiker, der sich im Fantasy-Film „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ verliert und glaubt, er war wirklich dabei; Leslie Jones verkörpert eine Verhaltenspsychologin, die nur an ihre Buchverkäufe denkt. Auch dass die nachfolgende Generation den Planeten verändert, scheint ausgeschlossen. Der von Joe Keery – brillant – verkörperte Millenial-YouTuber hat, wie so viele seines Alters, versucht, Frieden zu schaffen, indem er schwarze Quadrate im Internet postete, aber sich danach weiter um die Pflege seines Social-Media-Kanals kümmerte.
Tatsächlich markieren George Floyds Tod und die „Black Lives Matter“-Proteste den einzigen Film-Moment, in dem es stiller wird und Charlie Brooker auf satirische Erzähl-Elemente verzichtet. Warum das so ist, ein Zeichen von Pietät oder eher Mutlosigkeit, bleibt der persönlichen Einordnung überlassen.
Donald Trump wird an einer Stelle übrigens nebensächlich als „experimental Pig-Man“ bezeichnet. Möglicherweise ein Easter Egg, ein Hinweis auf jene „Black Mirror“-Episode, die in unserem Ranking auf Platz zwei steht.
22. „Demon ’79“ – „Demon ’79“ (Staffel 6, Episode 5)
Ein seltsamer Polit-Brei, Brooker weiß die hochbrisanten Themen – Hass auf Migranten, Thatcherims, Kalter Krieg – nicht recht auszubalancieren. Unklar, wann er die Story schrieb, aber nach M. Night Shyamalans „Knock at the Cabin“ aus dem Februar hätte er das Script eigentlich nicht mehr verfilmen lassen dürfen, die Parallelen sind gravierend. Auch ästhetisch nähert sich „Demon ’79“ den Blumhouse- und A24-Produktionen zu sehr an. Wie reizvoll das Jahr 1979 in neumodischen Retro-Produktionen aussehen kann, zeigten Filme wie „X“, aber die VHS-krisseligen Throwbacks irritieren hier doch eher, weil sie mit der Geschichte keinen Zusammenhang bilden.
Der Dämon ist ein Schwarzer Racheengel, der die Selbstermächtigung der Einwanderin befördert. Sie bekämpft einen Populisten, der derart Trump-mäßig rumpoltert, dass man ihn sogar aus der Tory-Partei kickt. Die beunruhigende Pointe: Kein Dämon ist schlimmer als der Mensch. Im fast schon existenzialistisch anmutenden Schluss-Akt entfesseln die Menschen die wahre Hölle, den Atomkrieg. Die Menschheit wird ausgerottet; dem harmloseren Beelzebub und seiner neuen Gefährtin bleibt immerhin der Gang ins ewige Nichts. Alles besser anscheinend als Großbritannien 1979.
21. „Von allen gehasst“ – „Hated In The Nation“ (Staffel 3, Episode 6)
„Von allen gehasst“ erscheint wie die „X-Files“, nur ohne Außerirdische – oder zumindest, wenn schon irdisch, dann wie „CSI“, nur eben mit zwei weiblichen Ermittlern statt nur einer.
Secret Services, Mission-Control-Räume, hierarchische Konflikt-Situationen unter Anzugträgern, in wessen Kompetenzgebiet fällt dies, fällt das – etwas zu geheimdienstlich wirkt diese Geschichte um zunächst unerklärliche Morde, die allen zustoßen, die in den sozialen Netzwerken zu den unbeliebtesten Menschen gehören.
Wie hängen die Roboter-Bienen mit den Todesfällen zusammen? „Die echten Bienen sind ausgestorben“, sagt ein Forscher über die Insekten, deren fundamentale Aufgaben für das Ökosystem nun die Replikas übernehmen. „Gäbe es diese Drohnen nicht, wäre die Alternative eine Umweltkatastrophe.“
Die Episode sendet zwei Botschaften, die auf Biegen und Brechen miteinander verknüpft werden. Zunächst natürlich: Der Mensch zerstört die Natur, hat die Technik nicht im Griff, jetzt gibt’s die Quittung. Schon Einstein, so das populäre Zitat, wusste: Sind die Bienen erstmal weg, sind wir erledigt.
Die Drohnen als Racheengel gegen Internet-Hassprediger einzusetzen, verquirlt dann aber nicht nur die Genres Tier-Horror mit Grünen-Film – sondern rückt das sehr aktuelle Problem mit den erbärmlichen Netz-Trollen in den Hintergrund. Denn die brauchen leider keinen Sci-Fi, um sich Gehör zu verschaffen.
