Black Francis im Pixies-Interview: „Wie morbid! Man verliert seinen Kopf!“
Geköpfte Hühner, Untote und fockin' good songs: Die Pixies veröffentlichen „The Night the Zombies came“
Mit „The Night The Zombies Came“ veröffentlichen die Pixies ihr zehntes Album. Wir sprachen mit Black Francis, 59, über die Einflüsse der neuen Platte – und das Vermächtnis seiner einflussreichen Band.
Nach der Pixies-Reunion von 2004 hatte es neun Jahre bis zum ersten neuen Album gedauert. Sie sagten damals: Vielleicht nehmen wir einfach einen Soundtrack zu einem Sci-Fi-B-Movie auf. Nun erscheint der imaginäre Score endlich, wenn auch zu einem B-Horrorfilm.
Von einem Traum, der endlich wahr geworden ist, würde ich nun nicht sprechen. Ich gehe nicht ins Studio mit einer Vision. So funktioniert das bei mir nicht. Ideen aber habe ich durchaus. Wenn ich mir unsere Gruppe so anschaue, Joey (Santiago, Gitarrist), Dave (Lovering, Schlagzeuger) nun Emma (Robertson, neue Bassistin), dann denke ich: Wir wirken schon cineastisch.
Gerade bei Joey. Bei den Aufnahmen denken wir eigentlich immer ans Kino, nutzen Kino-Vokabular. Alle Songs, die wir produzieren, so male ich mir das aus, sind Erzählungen nicht über uns, sondern Erlebnisse anderer. „The Night The Zombies Came“ ist der Soundtrack zu einem Film, der nicht existiert. Das heißt, doch: In einer alternativen Realität.
„Wie Hühner geköpft werden und dann noch für ein paar Sekunden rumrennen“
Kennen Sie „Mike the Headless Chicken“?
Nein!
Ein Huhn, das geköpft wurde und danach noch zwei Jahre lebte. Zwischen 1945 und 1947 lebte Mike, wurde in Amerika zur Attraktion. Daran erinnerte mich ihr neuer Song „Chicken“.
Ich singe darin „Sometimes I feel like a chicken / Pecking my way through the trees/ When something aloft cuts my head right off / Now I’m dealing with decapitation“. Es gibt ein englisches Sprichwort. „How are you today?“ – „Oh, I’m having a difficult time. I’m so busy. I’m running around like chicken with its head cut off.“ Oder: „Please, relax. You don’t need to run around like a chicken with its head cut off.“ Ich habe versucht mich in das Leben von Farmern hineinzuversetzen, solche, die mit Geflügel leben. Farmer, die ihre Tiere irgendwann schlachten, und das mit ansehen. Wie Hühner geköpft werden und dann noch für ein paar Sekunden rumrennen.
Was gefällt Ihnen daran?
Also, mich hat der Horror an dieser Vorstellung fasziniert. Wie morbid: Man verliert seinen Kopf und hat doch noch genug Leben in sich, um … nun, mich hat der Gedanke über solche finalen Momente zum ersten Mal vor zirka acht Jahren bewegt. Damals nahmen wir das Album mit dem Namen „Head Carrier“ auf. Da ging es aber nicht um Hühner. „Head Carrier“ behandelte katholische Mythen um Heilige, die geköpft wurden. Ich denke da an Dionysius von Paris. Ein Bischof aus dem 3. Jahrhundert, der als Heiliger verehrt wird. Er wurde von den Römern geköpft.
„Dionysius habe sein abgeschlagenes Haupt aufgenommen“
Dionysius habe sein abgeschlagenes Haupt aufgenommen, gewaschen und sei damit in den in Händen noch sechs Kilometer marschiert. Bis zu der Stelle, wo er begraben werden wollte. Dionysius von Paris hat dabei noch geredet. Das gilt als Wunder.
Da haben wir sie ja: die Zombies.
Die Idee schwirrte einfach in meinem Kopf herum. Ich brauchte halt nur einen Text dazu. „Running around like a chicken, with its head cut off“, so hatte ich mich gefühlt. Was bedeutet das eigentlich? Mich interessieren hier die Millisekunden. Denken Sie mal an die Guillotine. Kopf ab, und für kurze Zeit ist noch Leben im Körper. Ein Übergangsmoment. Man ist tot und lebendig zugleich. Dead und Doomed zugleich. In „Chicken“ geht es mir um Mikro-Momente. Darum, die Zeit ein wenig zu verlangsamen. Der Song geht ja nur drei Minuten. Das halten Sie hoffentlich aus.
Schauen Sie Zombiefilme an?
Ich bin kein großer Zombie-Fan im Speziellen, und kein Horror-Fan im Allgemeinen. Aber ich erinnere mich an meine Zeit als Student in San Juan, Puerto Rico. An der Universität war ich nicht allzu oft anzutreffen. Im Kino umso öfter. Mitte der 1980er-Jahre war das. Da lief ein Zombiefilm rauf und runter. Ein Mainstream-Film. Mit Punk-Rock- und Metal-Flair. Punk-Kids, die gefressen werden. Ich glaube, der hieß … helfen Sie mir bitte aus.
