Bis daß der Blues uns scheidet
Musikalisch oft genug medioker, textlich hin und wieder reaktionär - dennoch standen Musiker wie Peter Green, Jack Bruce oder Eric Clapton bei ihm Schlange. John Mayall, immer noch pausenlos an the road, läßt 40 lange Jahre Blues Revue passieren.
Ist heute Sonntag? Dann muss das da draußen Leeuwarden sein, gut eine Stunde Busfahrt nördlich von Amsterdam. Es ist der 19. Tag von John Mayalls Europa-Tournee. 20 weitere Gigs werden folgen, jeden Tag einen ohne Pause.
Leeuwarden selbst wehrt sich erfolgreich gegen jeden Versuch impressionistischer Reisebeschreibung. Das Lokalkolorit beschränkt sich auf ein paar Hausboote, die verloren im öligen Kanalwasser schaukeln. Auftrittsort ist eine Betonschachtel namens „De Harmonie“, und ein breiiger Set der holländischen Vorgruppe – Wie war der Name noch mal? Irgendwas mit Hühnern. Headless Chickens? Immaculate Chickens? Chickens Without A Cause? – läßt vermuten, daß die Chancen auf einen vernünftigen Sound nicht sehr groß sind. Jeder Ton landet postwendend wieder auf der Bühne. Die Männer am Mischpult sind ratlos. Doch einen Bluesbreaker kann so etwas nicht erschüttern. „Bei uns sind Leute schon für besseren Sound geflogen“, brummt Mayall, und Joe Yuele, Rick Cortes und Buddy Whittington beantworten das mit dem schiefen Grinsen von Männern, die schon einiges mitgemacht haben.
Was soll’s. Wenn man bei John Mayall spielt, heißt es, Ärmel hochkrempeln, Instrumente in die Halle schleppen, 90 Minuten den Blues spielen, Instrumente wieder rausschleppen und zurück in den Bus. Popstar-Allüren werden hier nicht geduldet Die ideale Bluesband sollte funktionieren wie eine gut geölte Maschine, meint Mayall. Erst wenn Disziplin herrscht, wenn die Bandmitglieder wissen, wie sie auf und hinter der Bühne zusammenzuarbeiten haben, erst dann ist Platz für ein Quentchen Selbstverwirklichung.
Irgendwie überrascht es nicht, daß Mayall seine Musik als Soldat in der britischen Armee gefunden hat; er verwendet sogar den Ausdruck „Truppenbewegungen“, wenn er von den Personalveränderungen in seinen Bands spricht Und obwohl er behauptet, sein Ruf ab despotischer Bandleader sei schamlos übertrieben, zeigt er sich in seinen Songtexten häufig von der harten Seite – von der Warnung „Schmeißt keine Steine auf Polizisten“ in „The Laws Must Change“ (geschrieben 1968!), bis zu „An Eye For An Eye“, in dem er erschreckend vehement für die Todesstrafe eintritt. Selbst auf dem neuesten Album „Spinning Coin“ ergeht sich Mayall in „Remember This“ über die gute alte Zeit, in der Polizisten um den Spielplatz patroullierten und nach dem Rechten sahen. Andererseits war er der erste und bisher einzige Bluesman, der Songs über den Umweltschutz geschrieben hat und dessen abwechslungsreiche Diskographie von einem musikalischen Liberalismus zeugt, der für das von ihm gewählte Genre eher untypisch ist John Mayall ist schon so lange auf seinem Blues-Feldzug, daß es scheint, als wäre es nie anders gewesen. Alle zehn Jahre rückt er durch ein „Blues-Revival“ kurzzeitig etwas mehr ins Rampenlicht, doch in der restlichen Zeit macht er auf seinem „Kreuzzug“ (um einen alten Albumtitel zu zitieren) nur in Gubs der B-Klasse Station. Grund zur Beschwerde ist das für ihn nicht Rock-Glamour hat ihn nie interessiert Was zählt, so sagt et, „ist die Befriedigung und der Selbstrespekt, den man daraus schöpft, daß man durchhält und nicht von seinem Weg abweicht – obwohl es stimmt, daß ich trotz der ganzen Arbeit nicht mehr vorweisen kann, als ein Leben lang den Blues gespielt zu haben“.