20. „Hang The DJ“ – „Hang The DJ“ (Staffel 4, Episode 4)
Die einzige „Black Mirror“-Episode mit echtem, unzweifelhaftem Happy End. Eine Satire auf Datingsites wie Tinder, mehr noch, auf kostenpflichtige Paarfindungs-Seiten, die exakte Vorschläge nach Persönlichkeitskatalogen vermitteln – und dem Single gar keine Abweichungsmöglichkeiten bieten.
Eine schöne Folge, aber auch redundant: Das Ende offenbart einen Twist, der zwei Liebenden aus Fleisch und Blut als Simulationen in einem Algorithmus entpuppt. Die Zuschauer verloren sich also nicht in Menschen, sondern einfachen Daten.
Ob diese Pointe beabsichtigt war? DieRebellion der beiden Verliebten gegen das System führte erst Recht, also im echten Leben, dazu, dass die Technik Recht behält.
19. „Beyond the Sea “ – „Beyond the Sea“ (Staffel 6, Episode 3)
Wie „Severance“ nur mit Doppelgängern, sowie mit Menschen, die erfahren können, was ihre Doppelgänger da unten auf der Erde überhaupt tun. Kate Mara ist unterverkauft, Josh Hartnett, das wird einem schmerzlich bewusst, viel zu selten in großen Rollen zu sehen; irgendetwas muss mit ihm passiert sein, nachdem er in den Nullerjahren angeblich 100 Millionen Dollar Gage und die Hauptrollen zunächst als Batman, dann als Superman abgelehnt hat. Er ist erst 44 – da geht hoffentlich noch was.
Aaron Paul wurde als Jesse Pinkman gebucht, also als Nervenbündel, das keine Beziehung aufrechterhalten kann und am Ende einen hochkarätigen Meltdown hinlegt. Allein, warum soll die Geschichte in einer „alternativen Realität“ des Jahres 1969 spielen? Damit Geschlechterklischees (die Astronaut’s Wife) realistischer wirken? Die Beziehungsdynamik des Trios wird leider schnell offenbar, ebenso wie das Ende. Dazu hätte es den Zaunpfahl-Wink mit dem Roman „Der illustrierte Mann“ nicht benötigt.
18. „Abgestürzt“ – „Nosedive“ (Staffel 3, Episode 1)
Netflix vertreibt „Black Mirror“ seit der dritten Staffel und präsentiert einen sehr teuer wirkenden, mit Stars besetzten Start: Alles leuchtet und glitzert, nicht in einer britischen, sondern in einer amerikanischen Stadt. Die Gesellschaft bewertet jeden Menschen, nicht nach deren Können, sondern nach ihrer Beliebtheit, auf einer Skala von 0 bis 5.
Per Handy geben die Leute ihren Mitbürgern Noten. Wer aus der Reihe tanzt, landet schnell bei unter 4 und wird damit ausgeschlossen: von Reisemöglichkeiten, Krankenbetten, Jobs, Immobilien.
Die junge Lacie fällt durch eine Reihe von Missgeschicken durchs soziale Netz, ihre 4 ist im freien Fall Richtung Less Than Zero. Bryce Dallas Howard ist hier, wie in ihren meisten Filmen, keine Sympathieträgerin. Bei Cherry – „Transparent“, „24“ – Jones stellt sich die Frage, ob ein zu hoher Bekanntheitsgrad für sehr kleine Nebenrollen nicht eher schädlich ist. Ihrer anarchistischen Truckerin mit dem Wert 1 komma nochwas wird fast zu viel Augenmerk geschenkt.
„Abgestürzt“ verläuft für „Black Mirror“-Verhältnisse ein wenig zu linear, der Ton ist eher optimistisch als parodistisch, und das Finale kommt mit Ansage. So wie in „Von allen gehasst“ steht auch hier der Fluch sozialer Netzwerke im Vordergrund.
17. „Männer aus Stahl“ – „Men Against Fire“ (Staffel 3, Episode 5)
Schwer bewaffnete Hi-Tech-Soldaten durchpflügen terrestrische Landschaften auf der Suche nach „Kakerlaken“. Klingt zunächst wie Starship Troopers auf Erden-Mission, nur handelt es sich bei den „Insekten“ um scheinbar genetisch mutierte und aggressive Menschen. Als einer der Infanteristen nach einem Kampf seltsame Visionen entwickelt, beginnt er den Sinn seiner Streifzüge in Frage zu stellen.
