Birgit Fuß fragt sich durch: Weihnachtssongs? Nicht zu viel Lametta!
Im Advent ist Kitsch erlaubt, ambivalente Weihnachtsalben sind aber noch schöner. Welche Frauen können das besonders gut?
Wenn diese Kolumne erscheint, sind wir schon mittendrin: Glühwein, Plätzchen, Christkindlmärkte, im Radio „Last Christmas“ und „Do They Know It’s Christmas?“. Wir wissen es auf jeden Fall: Alle Jahre wieder erfreuen uns Popstars und sogar härteste Rockbands mit Weihnachtsliedern.
Von Bing Crosby, Elvis und John Lennon stammen die Klassiker, von Mariah Carey und Michael Bublé gab es die erwartbaren Schnulzen, Bob Dylan und Randy Newman, Joni Mitchell und Bruce Springsteen lieferten wunderbare Beiträge, auch AC/DC oder Twisted Sister ließen sich nicht lumpen, von Slade ganz zu schweigen.
Und es reißt nicht ab: 2022 erscheinen unter anderem „Not So Silent Night“ von Sarah Connor, „Under A Winter’s Moon“ von Loreena McKennitt – und das erste Christmas-Album von Louis Armstrong, „Louis Wishes You A Cool Yule“. Tot oder lebendig – spielt keine Rolle, alle lieben Weihnachtslieder.
Schlagen wir mal eine kleine Schneise in diesen Schneesturm an besinnlichen bis skurrilen Songs. Konzentrieren wir uns auf ein paar weibliche Sichtweisen. Nicht aus emanzipatorischen Gründen, sondern einfach weil es Spaß macht. Zumindest in meinem engeren Kreis (mit Menschen zwischen 14 und 79) sind es immer noch mehrheitlich Frauen, die in der Adventszeit voller Begeisterung dekorieren und über Feiertagsmenüs nachdenken, auch haben sie meist ein besseres Gespür für die richtigen Geschenke.
Und in jüngerer Zeit kamen die interessantesten Weihnachtswerke eben auch von Frauen – weil es ihnen mühelos gelingt, Traditionelles wie „Have Yourself A Merry Little Christmas“ mit realistischeren Betrachtungen des Feiertags-Irrsinns zu verbinden. Auf „Tinsel And Lights“ trauert Tracey Thorn im Titelsong den unbeschwerten Zeiten hinterher („We all have some things about how the time goes/ That we’d rather not know“) – und verliebt sich doch wieder in diese magische Jahreszeit.
Kacey Musgraves singt in „Christmas Makes Me Cry“ („A Very Kacey Christmas“), sie versuche ja immer, schöne Feiertage zu haben, aber dann fange sie an, all diejenigen zu vermissen, die nicht mehr da sind, und dann komme die Einsamkeit. Bei Thea Gilmore wird das Chaos der menschlichen Natur sowieso stets mitgedacht, auch auf „Strange Communion“, wo sie vom „Drunken Angel“ erzählt und in „December In New York“ konstatiert, dass Sentimentalität nicht ihr Job sei. Bei Jewel ist das naturgemäß anders, die singt auf „Joy: A Holiday Collection“ auch das „Ave Maria“, „Joy To The World“ und „Gloria“; sogar eine Weihnachtsversion ihres Hits „Hands“ hat sie sich ausgedacht.
Auch empfehlenswert sind „Noël“ von der hier besonders zauberhaften Joan Baez, „Wintersong“ von Sarah McLachlan und „Midwinter Graces“ von Tori Amos. Wer es wilder mag, ist mit Amanda Shires’ „For Christmas“ gut bedient. Die hat gar kein Lametta vor den Augen, sondern beschreibt die Ambivalenz des Familienfests in Stücken wie „Gone For Christmas“ angemessen – sie möchte endlich mal einen echten Baum, aber eigentlich will sie nur ihre Ruhe: „I want fifty-two weeks paid vacation/ I want to own my own radio station/ And I want you gone for Christmas.“ Wer kennt das nicht?
Das beste deutsche Weihnachtsalbum stammt übrigens nicht von Helene Fischer, sondern immer noch von Andrea Jürgens.