Hinter der Bühne in Leeuwarden hat der „Vater des britischen Blues“ seine Nickelbrille abgelegt und ist mit Hilfe einiger Navajo-Recjuishen – ein Paar baumelnder Türkis-Ohrringe, Türkis- und Silberketten – zu einer Art Bufialo-Bill-Verschnitt mutiert, einem silberhaarigen Zirkusdirektor. Einen gewissen verwegenen Charme kann man ihm nicht absprechen-wie viele von uns werden mit 61 noch so cool aussehen? -, aber was sagt der Purist dazu, daß sich einer verkleidet, um den Blues zu spielen?
In den 60er Jahren waren nicht alle seiner Mitspieler von Mayalls Indianermoden und dem sorgfältig kultivierten Lederstrumpf-Image angetan. Jon Hiseman zum Beispiel. Wenn sich die Bluesbreakers (etwa zur Zeit von „Bare Wavres“ auf die Autobahn begaben, um zum nächsten Gig zu fahren, saßen sechs Bandmitglieder mitsamt Ausrüstung im Bus, während Mayall auf dem Dach lag und versuchte, sich unter dem verhangenen englischen Himmel in einen haselnußbraunen Apachen zu verwandeln. So hatte sich ein Bandleader nicht zu benehmen! Und warum lebte dieser Mann, so fragten sich Insider, ausgerechnet in einem Baumhaus – und das in Nordengland? (Die Boulevardzeitungen zollten diesem Umstand in der klassischen Schlagzeile Tribut: „Tarzan John entführt Braut in Liebeslaube“.) Warum ließ er sich wenig später mit Lendenschurz im Laurel Canyon fotografieren? „Er ging mit nacktem Oberkörper auf die Bühne!“, erinnert sich Eric Clapton mit Schaudern in seiner Biographie.
Solche (trivialen) Fragen ließen manchen vergessen, daß ein gehöriges Quantum romantischen Rollenspiels ohnehin unverzichtbar war, wenn man ein englischer Bluesmann sein wollte. Konnten Lederfransen und Stirnbänder das noch schlimmer machen? Schließlich gab es auch keine Klagen, als sich Sonny Boy Williamson II entschloß, als Londoner Gentleman mit Melone, Nadelstreifenanzug und aufgerolltem Regenschirm aufzutreten!
Wie auch immer: Auf seinem Gebiet war Mayall tatsächlich eine Art Bufialo Bill: ein Fährtensucher und Kundschaften Er mag mitunter Theater spielen (und wäre wahrscheinlich der erste, der das zugeben würde), aber durch ihn haben Generationen von Zuhörern den Blues kennengelernt Und seine Bands, besonders die frühen, haben die Rockgeschichte nicht unwesentlich beeinflußt Als die Rolling Stones 1969 nach einem Ersatz für Brian Jones suchten, statteten sie einfach der anerkannten Ausbildungsstätte für britische Blues-Talente – alias John Mayalls Bluesbreakers – einen Besuch ab und kamen mit Mick Taylor im Schlepptau zurück. Die Liste der Musiker, die Mayalls Schule durchlaufen haben, ist beeindruckend. In den Sechzigern gehörten dazu Peter Green, John McVie und Mick Fleetwood (drei Viertel der Original-Fleetwood Mac), Eric Clapton und Jack Bruce (zwei Drittel von Cream), Jon Hiseman, Dick Heckstall-Smith und Tony Reeves (drei Fünftel von Colosseum), Andy Fräser (Mitbegründer von Free), Aynsley Dunbar (der später für die Mothers of Invention und Jeflerson Starship trommelte), Jon Mark und Johnny Almond (die dann was schon? – Mark/Almond gründeten), Hughie Flint (anschließend Co-Leader von McGuiness-Flint und Drummer der Blues Band), der Folk-Gitarrist Davy Graham, Trompeter/Violinist Henry Lowther (immer noch einer der am meisten geschätzten Spieler der Londoner Improvisationsszene) und Dutzende mehr.