Die große Kritik an den Umständen – Soldaten als Marionetten, wer ist „Kakerlake“, wann fängt das Menschsein an? – sind altvertraut. Es ist der Militär-Psychologe, der dem zweifelnden Soldaten hier die Prinzipien einer bösen Gesellschaft vorstellt, die an Konditionierung, Euthanasie und Mord am Schwächeren als „große Leistung“ glaubt. Dick aufgetragen wirkt die Entscheidung, die „Kakerlaken“-Menschen mit osteuropäischen Dialekten und polnischen Namen auszustatten.
Es gibt den Brexit, und die fremdenfeindlichen Übergriffe haben in Großbritannien zugenommen – aber deshalb gleich den Zaunpfahl nehmen? Leichte Ironie: Die Maske, die jeder Soldat aufsetzen muss, maskiert sie selbst – sie werden zu anonymen, willfährigen Killern.
16. „San Junipero“ – „San Junipero“ (Staffel 3, Episode 4)
Filmische Dramen über lesbische Liebende sind meist hochambitioniert und sehr ernst, und auch diese von Owen Harris inszenierte Folge bemüht sich um Verdichtung und Intensität (außerdem hat jeder Filmemacher den Ansporn nicht einfach nur Männerfantasien zu bedienen). Die Anziehung zwischen einem Mauerblümchen (Mackenzie Davis als eine Art Molly Ringwald in uncool) und Partylöwin (Gugu Mbatha-Raw) bleibt bis zum Ende bemerkenswert unergründlich.
Alle Fantasie-Welten – die ungleichen Zwei treffen sich 1987, 1991 und 2002 – erscheinen leicht überdekoriert; wie zuletzt nur in „Deutschland 1983“ wird Zeitkolorit vor allem dadurch bemüht darzustellen, indem möglichst viele Pop-Songs des jeweiligen Jahres angespielt werden: Die Hölle von 1987, von Belinda Carlisle über Robbie Nevil bis Living in a Box. Verrückte 80er. Dennoch ist „San Junipero“ die heute wohl meistgeliebte „Black Mirror“-Episode, ihr Soundtrack erhielt gar eine eigene Veröffentlichung.
Es stellt sich die Frage, wie erfüllend als auch anerkannt „verbotene Liebe“ sein dürfte, wenn sie nur im Gedankenuniversum ausgelebt wird. „Hier macht das doch keinen Sinn, für immer leben“, sagt Kelly, und sie hat Recht. Ihre Erfüllung finden die beiden im Afterlife.
15. „Black Museum“ – „Black Museum“ (Staffel 4, Episode 6)
Die zweitlängste „Black Mirror“-Folge, gleichzeitig Season-Abschluss, bietet eine Aneinanderreihung von drei Kurzepisoden. Im verlassenen Museum von Rolo Haynes liegen von ihm selbst entwickelte Geräte, nun Ausstellungsstücke, mittels derer der Forscher einst Menschen ermöglichte, in die Köpfe, Gedanken und Sinneswahrnehmungen anderer einzudringen – oder sie gleich digital zu duplizieren.
Clever ist die Struktur der Einzelgeschichten, zusammengehalten durch eine Rahmenhandlung, in der eine junge Frau sich vom Museumsleiter die Geschichte des Gruselkabinetts erklären lässt. Allerdings drückt das Gewicht aktueller Gesellschaftsbezüge bisweilen arg. Das Thema Fake News wird gestreift; die Frage, Leute ohne Krankenversicherung kostenlos zu behandeln; die Frage, wann Leben beginnt und wann es endet; ob digitale Kopien „nicht rechtlich, aber ethisch getötet“ werden können, ob es „Menschenrechte auch für Cookies“ gibt.
Es sind doch die einfachen Fragen, die hier berühren sollten: Wie wichtig ist mir Privatsphäre? Und wie schnell kann aus Vertrautheit Verachtung werden?
14. „Die Waldo-Kandidatur“ – „The Waldo Moment“ (Staffel 2, Episode 3)
Die nach Meinung der meisten Kritiker schlechteste Episode ist vielleicht kein Geniestreich, aber ganz sicher auch nicht missraten. Ihr Trumpf besteht in der Radikalisierung der „Black Mirror“-Philosophie: Eine Ausgangslage ist dann nicht mehr absurd, wenn die Protagonisten die Ausgangslage völlig ernst nehmen.
