Birgit Fuß über „Songs of Surrender“ von U2: Walk On, Bono!
Birgit Fuß fragt sich durch: Warum haben U2 ihre größten Songs jetzt in ruhigeren Versionen neu aufgenommen? Vielleicht um sie zukunftssicher zu machen
Die Verrisse, die dieses Album bekommt, hätte ich alle selbst schreiben können. Bestimmt nicht so gut wie meine Kolleg:innen, weil es mir so schwerfiele, aber ich kannte all die Beschwerden, noch bevor ich die ersten gelesen habe – sofort nachdem U2 verkündet hatten, dass sie für „Songs Of Surrender“ 40 ihrer Lieder neu aufgenommen haben, akustisch und mit ein paar abweichenden Textzeilen. Was soll das, wer braucht das? Lagerfeuermusik. Selbstbeweihräucherung. Und dürfen die das überhaupt: geliebte Hits einfach verändern? (Selbstverständlich. Sie gehören ja nun mal nur ihnen!)
Natürlich beginnen die „Songs Of Surrender“ mit „One“ und enden mit „40“ – so eine Pointe konnten sich U2 nicht entgehen lassen. (Bonos Autobiografie, „Surrender. 40 Songs, One Story“, folgt einem anderen Schema, nur 28 Stücke überschneiden sich.) Eine fast dreistündige Reise durch die Zeit mit einigen Überraschungen. Auch ich habe erst mal gefremdelt bei neuen Zeilen wie „Each desert rose is a prayer for rain“ in „Where The Streets Have No Name“, doch dann singt Bono, nachdem gerade die Liebe niedergebrannt ist: „Can get through the fire/ If I go with you/ There’s no other way through.“
Darum geht es ja seit 47 Jahren bei U2: Gemeinschaft, Solidarität, Mut, mittendurch statt außenrum. Vier uncoole Iren, notfalls gegen alle anderen. Und genau das, was viele stören wird, gefällt mir am allerbesten an diesen Versionen: Sie haben Bonos Stimme ganz weit nach vorn gemischt – diese manchmal schon ziemlich zerschossene, immer berührende Stimme. Sie passen die Lieder ihrem Alter an, aber sie stellen gleichzeitig die Makel aus, statt sie zu verstecken. (Obwohl The Edge naturgemäß viel am Sound rumgeschraubt hat, sodass es sich lohnt, die Details unterm Kopfhörer zu genießen.)
Schon seit Langem ist klar, dass Bono die Höhen etwa bei „Pride“ nicht mehr erreichen kann. Vielleicht sind die „Songs Of Surrender“ unter anderem eine Strategie, um die Lieder fit zu machen für etwas ruhigere Konzerte, die sie auch mit 70, 80 noch geben können. „I got spirit, I got soul, I got some big ideas, I’m out of control“, behauptet Bono, da stimmen allerdings wohl nur drei von vier Sätzen. Der Mann weiß, was er tut. Und die Band ist sich ihrer Endlichkeit extrem bewusst – erst Bonos Herz-OP 2017, nun die Rückenschmerzen, deretwegen Larry Mullen Jr. 2023 nicht auf Tournee gehen kann. Die Zeit, die bleibt, will bestmöglich genutzt werden – aus „You can’t fight fate“ wurde jetzt: „It’s never too late, you can always fight fate.“
Mein Kollege Sassan fragte neulich, wie ich „Songs Of Surrender“ denn bewerten würde, er sieht gern Sterne. Bitte: Ich gebe ( ★ ★ ★ ★ ★ ) – vier für diese aufs Wesentliche reduzierten Stücke und einen für die Zuversicht. Wenn U2 erst mal diese Vergangenheitsbewältigung geschafft haben und demnächst noch die „Achtung Baby“-Shows in Las Vegas, die zwei Jahre nach dem Jubiläum eigentlich nicht mehr nötig wären, dann können sie den Blick wieder in die Zukunft wenden – und uns mit ihrem nächsten Album umhauen.
Walk on, Bono! Einstweilen ist „Songs Of Surrender“ ein bisschen wie die große Narbe auf Bonos Brust: Wer es lieber jugendlich unbeschwert mag, will sie nicht sehen. Wer das Leben mit all seinen Einschlägen zu schätzen weiß, lächelt dankbar – und findet sie vielleicht sogar schön.