In den Siebzigern ging es ähnlich weiter. Bei Mayall heuerten unter anderem an: Harvey Mandel (ging danach zu Canned Heat), Jimmy McCullough (wurde von Paul Mc-Cartney für dessen Wings abgeworben) und Sugarcane Harris (pendelte zwischen Mayalls Band und Zappa). Eine Zeitlang präsentierte der inzwischen nach Kalifornien übergesiedelte Bluesman aus Manchester sogar eine exzellente Jazz-Bläserabteilung mit Ernie Watts (derzeit mit Charlie Hadens Quartet West erfolgreich), Biue Mitchell (später Trompeter bei Horace Silver) und dem Coltrane-beeinnußten Charles Owens (der sich dann mit John Carter und Bobby Bradfbrd in der New-Jazz-Szene von L. A. herumtrieb). Daß in den Achtzigern nicht mehr so viele große Namen auf der Liste stehen, liegt vielleicht daran, daß „Handwerker“ (sprich: Musiker, die ihr Instrument beherrschen) in der Punk- und Post-Punk-Phase vorübergehend in Verruf gerieten und es in gewissen Kreisen ohnehin absurd war, von „Lead-Gitarristen“ oder ähnlichem zu sprechen. Die Pop-Industrie hatte ebenfalls keinen Bedarf für ausdrucksstarke Blues-Spieler. (Jeff Healey war die berühmte Ausnahme, die aber keiner so recht zu vermarkten wußte.) John Mayall ließ sich davon nicht beeindrucken: Etwas angeschlagen – aber noch lange nicht ausgezählt – absolvierte er weiterhin sein Mindestpensum von 120 Konzerten pro Jahn Doch wie man weiß, kommt alles wieder, und so haben uns die 90er Jahre bereits John Lee Hooker und Albert King auf MTV beschert, mit Muddy Waters‘ Musik werden Jeans verhökert, BJJ. King jammt mit U2 und Gary Moore zieht unter großem Jubel mit dem 30 Jahre alten Repertoire der Bluesbreakers durch die Lande. John Mayall ist aus der Semi-Versenkung aufgetaucht, um respektable Plattenverträge zuerst bei Island und dann bei Silvertone zu unterschreiben, und zwei seiner Lead-Gitarristen haben, ganz wie in den guten alten Zeiten, eine Solokarriere eingeschlagen. Die Namen Walter Trout und Coco Montoya mögen vielleicht noch nicht jedem etwas sagen, aber beide können eine stetig wachsende Anhängerschaft vorweisen.
Wenn man zusieht, wie Buddy Whittington, Mayalls neueste Entdeckung und, so sein Boß, „der beste Gitarrist seit Stevie Ray Vaughan“, seine Gitarre neben der Bühne in Leeuwarden stimmt, fällt es einem schwer zu glauben, daß dies einmal der begehrteste Job im ganzen Business war. Oh, als Lead-Gitarrist bei Mayall zu arbeiten! lausende von Saitenzupfern hätten dafür ihre Seele verkauft Ende der Sechziger schien das die Eintrittskarte ins Gitarren-Walhall zu sein.
„Ich versuche, nicht so viel über diese ganze Geschichte nachzudenken“, sagt Buddy, ein mächtiger, scheuer Texaner, die Personifizierung des sanften Riesen. „Und John orientiert sich auch nur nach vorne. Wir spielen vor allem neueres Material Aber wenn wir ein älteres Stück wie All Vbur Love‘ spielen, muß ich natürlich schon an Claptons Phrasierung auf dem Bluesbreakers-Album denken. Das war ohne Zweifel richtungsweisend für eine ganze Generation von Gitarristen. Aber heute gibt es in jedem Bereich der Musik hunderte, tausende großartiger Gitarristen. Du kannst dir dieses Konkurrenzdenken gar nicht mehr leisten. Ich versuche nur, ich selbst zu sein und das zu spielen, was ich kann, so gut ich es kann und wenn John das nicht gefallt, dann sagt er es mir!“ Er lacht. „Er ist wirklich ein prima Bandleader. Er erledigt so viele dieser organisatorischen Dinge, daß wir uns voll aufs Spielen konzentrieren können.“
Der Bus rattert über einen kilometerlangen holländischen Deich, rechts und links nur Wasser und HimmeL Nichts lenkt uns ab, als der ehrwürdige Bluesbreaker beginnt, in Erinnerungen zu schwelgen. 1953, Korea. Dort war er nach dem Krieg mit den britischen Friedenstruppen stationiert, dort sang er das erste Mal den Blues, begleitet von einer semi-akustischen Gitarre, die er während eines Zwischenstops in Tokio gekauft hatte. „Ich mußte beim Blues landen“, sagt et Sein Vater war Gitarrist in einer Bigband gewesen und besaß stapelweise Jazz- und Blues-78er, die den Soundtrack zu Mayalls Kindheit lieferten. „Er hat mir eine Leidenschaft für amerikanische Musik vererbt, die ich nie wieder losgeworden bin.