Ein Cartoon-Charakter droht die politischen Rivalen aus Labour und Tory auszustechen und Parlamentsmitglied zu werden, weil er wegen seiner obszönen und aggressiven Art, mit der er die Gegner attackiert, immer beliebter wird. Die gezeichnete Witzfigur heißt Waldo, nicht Trump, und die 2013 gedrehte Folge schien die aktuelle politische Lage in Amerika fast vorwegzunehmen.
In Ihrer Absurdität war „Waldo“ für Rezensenten ein Overkill, aber die zunehmende Verzweiflung, mit der die britischen Politiker auf den animierten Bären reagieren, wirkt absolut glaubhaft.
13. „USS Callister“ – „USS Callister“ (Staffel 4, Episode 1)
Jesse Plemons, wegen seiner Ähnlichkeit mit Matt Damon und seiner Durchbruchsrolle in „Breaking Bad“ auch als „Meth Damon“ bekannt, ist wahrscheinlich einer der besten Schauspieler, die man derzeit erleben darf: Er kann alles. Und ist viel besser als Matt Damon!
„USS Callister“ ist die Parodie einer Parodie, also die Parodie auf „Galaxy Quest“, das wiederum eine „Star Trek“-Parodie war. Plemons spielt einen Zapp-Brannigan-Verschnitt, einen schmierigen Captain, der alles besser weiß und seine Crew tyrannisiert. Jedoch nur in der von ihm künstlich angelegten Welt: In Wirklichkeit ist Captain Daly der technische Leiter einer Firma, die künstliche Welten in einem Online-Spiel herstellt – ein Genie zwar, aber verstockt, kleinlaut und rachsüchtig.
Wer Daly im Arbeitsleben blöd kommt, wird digital kopiert und muss ein unendliches, schwaches Sklavendasein auf seinem Raumschiff in der „Infinity“-Welt fristen. Vom Co-CEO bis hin zum Praktikanten verfrachtet Daly alle dorthin, denen er es mal so richtig gerne zeigen würde.
Von den etwas gezwungenen Seitenhieben auf Twitter und die iCloud abgesehen, ist „USS Callister“ die vielleicht lustigste „Black Mirror“-Episode – und ein spektakulärer Staffel-Auftakt. Wer genau hinsieht, entdeckt auch eine – nicht minder witzige – Referenz an den „Star Trek“-Konkurrenten „Star Wars“ und dessen mittlerweile berühmte „Storm Trooper Hits Head“-Szene.
Vor allem aber behandelt „USS Callister“ die beängstigende Frage, ob es wirklich gut ist, wenn die digitalen Nerds unsere Welt regieren.
Hier ist der Sci-Fi-Fanboy ein Riesenbaby, das nie Konfliktlösung gelernt hat und stattdessen mit unliebsamen Kollegen noch nicht mal kurzen Prozess macht, sondern sie sadistisch bis in alle Ewigkeit bestraft.
Der Showdown, ein Rennen gegen die Zeit, ist derart spannend, dass auch die Logiklöcher kaum ins Gewicht fallen: Sind die Avatare am Ende mit ihrer selbst gewählten Unsterblichkeit wirklich glücklicher? Wie kam Nanette so mühelos in Dalys Wohnung? Wie könnte überhaupt, nur auf Grundlage der DNA, die Kopie eines Menschen mit dessen aktuellen Bewusstsein hergestellt werden?
Und: Falls Daly in seinem Apartment verhungern sollte, erweckt er bei den Kollegen von „Callister Inc“ vielleicht erstmals Mitgefühl, er hätte irgendwie gewonnen – und Nanette wiederum könnte sich für seinen Tod verantwortlich fühlen, denn sie ließ ihn zurück.
Die anderen in der Firma, etwa Co-Gründer James oder die blasierte Empfangsdame Elena, würden nie von den Umtrieben Dalys erfahren haben. Falls die Crew der „USS Callister“ sich nicht irgendwann per 140-Zeichen-Botschaft aus dem All meldet und die Sache aufklärt.
12. „Striking Vipers“ – „Striking Vipers“ (Staffel 5 Episode 1)
Ist Internet-Sucht verantwortlich für die tote Hose im Bett? Macht Virtual-Reality-Porn die Sache sogar noch schlimmer? „Ich fühle keine Melodie, sondern ein Orchester in mir“, sagt Karl, der die Welt des Martial-Arts-Computerspiels „Striking Vipers“ dafür nutzt, zu ficken statt zu kämpfen – er schlüpft dabei in die Rolle eines weiblichen Avatars und empfindet bei der Penetration durch den Gegner Gefühle, die er im echten Leben nicht kannte. Weil er ein Mann ist?
