Birgit Fuß fragt sich durch: Was machen die Barenaked Ladies?
Ein kurzzeitiger Entzug bringt die ansteckende Heiterkeit der Barenaked Ladies in Erinnerung.
Vor einigen Wochen haben mich Amazon Prime und Netflix um den Schlaf gebracht. Nicht mit einem Thriller oder einer Mystery-Serie. Nein, sie haben einfach mein Beruhigungsmittel aus dem Programm genommen! Im Fall von Netflix sogar ohne Vorwarnung. Plötzlich standen die zwölf Staffeln von „The Big Bang Theory“ nicht mehr im Abo zur Verfügung.
Vier Abende lang kämpfte ich mit meinem Suchtgehirn: Wie sollte ich jetzt einschlafen, ohne die seit Jahren gewohnten Stimmen von Sheldon, Leonard und den anderen Nerds zu hören? Fast war ich schon so weit, die komplette Serie zu kaufen, da war sie wieder da. Als hätten sie uns nur foppen wollen: Guck mal, nichts ist selbstverständlich!
Endlich wieder den vertrauten „ Theme Song“ hören, bei dem ich nach all der Zeit immer noch überlegen muss, was „auto trophs“ sind (Organismen, die sich selbst ernähren können – und die dann eben während der Eiszeit zu sabbern anfingen): „Our whole universe was in a hot, dense state/ Then nearly fourteen billion years ago expansion started, wait/ The Earth began to cool, the autotrophs began to drool/ Neanderthals developed tools/ We built a wall (we built the pyramids)/ Math, science, history, unraveling the mysteries/ That all started with the Big Bang (bang!).“
Das Lied, das weltweit schon von so vielen Millionen Menschen unwillkürlich mitgesungen wurde, stammt von den Barenaked Ladies, die 1988 in einem Vorort von Toronto/Ontario gegründet wurden. Das Besondere an dem Quartett war immer, dass dort gleich zwei sehr gute Singer-Songwriter am Werk waren: Ed Robertson und Steven Page, der 2009 ausstieg. Bereits auf dem Debüt, „Gordon“ (1992), fiel das Talent der beiden für eingängige Melodien und gewitzte Texte auf.
Lachen im Angesicht der Katastrophe
In ihrer Hommage „Brian Wilson“ legten sie sich mit ihrem Vorbild ins Bett, in „Be My Yoko Ono“ wünschten sie sich eine anhängliche Partnerin: „You can be my Yoko Ono/ You can follow me wherever I go …“ Ihre Reime waren manchmal fast gerappt, und bei Konzerten entwickelten sie zwischen den Liedern eine Art Stand-up-Comedy mit erstaunlichen Improvisationsfähigkeiten. Weltweit bekannt wurden sie durch das vierte Album, „Stunt“ (1998), mit dem Hit „One Week“, der von einem Typen handelt, der auch lächelt, wenn es ihm schlecht geht (gerade dann!), und der bei Beerdigungen immer lachen muss.
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Die – hiphopmäßig angeberische – Zeile „Hot like wasabi when I bust rhymes“ wurde drei Jahre später von Better Than Ezra in deren (auch sehr lustigem) Song „Extra Ordinary“ aufgegriffen: „Just like that Barenaked Ladies’ song/ I’m hot like wasabi when I’m next to your body.“
Seitdem haben die Barenaked Ladies unverdrossen Album um Album aufgenommen, auch wenn es hier kaum noch jemand gemerkt hat – im September 2023 erschien ihr 14., „In Flight“. Der erste Song darauf, „Lovin’ Life“, ist ein in diesen Zeiten überraschend deutliches Bekenntnis zur Lebensfreude: „We’re loving life, we’re loving life/ We love it so much that we wanna live it twice/ We’re loving life, we’re loving life/ It’s like a pizza and we want another slice.“
Auch in der schlimmsten Krise, da man jederzeit einen neuen, anderen Big Bang erwartet, bleiben Musik und Essen eben zwei der schönsten Genüsse, die es gibt. Und Fernsehen natürlich.