“ Als Teenager gefielen John die Ragtime-, Barrelhouseund Boogie-Woogie-Pianisten am besten mit 14 begann er selbst, Klavier zu spielen -, aber da sich ein Klavier schlecht durch den koreanischen Dschungel schleppen läßt, begnügte er sich mit der Gitarre. Die Kameraden wußten nicht so recht, was sie von einem halten sollten, der wie ein nordenglischer Junge redete und versuchte zu singen wie ein Baumwollpflücker aus den Südstaaten. Er legte sich ein Country-Blues-Repertoire zu. „Ich spielte Sachen von Josh White, Big Bill Broonzy, Brownie McGhee, Leadbelly. Was ich in die Finger bekam.“
Nach der Entlassung aus dem Militärdienst ging Mayall an die Kunstakademie in Manchester, wo er sich vor allem in Grafik und Malerei hervortat. (Diese Talente setzte er später noch häufig ein, nicht zuletzt bei der Gestaltung seiner Alben. Das Ölbild auf dem Cover von „4HWÄW“ von 1967 stammt von ihm, und auch seine Gitarren sind alle handbemalt) Der größte Vorzug der Akademie war jedoch das Klavier in der Mensa. Mayalls erste Band bestand aus Studienkollegen, mit denen er jeden Tag nach dem Mittagessen Blues und Boogie spielten. Sie nannten sich die Powerhouse Four, waren technisch noch ziemlich unbedarft, aber ihrer Zeit voraus. Elvis Presleys erste Aufnahmen hatten England noch nicht erreicht; Bill Haleys Besuch in Europa sollte erst in zwei Jahren stattfinden. „Populäre Musik war in England gleichbedeutend mit dem Trad-Jazz-Revival, auch Dixieland genannt – das war alles, was man Mitte der Fünfziger im Radio hörte.“ In Studentenkreisen galten so Leute wie Chris Barber, Mr. Acker Buk und Humphrey Lyttleton als ungeheuer hip. Ihre Musik war zwar oft nur ein müder Aufguß der Sounds aus New Orleans, aber sie waren echte Enthusiasten – und insbesondere Barber begeisterte sich auch für den ursprünglichen Blues. Er hatte Alexis Korner in seinen eigenen Gruppen präsentiert und zu einer Zeit, als Mayall noch seine Uniform trug, die ersten Konzerte mit Muddy Waters und Big Bill Broonzy in England organisiert Langsam wurde der Boden bereitet für die große Blueswelle, die Anfang der Sechziger über England hereinbrechen sollte.
Mayall hatte inzwischen die Akademie verlassen, arbeitete als Grafiker und spielte hin und wieder als Sideman in Clubs in Manchester. „Das war ein Quartett mit Sax, Baß und Schlagzeug. Ich bekam ein Pfund pro Abend. Wir spielten meist umarrangierte Bigband-Sachen. Es war Tanzmusik, Hintergrundmusik. Man konnte was dabei lernen, aber das war schon alles. Damals war es für mich unvorstellbar, daß Musik mehr als ein Hobby sein könnte. Aber ich weiß noch, daß ich irgendwann in den Fünfzigern ein Album gemacht habe, eine Solo-Geschichte auf dem Klavier. Ich hatte diese Anzeige in der Zeitung gelesen: ,Nimm deine eigene Platte auf, ging also in ein winziges Demo-Studio und kam mit dieser Vinyl-Platte wieder raus. Es waren Stücke von Cripple Qarence Lofton, Albert Ammons und Jimmy Yancey daruf. Ich fand’s nicht schlecht, aber daraus eine Karriere machen? Das kam mir nicht in den Sinn.“ 1961 las er einen folgenschweren Artikel im „Melody Maker“: „Darin stand, daß Trad-Jazz in London aus der Mode war, und daß Jazz-Bastionen wie der ,100 Club‘ und das ,Marquee‘ auf einmal
von Typen heimgesucht wurden, die elektrischen Blues und R&B in ohrenbetäubender Lautstärke spielten.“
Mayall war neugierig und zog los, um sich die Sache anzusehen. „Ohrenbetäubende Lautstärke“ bedeutete damals Alexis Korner „mit einem 200-Watt-Verstärker, an dem nicht nur die Gitarre hing, sondern auch Baß und Mikrofone. Außerdem diente er noch als PA. Ich war erstaunt, daß Alexis und (Mundharmonikaspieler) Cyril Davies es geschafft hatten, für diese Musik, die ich schon immer so geliebt hatte, ein Publikum zu finden. Alexis ermutigte mich, nach London zu gehen und an diesem Umbruch teilzunehmen. Mein Leben änderte sich von Grund auf!“
Warum fand der „Blues-Boom“ gerade damals statt? Warum reagierten junge weiße Engländer mit so viel Begeisterung auf eine Musik, die jungen weißen Amerikanern immer noch fremd war?