Das berührt viele Punkte. Was bedeutet es, wenn ein heterosexueller Mann in der VR-Zone zur Frau wird, darin einen Mann begehrt, durch den Sex verunsichert wird, den männlichen Spielpartner im echten Leben daraufhin wenigstens einmal küsst, merkt, dass er nicht mal im Ansatz bisexuell ist, und trotzdem immer und immer wieder in diese Welt eintauchen will um sich dem Karatekämpfer hinzugeben? Man sagt, die heutige Zeit verunsichere den Menschen mehr denn je, was die sexuelle Identität betrifft. Auf Facebook kann man zwischen mehr als 40 Identitäten wählen.
Nicht alles ist stimmig in „Striking Vipers“, gerade der Beginn suggeriert, dass hinter der Freundschaft zweier Männer etwas mehr steckt als nur Freundschaft.
Aber gerade das Ende ist so zwingend wie bitter, mit diesem harten Ehe-Arrangement: Es macht keinen Unterschied, ob man in der künstlichen Welt seinen Ehepartner betrügt, oder in der echten. Beide geben ihrer Lust nach. Sonst keine Erfüllung, sonst kein Frieden.
11. „Loch Henry“ – „Loch Henry“ (Staffel 6, Episode 2)
Ein sehr guter Horrorfilm mit Twist, wenn auch kein einhundertprozentiges „Black Mirror“-Material; dass dem Fernsehen (hier als Streamingdienst Streamberry getarnt) die Sensation wichtiger ist als das dafür geopferte Menschenleben, ist eine Nice-to-have-Pointe, aber kein Muss, um aus „Loch Henry“ einen überzeugenden Thriller zu machen.
Stimmungsvolle Massenmörder-Visuals (Polaroids von Gekidnappten in Schockstarre, krisselig-eklige VHS-Videos), dazu ein bitterböser Kommentar zum Massentourismus – es ist schon fast traurig, dass eine gelungene „Black Mirror“-Episode, die einzige rundum gelungene der sechsten Staffel, so wenig mit dem Brooker-Prinzip zu tun haben kann.
10. „Mach, was wir sagen“ – „Shut up and dance“ (Staffel 3, Episode 3)
Ein Teenager (Alex Lawther) wird erpresst, weil die fremdgesteuerte Laptopkamera ihn beim Onanieren aufgezeichnet hat. Per SMS erhalten er und andere Kompromittierte Anweisungen um kriminelle Aufträge zu erledigen (die Schweighöfer-Serie „You Are Wanted“ zitierte das bewusst oder unbewusst), sonst, drohen die Hacker, werde das Videomaterial ins Netz gestellt.
Was als eine Satire auf Menschen mit nachlässigem Sicherheitsverhalten im Internet beginnt, entwickelt sich im Laufe der Handlung zu einer schmerzvoll anzusehenden Geschichte über einen Heranwachsenden, der seinen Fehler längst bereut hat, aber aus der Nummer nicht mehr rauskommt. Die Szenen Lawthers mit seinem Partner in Crime, einem ebenfalls erpressten, betrügerischen Ehemann (toll wie immer: Jerome Flynn alias Ser „Game Of Thrones“ Bronn) sind spot on, der Banküberfall knallhart, und die Aufforderung zum Arena-Kampf ist ein Schocker.
Es ist der Twist, der aus einer großartigen Folge beinahe eine miese Angelegenheit macht: Teenager Kenny, der am Anfang mit nur wenigen Alltagsszenen zu einem guten, soliden Typen aufgebaut wurde, verspielt sich durch die Aufdeckung des Verbrechens, das er vor dem Computer begangen hat, alle Sympathien. Muss so sein, keine Frage. Aber dass wir uns schlecht fühlen, weil wir mit ihm gefiebert hatten, erscheint unfair – denn wir hatten ja keine Ahnung.
Die Frage, wann jemand für sein Vergehen ausreichend gesühnt hat, kann keiner beantworten: Hauptfigur nicht, Filmemacher nicht, wir nicht.
09. „Erlebnishunger“ – „Playtest“ (Staffel 3, Episode 2)
Eine echte Horror-Episode aus dem „Black Mirror“-Kosmos: mit einer Geistervilla, Jumpscares und massiven Fäusten, die nach Mitternacht an die Haustür klopfen. Ein langhaariger Globetrotter mit unsicherer Elternbindung lässt sich auf ein Experiment ein, das alle Geek-Träume wahr werden lässt: Ihm wird ein Chip eingepflanzt, der die größten Ängste visualisiert (darunter Monsterspinnen und der Schulhofschläger von einst).