1985 und Punk? Das könnte Dan O’Bannons „Return of the Living Dead“ gewesen sein.
Ja, genau. Das war der größte Zombiefilm seiner Zeit. Klasse Streifen. Der lief in San Juan in einem wunderschönen Kino. Samtene Vorhänge, wohin man auch sah. Es lag auf meiner Strecke zum Strand. Jeden Tag fuhr ich zum Strand. Aber stieg vorher aus, um mir „Return of the Living Dead“ im Kino anzusehen. Fünf Monate am Stück lief der dort, meinen ganzen Sommer lang. Ich sah ihn mehrmals die Woche, mitten im Tag. Ich hatte das ganze Kino für mich allein.
Die Romero-Klassiker wie „Night of the Living Dead“ von 1968 wurden Mitte der 1980er auch wiederentdeckt. Zog ich mir auch rein. Für meine damalige Freundin waren diese Filme zu düster. Zu wütend. Ich bevorzugte „Return“ gegenüber Romero. Der war einfach lustiger, subversiver. Der Film hat sich in mir eingenistet, keine Frage.
Welche noch?
Jüngst sah ich einen Zombiefilm mit Vincent Price. Aus den frühen 1960er-Jahren. Gedreht in Los Angeles. Price wacht jeden Morgen auf. Er ist der letzte Mensch auf Erden.
„The Last Man On Earth“, basierend auf Richard Mathesons Roman „Ich am Legend“. In späteren Verfilmungen spielten Charlton Heston und Will Smith die Hauptrolle.
Toller Streifen! Also, die beiden sind’s für mich. „Return of the Living Dead“ und „The Last Man On Earth“.
„Wir sind keine ‚Extra Tracks‘-Band“
Im Frühjahr spielten sie erstmals die Alben „Bossanova“ (1990) und „Trompe Le Monde“ (1991) in voller Länge live. Wird es Reissues geben – etwa mit unveröffentlichten Songs wie „Brackish Boy“?
Vielleicht. Ich hatte „Brackish Boy“ schon ganz vergessen, ehrlich gesagt. Ich müsste dazu auch mit Gil Norton reden, der die Alben produzierte. In wenigen Wochen zumindest beginnen wir mit der Arbeit an Stücken, die es damals nicht auf Pixies-Alben schafften. Skizzen. Es ist leider so, dass wir damals nahezu alles, was wir aufnahmen, auch veröffentlichten. Wir sind keine „Extra Tracks“-Band. Archiv-Material ist nicht unsere Sache, fürchte ich. Zumindest nicht, was die Alben der ersten Phase betrifft.
Wir arbeiteten so schnell damals … wir konnte kaum das Verlangen nach Content stillen, das wir bei unserer Plattenfirma geweckt hatten. Damals gab es ja auch noch Singles. Also physische Veröffentlichungen. Wir mussten B-Seiten einspielen, viele. Alles, was übrig war, wurde B-Seite. Eine Deluxe-Edition von „Trompe Le Monde“ würde „Brackish Boy“ beinhalten. Mehr aber wohl leider nicht! Wobei, doch, es gibt noch eine Version von „Surf Epic“.
Ein zehnminütiges Instrumentalstück, das Sie 1993 als B-Seite zu ihrer Solo-Single „Hang On To Your Ego“ veröffentlichten.
Kim (Deal, erste Pixies-Bassistin) hatte den Song nochmal aufgenommen. Wir hatten sie als Sängerin für die Pixies-Version vorgesehen. Ich glaube, sie hat ihre Fassung unlängst auf einer Breeders-Kollektion herausgebracht. Sie singt darin nun über einen Clown, oder? Einen Clown im Zirkus.
Sie denken sich viele Persönlichkeiten aus. „Velouria“, nun „Johnny Good Man“ und „Earnest Evans“. Warum?
Das sind die Geschichten, die mich interessieren. Die Geschichten anderer. Wir leben doch eh schon in einer Selfie-Welt. Jeder Song muss unbedingt autobiografisch sein. Ich weiß nicht, wann es damit anfing. Aber wer heute nicht von sich selbst singt, hat keinen Erfolg mehr. Das ist kein Vergleich mehr zu Bob Dylan. Der hat in den 1960er-Jahren als Erster von sich gesungen – aber er tat nicht so, als sei das das Wichtigste auf der Welt. Die Kehrseite: Alles, was heutige Stars singen, wird für wahre Geschichten gehalten. Deshalb werden Musiker heute auch gecancelt, wenn sie etwas Offensives singen, etwas, das politisch inkorrekt ist.
„Ich habe soooo viele Sorgen!“
Über die Jahre habe ich festgestellt: Je konkreter ich über mich selbst singe, desto langweiliger sind die Lieder. Was aber auch gilt: Wenn ich über andere oder fiktive Personen singe, handeln die Lieder auch irgendwie von mir. „Earnest Evans“ repräsentiert mich dann irgendwie doch. Sobald ich über mich ganz konkret schreibe? Das wird einfach nur esoterisch. Wenn es gut wird. Im schlimmsten Fall wird’s einfach nur langweilig. „Ich habe soooo viele Sorgen!“ Das will doch keiner hören.