„Darauf habe ich nie eine richtige Antwort gefunden. Wahrscheinlich kamen verschiedene Faktoren zusammen. Die Blues-Konzerte von Lippman & Rau wurden sehr populär. Die ersten Platten von Chuck Berry und Bo Diddley hatten für Aufregung gesorgt Vielleicht fanden’s die Leute auch deshalb attraktiv, weil die Musik gitarrenorientiert war und der Blues einfach zu spielen ist, zumindest wenn man an der Oberfläche bleibt“
Sonny Boy Williamson hat mal zu Robbie Robertson gesagt: „Those English cats want to play the blues so badly, and they sure do play it badly!“
Mayall lacht „Na ja, das ist richtig und auch wieder nicht Es gab viele Musiker, die das sehr ernst genommen haben, und es gab andere, die nur mit der Mode gingen, deren Musik keine Tiefe hatte.“
Zum Beispiel?
„Darauf möchte ich lieber nicht genauer eingehen. Meine Musik war damals wohl auch nicht so grandios, aber ich hatte meine Hausaufgaben gemacht Ich hatte den Blues – und Jazz, die Jazz-Komponente darf man nicht vergessen – mehr als 20 Jahre studiert Die Yardbirds dagegen, was soll ich dazu sagen? Es gab damals eine Platte auf dem Pye-Label, die hieß ,Chicago Blues‘, darauf waren vier Stücke von Billy Boy Arnold, zwei von Snooky Prior usw. Und die Yardbirds spielten dieses Album vom ersten bis zum letzten Track nach; als Dreingabe gab’s noch ,Smokestack Lightnin‘ – und das war’s! Clapton raufte sich die Haare! Aber um ehrlich zu sein: Die meisten anderen Bands kamen auch nicht weiter.“
Und das war wohl auch der Grund, warum viele der frühen englischen Blues-Bands ziemlich schnell in Pop-Gefilde abwanderten, darunter die Kinks, die Pretty Things, Manfred Mann, die Downliners Sect, die Spencer Davis Group und die Animals – obwohl Mayall auch heute noch nichts Schlechtes über Eric Burdon sagen mag.
„Wie findet man seinen eigenen Stil als Blues-Spieler? Du mußt unterscheiden zwischen dem, was du liebst, und dem, was du gebrauchen kannst Manchmal gibt es keinen Unterschied. Ich fand Howlin‘ Wolf immer toll, und John Lee Hooker auch, aber für mich wäre es völlig unnatürlich gewesen, so wie sie zu singen.
Für Eric Burdon machte es dagegen Sinn, er konnte sich dieses Material und diese Sandpapier-Vocals unter den Nagel reißen und als Basis für einen ganz eigenen Stil verwenden. Für mich war wohl Freddie King das wichtigste Vorbild, was das Singen betrifft, er war mein Idol, obwohl ich auch aufBuddy Guy und Otis Rush abfuhr. Diese Typen waren alle meine stimmliche Preisklasse. Normalerweise orientiert man sich an den Leuten, die zu den Voraussetzungen passen, die man mitbringt Dasselbe gilt für die Mundharmonika. Ich hab mir dieses schwere Vibrato nie ranschaffen können, diesen fast elektrischen‘ Sound, den Paul Butterfield und Little Walter hatten. Ich konnt’s einfach nicht Also wechselte ich zu dem vibratolosen, melodiöseren Stil von Sonny Terry und Sonny Boy Williamson und mixte das mit Trompeten-Licks, die ich von Jazz-Alben abgehört hatte. Was man so Originalität nennt, beruht nicht nur auf Talent, sondern genauso oft auf den eigenen Grenzen.“
Für die zentrale Rolle, die die Orgel in Mayalls Band spielt, gibt es im amerikanischen City-Blues
nur wenige Parallelen. „Damals, als Georgie Farne und ich diese Nachtjobs im Flamingo Club hatten (um 1964 im Londoner Stadtteil Soho) – seine Band und meine wechselten sich ab, vom Sonnenuntergang bis zum Morgengrauen -, damals waren wir, Georgie, Graham Bond und ich, total begeistert von dieser Welle amerikanischer Hammond-Organisten, die aus Amerika herüberkam: Jimmy Smith, Jack McDuff, John Patton, Johnny ,Hammond‘ Smith, – wir liebten sie alle. Wir zogen uns jedes Orgel-Trio auf dem Prestige-Label rein. Offiziell waren das alles Jazz-Organisten, als das sahen sie sich auch selbst, aber für mich waren sie großartige Blueser. Oder besser fortgeschrittene Blueser; der Beweis dafür, daß man den Blues spielen konnte, ohne an die Zwölftakt-Strukturen und die drei Akkorde gebunden zu sein.“