Toll geschnitten und ausgeleuchtet, als Genre-Werk überzeugend. Die traurige Wendung besteht darin, dass der Sonnyboy Cooper am Ende lernen wird, dass auch die längste Weltreise nicht die Probleme zuhause löst. Mom macht ihm am Ende, ungewollt, einen Strich durch die Rechnung.
08. „Wiedergänger“ – „Be Right Back“ (Staffel 2, Episode 1)
Zum Auftakt der zweiten Season wurde mit Domhnall Gleeson der erste richtige Filmstar engagiert, und die Produktion sieht bereits aus wie aus Hollywood. Die menschelnde Familiengeschichte könnte auch von Ray Bradbury stammen: Wird eine Ehefrau auch die künstliche Kopie ihres Mannes lieben?
Ash ist bei einem Autounfall gestorben, eine Website bietet der Witwe an einen Wiedergänger zu konstruieren. Der ist zwar eine Maschine im Bett (anscheinend ein Vorteil), zeigt aber kaum Charakterentwicklung. Martha zweifelt an ihrer Entscheidung.
Dass die Macher des Roboters alle ihre Informationen samt Stimmproben des Toten lediglich aus den frei verfügbaren sozialen Netzwerken bezogen haben (denn dort geben wir eh alles über unser Leben preis), ist ein Clou. Noch besser ist das Erzähltempo: mit 45 Minuten eine der kürzeren Folgen, schaffen es Brooker und Harris doch innerhalb der ersten zehn eine Romanze so zu erzählen, das wir ganze Leben kennen lernen, so lange, bis einer der beiden Hauptfiguren aus dem Leben gerissen wird – so gut, wie es zuletzt Pixar mit „Up“ gelang.
07. „Böse Neue Welt“ – „White Bear“ (Staffel 2, Episode 2)
Eine Frau wacht in einem unbekannten Zimmer auf, kann sich an nichts erinnern und wird kurze Zeit später schon von maskierten Killern gejagt. Und lautlose Menschen, die an Zombies erinnern, stehen am Straßenrand, filmen mit ihren Handys alles mit. Deren Gehirne sollen, wie wir später erfahren, durch ein Tele-Signal geröstet worden sein.
Diese Prämisse ist derart gruselig, dass der auf gewichtiger Kommentar getrimmte Twist á la „Running Man“ fast alles zerstört. Aber die ersten 35 Minuten sind spannend, beklemmend, brutal – Weltklasse.
06. „Das Leben als Spiel“ – „15 Million Merits“ (Staffel 1, Episode 2)
Der beste Beweis dafür, dass mit wenig Budget die besten Stories und auch die glaubwürdigsten Welten entwickelt werden können. Lustigerweise wird das Bild dieser bösen Zukunft, in der fitte, junge Menschen in Fitness-Centern Strom für das Land erzeugen müssen, ausschließlich in geschlossenen Räumen, Studios und Schlafzellen entworfen. Die Welt der Zukunft bleibt im Verborgenen. Und dennoch ahnt man, wie böse erst Recht das Leben draußen sein muss.
Perfektes, effizientes Produktionsdesign: halb „Logan’s Run“, halb „Pop Idol“. Es der Traum der jungen Leute, aus ihren Käfigen auszubrechen – draußen wartet ein Leben als Pornodarsteller oder Casting-Star. Rupert Everett, der im Allgemeinen viel zu selten zu sehen ist, spielt einen schmierigen Simon-Fuller-Verschnitt, der jeden „Jury-Call“ zum Alptraum macht.
05. „Bandersnatch“ (Film)
Als Zuschauer aus Perspektiven auszuwählen, das gab es zwar schon in den Nullerjahren bis heute, im Öffentlich-Rechtlichen. Als Zuschauer aber als Gott adressiert zu werden, weil man über komplette Biografien, Kindheitstraumata, Familientragödien und den Tod entscheiden kann, das gab es wohl noch nicht.