Welche musikalischen Momente von Joey, David und Emma gefallen Ihnen am besten?
Joeys Gitarrensolo am Ende von „Chicken“. Es ist nicht besonders flamboyant oder exzentrisch. Eher bluesy. Uns fehlte bei diesem Stück ein konkretes Ende. Also bat ich Joey um ein Outro. Das bot ihm die Gelegenheit zu etwas, das er gern mag. Einfach spielen und schauen, was passiert. Bei Emma mag ich ihren Co-Gesang auf, wie heißt das Lied nochmal … ich singe, „I Lost My Dog In Vegas“.
„Mercy Me“.
„Mercy Me“! ich hatte mir für das Interview vorgenommen, ein Zettel mit der Tracklist der neuen Platte parat zu halten! Oft vergesse ich die Titel meiner eigenen Songs. Emmas Gesang auf „Mercy Me“ mag ich. Besonders dann, wenn ich leiser werde und sie mich als Sängerin ablöst. Relaxed und rein, so klingt sie. Nie so, als würde sie sich abmühen. Was David angeht, da muss ich länger drüber nachdenken – aber ich komme hoffentlich drauf zurück.
„Ich sehe die Pixies eher auf einer immerwährenden Reise“
„The Night The Zombies Came“ ist das fünfte Pixes-Album seit der Reunion. So viele, wie sie vor der Trennung 1993 veröffentlicht hatten. Denken Sie oft über das Vermächtnis der Band nach?
Ich sehe die Pixies eher auf einer immerwährenden Reise. Als wir jung waren, herrschte eine ganz gewisse Art von Aufregung. Wir haben einen Club ausverkauft! Nun eine Halle! Wir sind auf einem Magazincover! Im Fernsehen! Es gab damals nur einen einzigen Fokus: das nächste Level erreichen. Und natürlich hat uns interessiert, wie viele Platten wir verkaufen, wie viele Tickets wie absetzen. Wo stehen wir in den Charts? Nach unserer Reunion 2004 rückten all diese Fragen in den Hintergrund. Ich erinnere mich an unseren ersten Auftritt beim Glastonbury-Festival, 1989.
Was war da?
Nach uns trat eine Band auf, die sehr groß war, kurzzeitig groß, und die hatten eine entsprechend opulente Bühnenproduktion aufgefahren.
Lassen Sie mich kurz nachsehen. Das könnten The Wonder Stuff gewesen sein.
Konfetti, Ballons, all solcher Wonder Stuff. Deren Tourmanager hatte unserem zuvor einen Vortrag darüber gehalten, was einen beim Konzert dieser Band erwartet. Was einen denn bei den Pixies erwarte, wollte der auch wissen. Unser Tourmanager Chas Banks, ein echter Brite, hatte eine einfache Antwort parat: „25 good fockin‘ songs!“. Und ging ein Licht auf. Ja, 25 verdammt gute Lieder. Die hatten wir. Und das reichte aus. Darum machen wir auf der Bühne auch so selten Ansagen. Musik reicht.
„I wanna ring the bell“
Banner lassen wir auch weg. Kein P-I-X-I-E-S. Einmal tourten wir mit einem großen „P“ im Hintergrund. Das war schon einigermaßen Borderline, würde ich mal sagen! Manchmal hängen Venues so etwas auch von selbst auf. Die meinen das gut. Aber unser erster Kommentar lautet: Bitte weg damit. Die Leute wissen doch, wer wir sind.
Jim Reid von The Jesus and Mary Chain denkt übrigens immer noch, dass Ihre Coverversion von „Head On“ seinem Original überlegen ist.
Einer der Gründe, warum wir das immer noch covern, so gut wie jeden Abend: Weil wir es nicht perfekt abliefern können, es aber unbedingt wollen. Noch nicht mal auf dem „Trompe Le Monde“-Album ist uns das gelungen. Wir sind noch nicht am Ziel. „Tonight is the night“, denke ich immer. I wanna ring the bell. Dasselbe mit dem Cover von Neil Youngs „Winterlong“. Ich bin nicht zufrieden. We haven’t made magic yet.
Im Februar spielen Sie ihr zweites Soloalbum „Teenager of the Year“ von 1994 live in voller Länge. Wie weit sind Sie mit den Proben?
Wir reden bislang nur, wir proben noch nicht. Mein Day Job bleiben die Pixies, aber ich gehe mit meinen damaligen Musikern auf Tour. Wir ergänzen das Set um Lieder aus meinem ersten Solowerk, „Frank Black“. Ich denke an „Los Angeles“ und „Ten Percenter“, „I Heard Ramona Sing“. Vielleicht fahre ich mit dem Hovercraft-Gefährt aus dem „Los Angeles“-Video ja auf die Bühne!