Besonders nachhaltigen Einfluß auf Mayall hatte die Arbeit des immer noch unterbewerteten Sängers und Gitarristen J. B. Lenoir aus Mississippi (1929-67). Lenoir vertrat den Standpunkt: The Blues is news. In den 50er Jahren griffer auf seinen Platten politische und soziale Themen in einer Weise auf, die ihn zu einer Art Proto-Protestsänger machten. Mayall war, aus leicht nachvollziehbaren Gründen, fasziniert von Lenoirs „Korea Blues“ und nl’m In Korea“ und seinem trotzigen JEisenhower Blues“, der Attacke eines Arbeiters gegen die Wirtschaftspolitik des Präsidenten. Für Musiker wie Lenoir oder auch Lightnin‘ Hopkins bot der Blues-Song eine Möglichkeit, sich über jedes nur denkbare Thema auszukssea MayalL der mit J. B. befreundet war und später ein bewegendes Requiem für ihn schrieb („The Deadi Of J. B. Lenoir“), hat auch heute noch in seinen Sets – in denen Cover-Versionen eher selten sind – das eine oder andere Stück von Lenoir dabei (z. B. „I Want To Go“ auf dem 90er-Album )V 4 Sense OfPlace“). Er hatte früh erkannt, daß der Weg, den Lenoir ging, ihm helfen konnte, sich aus der Liga jener britischen Blueser zu verabschieden, denen nichts Besseres einfiel als bis zum Abwinken über „Spoonful“ oder „Dust My Broom“ zu jammen.
Mayalls gesammelte Texte aus den Jahren 1964 bis 1995, verteilt auf gut zwei Dutzend Alben (oder noch mehr, rechnet man die Bootlegs dazu), sind für den Autor so etwas wie ein „offenes Tagebuch“. Das mag nach Proust-ähnlicher Nabelschau klingen („These are bare wires of my life“, singt er), aber es ist bezeichnend für die guten und schlechten Seiten dieses Bluesmannes. In den Siebzigern, als Mayall sich einem komfortablen kalifornischen Lebensstil im Schoß der Familie hingab, trieften seine Texte vor selbstzufriedener Rührseligkeit Selbst die beste Musik kann einen Song wie „Christmas“ nicht retten – einen Lobgesang auf den Lichterbaum von derartiger Banalität, daß er jederzeit neben den Paradenummern aus Graham Nashs Horrorkabinett bestehen kann. Zumeist besser ergeht es ihm in Skizzen von Freunden und Förderern – wie „Sonny Boy Blow“, „John Lee Boogie“ oder „Tm Gonna Fight For You, JB“.
Trotzdem standen junge britische Blueser in den Sechzigern Schlange, um bei Mayall das Songschreiben zu lernen, darunter auch der junge Peter Green: John, mir fallt nichts ein. Was soll ich machen?“ „Nun, Peter“, sagte MayalL der für alles eine griffige Formel findet, „du nimmst dir ein Stück, das dL- gefallt, und daraus einen kleinen Teil, und an dem arbeitest du. Denk an Situationen in deinem Leben, die dich inspiriert oder geärgert haben. Dann verbindest du beides und schaust, wohin dich das fuhrt.“
„Alles klar“, sagte Green, verabschiedete sich und kam eine Stunde später mit dem Manuskript zu „Black Magic Woman“ zurück. „Er hat einfach den Refrain von Otis Rushs ,All Your Love‘ genommen.“ Mayall singt: „All the love pretty baby/That I got in störe for you.“ Und dann singt er: „I got a black magic woman.“ Die Ähnlichkeit ist verblüffend (So schreibt man also einen Millionenhit!) Vielleicht war es ein Schuldgefühl, das Green veranlaßte, sich aller weltlichen Güter zu entledigen und sein Leben nun als Totengräber zu fristen. Wo wir schon bei moralisch-ethischen Fragen sind – wie steht es mit dieser uralten Kamelle vom
Recht des weißen Engländers, den Blues zu singen oder zu spielen? Ist das nicht ein typisches Beispiel für den „kulturellen Imperialismus“, über den sich politisch korrekte Zeitgenossen gerne auslassen? Verspürte er nicht doch ein bißchen Unsicherheit, als er sich das Idiom zu eigen machte?