Per Mausklick wurden vom Autoren dieser Zeilen u.a. folgende Entscheidungen getroffen, für den Protagonisten Stefan, einem jungen, neurotischen Spiele-Programmierer im Jahr 1984, der „Bandersnatch“ kreieren will – eine Variante des Intellivision-Konsolenspiels „Treasure of Tarmin“:
- „Sugar Puffs“ statt „Frosties“ zum Essen
- Thompson Twins statt Now auf dem Walkman hören
- Band-Album im Laden gekauft: The Bermuda Triangle statt Phaedra
- Job bei Tuckersoft ablehnen
Danach die erste fatale Entscheidung „Gottes“, zurück also auf Start: „Tee über den Computer schütten“ statt „Dad anschreien“. Netflix, lernen wir, ist ein mächtigerer Gott als der Zuschauer-Gott: Der Rechner darf nicht zerstört werden. Schade! Ein Film-Ende nach ca. 45 Minuten.
Alternative: „Bei Tuckersoft arbeiten“ oder „Zurückgehen“? Zurückgehen! „Dad anschreien“ also statt „Tee verschütten“. Stefan folgt dann seinem Programmierer-Kollegen, dem genialen Entwickler Colin, in dessen Wohnung. Der Erfolgsschlager „Pac-Man“, so Colin, sei in Wirklichkeit ein Ausdruck zynischer Betrachtung dessen dumpfer Konsumenten: stets am Fressen und sich verfolgt fühlen, so sind die Gamer, so ist der Pac-Man. „PAC“ stehe für „Program and Control“: die totale Überwachung.
Der LSD-Trip der beiden Männer hat fatale Folgen (man entscheidet sich für „Colin springt“ statt „Stefan springt“ vom Balkon des Hochhauses), und „Bandersnatch“ ist nun schon sehr weit fortgeschritten in der – durchaus konventionellen, häufig erzählten – Geschichte des Computer-Genies in 1980er-Kulissen (mit krisseligen Bildschirm-Darstellungen, klobigen VHS-Rekordern und seitenweisen Codes in dicken Büchern, wahnhaft eingetippt), dessen Paranoia seine Intelligenz noch übersteigt.
Colin spricht von mehreren Realitätsebenen: Sind die „Metl Hedds“ alias „Metalheads“ (Platz 5 im Ranking), als Spiel von Tuckersoft im Programm, längst todbringende Wirklichkeit? Lernen Computer von den Menschen, wie sich die Welt kontrollieren lässt?
Gott Netflix
Es gibt ablenkende, womöglich Konsequenz-freie Entscheidungen („Am Ohr ziehen“ oder „An den Fingernägeln kauen“), und zum Finale einen etwas zu deutlichen Bezug zu unserer Realität, als Stefan an seinem Heimbildschirm mit Netflix an sich konfrontiert wird: „I am watching you on Netflix, I make decisions for you“. Zu seiner Psychiaterin sagt Stefan: „Jemand aus der Zukunft kontrolliert mich!“ – Sie antwortet: „Was ist Netflix – ein Planet?“
Die bittere Pointe: Es spielt keine Rolle, ob das mit dem Kindheitstrauma verbundene Objekt, hier ein Stoffhase, eine positivere Besetzung erfährt, ob der Umgang damit gar dazu beiträgt, den Lauf der Familiengeschichte zu ändern. Das Schicksal Stefans bahnt sich auch so seinen Weg.
Oder doch nicht? Gleich mal von vorne mit „Bandersnatch“ beginnen – und den Job bei Tuckersoft annehmen.
Vielleicht hätte es bereits einen Unterschied gemacht, wenn ich in den ersten Minuten zu Frosties gegriffen hätte …
04. „Metallkopf“ – „Metalhead“ (Staffel 4, Episode 5)
Die beste Folge der bislang meisterwarteten „Black Mirror“-Staffel ist ausgerechnet auch diejenige, die ganz ohne Twist auskommt. „Metallkopf“ ist ein ultraharter Chase-Film in schwarzweiß, mit 41 Minuten auch der kürzeste der Season, mit einem Kampfroboter, wie aus Philip K. Dicks Alptraum-Welt „Variante Zwei“ entsprungen. Ein künstlicher Hund aus der Hölle, derart vielseitig, dass man sich einen eigenen Kinofilm mit ihm wünschen würde.
Es wird innerhalb der Folge nicht erklärt, aber es scheint klar, dass die dackelgroßen Kampfmaschinen in dieser Robocalypse längst die ganze Welt überrannt haben. Einer von ihnen wird erledigt, weil er sensorisch überfordert wird von einer Errungenschaft des Menschen, der Kultur, hier der Musik. Aber es werden auch die Gefühle des Menschen sein, Sentimentalität und Liebe, die zu keinem guten Ende für uns führen.
