Birgit Fuß fragt sich durch: Wie viel Wut ist gut – und wie harmlos Eminem?

Wie viel Wut ist gut? Und warum wirkten die Aggressionen bei Eminem wie spielerische Katharsis und gar nicht gefährlich?

Manchmal, wenn die Welt nervt, tut es gut, „The Marshall Mathers LP“ auf­zulegen und mitzuwüten. Eminem war 2000, nur ein Jahr nach „The Slim Shady LP“, ein weiteres Meis­terwerk gelungen. Natürlich hat Dr. Dre all seinen Alben diesen bril­lanten Sound verpasst, der nichts von seiner Wucht verloren hat, aber wie Eminem die Textkaskaden rappt, der Flow und der quengeln­de Zorn: Das ist unvergleichlich.Warum kam ich eigentlich dar­auf?

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Es wird ja gerade wieder viel diskutiert über Deutschrap, Sexis­mus und Gewalt(verherrlichung), die Grenzen zwischen Image und Wirklichkeit scheinen da zuneh­mend zu verwischen. (Wer Text­-Beispiele will, kann sie unter #UnhateWomen recherchieren, ich möchte den Dreck hier nicht wie­dergeben.) Und da tauchte die Frage auf: Warum stört mich das Brutale bei Eminem nicht, wäh­rend ich so viele Deutschrapper unerträglich finde?

Meistens fehlt denen völlig, was Eminem aus­macht: der selbstironische Witz. Während der sich zwar auch gern brüstet („Excuse me if my head is too big for this building/ And pardon me if I’m a cocky prick …“), macht er sich noch häufiger selbst runter – in seinen Texten gibt es mehr Hass gegen Slim Shady und Marshall Mathers als gegen die Mutter oder die Ex­-Frau (mit der er heute gut befreun­det ist). Und bei allen persönlichen Bezügen ist klar: just kidding!

Fiese Zeilen, die Angstlust hervorrufen

Es ist so offensichtlich, dass Emi­nem (Koseform: „Em“), dieses Bleichgesicht mit dem Schmollmund und der teigigen Haut, so viel Fieses rappt, weil diese Zeilen dieselbe Angstlust hervorrufen, die Kinder kennen: Guck mal, ich mach‘ was Böses und dann renn‘ ich weg und du kriegst mich nicht! Oder doch? Uiuiui, gefährlich! Muttern fand es natürlich nicht lustig, dass er sich in „Kill You“ vorstellte, sie zu erwürgen oder zu erschießen, aber die Empörung der Öffentlich­keit hatte Eminem schon mitge­dacht und eingebaut: „Oh, now he’s raping his own mother/ Abusing a whore, snorting coke/ And we gave him the Rolling Stone cover?“

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Die meisten „Marshall Mathers“­-Songs handeln von den Herausfor­derungen des Ruhms, von Drogen und Entfremdung, im Superhit „Stan“ lieferte er am Ende die Moral mit: Lebt bitte euer eigenes Leben! Meins ist gar nicht so nach­ahmungswürdig. Wenn er in „Kim“ seine Ex­-Frau beschimpft, hat das etwas Armseliges, und er weiß es: „You were supposed to love me! Now bleed, bitch, bleed!“ Eminem bezieht seine eigenen Unzuläng­lichkeiten mit ein, es geht nie um das Herabwürdigen von Frauen im Allgemeinen, um stumpfe Misogy­nie, sondern um den Hass auf die eine, mit der er nicht klarkommt.

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Frauen sind bitches, sluts, whores – Männer cocks, fags, retards

Und es geht recht gerecht zu: Die Frauen sind bitches, sluts, whores, die Männer cocks, fags, retards. Solche Provokationen machen nur Spaß, wenn sie ein Spiel sind – in „Criminal“ sagt Eminem: „Half the shit I say, I just make it up/ To make you mad, so kiss my white naked ass.“ Es sind Fantasien, Rollen, Märchen. Geschichten. Zu keiner Zeit hätte ich geglaubt, dass er vielleicht tatsächlich seine Mut­ter töten oder das Haus anzünden könnte, in dem die Frau ans Bett gefesselt ist, die ihn verschmäht (später, in „Love The Way You Lie“). Seiner Verantwortung ist sich Emi­nem bewusst, auch wenn ihm zwi­schendurch die Tabletten etwas den Blick vernebelt haben. Er hat es einmal so auf den Punkt gebracht: „You don’t get an other chance/ Life is no Nintendo game.“

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