„Nein, hab ich nicht“, sagt er, mit einem langen Seufzer, als hätte er auf die Frage gewartet. „Und unter den Musikern wurde dieses Thema nie diskutiert. Nur von Kritikern und anderen Leuten, die Musik intellektualisieren und kategorisieren und denken, sie wüßten mehr darüber als diejenigen, die sie spielen.“
Die lauteste Kritik an weißen Bluesern kam immer von anderen Weißen, besonders von denen, die sich selbst als „Ehrenschwarze“ und daher über den weißen Geschmack erhaben fühlen.
Mayall: „Mein Verhältnis zu schwarzen Blues-Musikern war im allgemeinen immer gut Ich teile Menschen sowieso nicht in Gruppen ein. Schwarze, Weiße, Engländer, Amerikaner – so denke ich nicht Ich interessiere mich für Menschen, nicht für Kategorien. Keiner dieser Allgemeinplätze zu rassischen oder nationalen Merkmalen hält einer genauen Überprüfung stand. Zeig* mir einen Gitarristen mit mehr Jazz-Feeling als etwa Django Reinhardt! Er war belgischer Zigeuner, was bedeutet das für diese Theorien? Was zählt, ist der eigene Sound, die eigene Identität Das ist’s, was große Musiker auszeichnet, und die kommen von überall her.
Als Eddie Boyd und Champion Jack Dupree in London waren, baten sie mich darum, mit meiner Band aufzunehmen. Sie wollten meine Jungs. Sie fanden’s toll, mit Eric und Peter Green zu spielen. Im Laufe der Zeh hat’s viele solcher Verbindungen gegeben.“ (Albert King hat mit den Bluesbreakers gespielt und aufgenommen. Buddy Guy, Junior Wells und Etta James waren bei „Blues Alive“ dabei, einem Konzert-Video von ’83. Buddy Guy spielte auf dem ’93er-Album „Wake Up Gi/T-usw.) Vfon Mayalk Jungs“ – zumindest von denen, die Einzug in die Geschichtsbücher gehalten haben blieb keiner lange. Clapton war weniger als ein Jahr in der Band, verabschiedete sich während dieser Zeit mindestens zweimal und war eigentlich gar kein Bandmitglied mehr, als er zu den Aufhahmesessions für dHuesbreakers“ nodi einmal vorbeischaute. Mayall bezahlte ihm den Standardsatz für Sfudiomusiket „Bei Eric waren es eigentlich nur ein paar Monate, richtig. Aber er hat seine Spuren in der Musik hinterlassen. Er war jung und änderte ständig seine Meinung über die Richtung, in die er gehen wollte. Ich glaube, Peter Green hat’s auch nicht länger als ein Jahr ausgehalten. Ich habe diese Truppenbewegungen immer ganz stoisch hingenommen.“
Stoisch, aber erfindungsreich. Hughie Flint erinnert sich, daß Mayall einmal auf dem Weg zu einem Gig anfing, Telefongespräche zu führen, um einen Lead-Gitarristen für den Abend zu finden.