„Metallkopf“ sieht aus wie ein Indie-Horrorfilm, schick, aber preiswert hergestellt. Und die Verfolgungsjagd beinhaltet in einer knappen halben Stunde etliche schlimme Szenarien. Bei der Flucht Bellas vor dem Roboter, zu Fuß, per Auto, auf einem Baum, in ein Haus, aus dem Haus raus, werden alle Sinne beansprucht – ihre und die des Roboters. Dass der „Hund“ als Waffe der Wahl in einem Haus, obwohl er sein Metallkorpus über deutliche höhere Effizienz durch Schusswaffen verfügt, zum Küchenmesser greift, erscheint als Persiflage auf Slaughterhouse-Horror. Der Roboter hat Humor.
Regisseur David Slade („Twilight: Eclipse“, „30 Days Of Night“) zeigt, dass „Black Mirror“ auch Action kann.
Alles richtig gemacht.
03. „Weiße Weihnacht“ – „White Christmas“ (Staffel 2, Episode 4)
„Worin haben Sie in ihrem früheren Leben gearbeitet? Im Marketing?“ – Matt Trent lächelt, aber winkt ab. Matts Darsteller Jon Hamm lächelt natürlich auch – und winkt ab. Mit Selbstironie also meistert der „Mad Men“-Schauspieler diese Figur, die so viel Ähnlichkeit mit seinem Werbegenie Don Draper hat. Beides sind eitle, aber von Zwängen erdrückte Menschen, die zu spät erkennen, dass deren Umfeld ein Urteil längst gefällt hat.
In einer kammerspielartigen Situation, exerziert mit den besten Dialogen der Serie, soll Trent seinem Berghütten-Kumpan Joe ein Geheimnis entlocken. Die Hintergrundgeschichten beider Figuren sind komplex, traurig und versponnen.
Die Strafen für beide auch.
02. „Der Wille des Volkes“ – „The National Anthem“ (Staffel 1, Episode 1)
Neben „Waldo“ der zweite Moment der „Black Mirror“-Meisterschaft, Unglaubwürdiges als absolut stringent darzustellen, weil die Protagonisten selbst das System zu keiner Zeit in Frage stellen.
In England wird die Prinzessin entführt – und getötet, falls der Premierminister nicht vor laufender Kamera Geschlechtsverkehr mit einem Schwein vollzieht. In einem Wettrennen mit der Zeit werden alle Möglichkeiten, Täuschungsmanöver sowie Konsequenzen abgewogen. Die Leute in den Pubs johlen allein bei der Vorstellung, den Staats-Chef bei einer Sodomie zuzusehen.
Was sollen die Briten auch von ihren Politikern halten, die allesamt aus exklusiven, privilegierten Zirkeln stammen, und derem höchsten Amtsträger, wie David Cameron, nachgesagt wird, sie hätten einst als Mutprobe selbst etwas mit einem – toten – Schwein gemacht.
Es ist ein krankes Bild, das von der britischen Gesellschaft gezeichnet wird: Royals als Starlets, die mehr zählen als die Regierenden; und das Volk ist sensationsgeil, hat aber kein Langzeitgedächtnis – ein Jahr später denkt keiner mehr an die Affäre Schwein.
Der Schluss bietet die Pointe: Denn sie lenkt den Blick auf diejenige Person, die unter dem Sex möglicherweise am meisten zu leiden hatte.
01. „Das transparente Ich“ – „The Entire History Of You“ (Staffel 1, Episode 3)
Alles, was wir je mit unseren eigenen Augen gesehen haben, wird mit einer Kamera aufgezeichnet und kann jederzeit auf der Netzhaut neu abgespielt, zurückgespult, in Zeitlupe … seziert und entzaubert werden.
Wie schlimm es sein kann, die Gnade des Vergessens und die Gnade selektiver Aufmerksamkeit abzuschaffen, zeigt dieses Beziehungsdrama: Jedes Kopfnicken, jedes Lächeln seiner Frau, das Liam sich immer wieder anschaut, jedes auf volle Lautstärke gedrehte Flüstern, überzeugt ihn, dass Ffion ihn betrogen hat.
Am Ende weiß der Zuschauer nicht mehr, auf wessen Seite man stehen soll – denn selbst, wenn der Cyber-Sherlock Recht hat, stellt sich die Frage, wieviel Detektivarbeit erlaubt sein darf ohne Privatsphären zu zerstören. Und ob das Nicht-Wissen nicht der einzige Zustand sein kann, damit wir gesund bleiben.
Das totale Gedächtnis, erweitert um Zoom und Zeitlupe, ist eine verlockende Option, das macht es so schlimm.