Aber waren es immer Trennungen im gegenseitigen Einvernehmen? War nicht „Double Crossing Time“ ein Seitenhieb auf Jack Bruce, der die Bluesbreakers im Stich gelassen hatte, um zu Manfred Mann zu gehen? „Richtig! Richtig!“ Mayall gluckst vor retrospektivem Vergnügen. „Eric und ich haben das zusammen ausgekocht Er war srinksauet“
Einer der Nachteile einer „legendären“ Vergangenheit ist daß man sie den Journalisten zuliebe immer wieder aufs Neue durchleben muß. Ewig die gleichen Fragen: Wie war das mit Eric Clapton? Und mit Peter Green? Ich hatte angenommen, daß Mayall daher ein Album aus den späten Siebzigern JVoMoreInterrietvs“beüteh hatte. Genug von dieser Scheiße! Aber Mayall war noch gerissenet „Ich war eigentlich nie richtig in Mode, weißt du.“ (Das ist übertrieben -JMuesbreakers“, ^4Hard Road“,“Crusade“,J)iaryOfABand a ,JBaK Wms“, JOues Frvm Lattrel Canyon“ und „The Turning Print“ schafften es alle in die englischen Charts.) „Aber Mitte der Siebziger wollte überhaupt niemand mehr über mich schreiben. Also dachte ich, ich probiere es mit umgekehrter Psychologie. Ich
nannte das Album^/Vo More Interviews“, und plötzlich klingelte permanent das Telefon. Alle wollten Interviews. Genau daraufhatte ich es abgesehen.“
Trotzdem waren die späten Siebziger Mayalls finsterste Periode. Der strenge Kompaniechef aus den Sechzigern, der so wenig Verständnis für die Alkoholund Drogenprobleme seiner Untergebenen gehabt hatte, griff selbst zur Flasche. Die Truppenbewegungen, jetzt vom Boß veranlaßt, wurden immer häufiger und machten immer weniget Sinn. Die Motivation ließ nach. Rettung kam schließlich in Gestalt alter Kollegen. ’82 schlugen John Mc Vie, der gerade Zeit hatte, und Mick Taylor, dessen Karriere seit dem Ausstieg bei den Stones vor sich hin dümpelte, eine Neuauflage der alten Bluesbreakers von Nur so aus Spaß. Zusammen mit Drummer Colin Allen machten sie sich zu einem kurzen Trip nach Australien auf, der dann zu einer sechsmonatigen ^fektournee wurde.
„Ich wußte, daß diese Band niemals zusammenbleiben würde, aber die Erfahrung gab mir so einen Kick, daß ich sofort anfing, nach lokalen Musikern zu suchen, die den gleichen Schwung hatten.“
1984 gab es wieder eine Neuauflage der Bluesbreakers, diesmal ausschließlich amerikanisch besetzt und musikalisch abgespeckt „Seit diesemjahr habe ich das Gefühl, noch einmal eine neue Chance bekommen zu haben. Ich wurde zur selben Zeit trocken, und seitdem läuft alles viel, viel besser. Was die Platten betrifft, kam der Durchbruch mit Produzent Bobby Field. Zum ersten Mal seit den Sechzigern, als ich mit Mike Vernon arbeitete, habe ich im Studio jemanden, mit dem ich Ideen austauschen kann und der kreative Phantasie besitzt“
In Leeuwarden beginnt man trotz der miesen Akustik zu verstehen, was es mit Mayalls Traum von der „gut geölten Maschine“ auf sich hat In dieser Band sind Baß und Schlagzeug so tight und so locker und entspannt keine englische Rhythmusgruppe kommt da heran. Natürlich ist das keine Sache der Gene, sondern das Ergebnis jahrelangen Trainings. „Es macht Spaß, ihnen zuzuhören“, sagt Mayall, „wenn sie richtig loslegen, habe ich das Gefühl, daß gar nichts schiefgehen kann.“
Mayall selbst wechselt wie eh und je zwischen Keyboards, Gitarre und Mundharmonika. Wenn er sich ans elektrische Piano setzt, um „No Big Hurry“ zu spielen, scheinen die Jahre von ihm abzufallen, und man kann ihn sich gut in dem kleinen Demo-Studio in Manchester vorstellen, wie er Tribut zollt an die Säulen der Boogie-Woogie-Hierarchie. Vielleicht ist das ja der Schlüssel zu Mayalls Persönlichkeit: Er ist offensichtlich immer noch ein echter Fan.
Vbr 18 Monaten hat er als Autogrammjäger bei den Stone Temple Pilots vorgesprochen. „Ich habe einen elf Jahre alten Sohn, der viel MTV sieht Er steht total auf die Stone Temple Pilots, und weil sie auch bei diesen Grammy-Awards dabei waren, bin ich hingegangen und habe sie nach Autogrammen gefragt ,Hi, ich bin John Mayall, und mein Sohn ist ein großer Fan. 1 “ Es hätte nicht viel gefehlt, und die Band wäre vor ihm auf die Knie gefallen. John Mayall? Etwa der John Mayall?? Die Legende??? Er lacht „Wenn es eine Gitarren-Band ist, kann man fast drauf wetten, daß sie mit ,The Bluesbreakers With Eric Clapton‘ aufgewachsen sind. So etwas ist mir schon öfters passiert“
Und damit startet er in eine neue Runde von Erinnerungen