Birgit Fuß fragt sich durch: Warum wird noch von Rockbands erwartet, dass sie den Erwartungen entsprechen?
Keine Nachsicht these days!
Wenn die Sonne brennt und bei manchen Menschen auch die Mütze, dann verlangsame ich gern die Tage, indem ich Jackson Browne höre. Besonders „These Days“, die ses wunderbar elegische Lied über das Nichtreden, das Nachdenken, das Rumsitzen. Was habe ich alles nicht getan, welche Chancen habe ich verpasst, fragt sich Jackson, und wie könnte es wohl weitergehen, außer mit Songschreiben? „I had a lover/ But it’s so hard to risk an other, these days.“ Er kann sein Scheitern nicht vergessen. Jackson Browne hat dieses Lied mit sechzehn geschrieben, 57 Jahre später ist seine Leidenschaft zur Musik un gebrochen – und wir lernen: Ohne Fehlschläge kommt niemand weiter. Man muss ja nicht gleich Fuck up Nights veranstalten, um was aus ihnen zu lernen. Was aber fast genauso wichtig ist: Wir könnten an deren gegenüber auch mal etwas nachsichtiger sein, wenn sie gerade nicht so funktionieren, wie wir uns das wünschen.
Auf dem letzten großen Album seiner Band, „These Days“ von 1995, sang Jon Bon Jovi im Titelsong von einer Schauspielerin, die davon träumt, James Dean zu sein (nicht Marilyn Monroe!), und es wahrscheinlich nicht schaffen wird, und später, als es um gestorbene Helden geht, erinnert er an Kurt Cobains Abschiedsbrief: „I guess I’d rather die than fade away.“ Tatsächlich feiert dieses melancholische Lied allerdings wie so viele von Bon Jovi das Leben. Im Chorus heißt es, dass die Sterne immer noch erreichbar sind, es liegt nur keine Leiter mehr am Strand. Wir müssen uns schon anstrengen. „There ain’t nobody left to take the blame/ There ain’t nobody left but us these days!“
Bei Konzerten war das damals der Moment, wenn alle Hände hochgingen. Und jetzt muss ich daran denken, wie gnadenlos sich einige Leute kürzlich darüber lustig gemacht haben, dass Jon Bon Jovi zuletzt nicht so gut bei Stimme war. Die Häme war viel schlimmer, als es der schrecklichste Gesang je sein könnte (und außerdem bekam der Mann schon vor 30 Jahren in der Heuschnupfensaison nicht je den Ton einwandfrei hin, aber da mals gab es noch kein YouTube und wohl mehr Mitgefühl).
Und wenn wir schon bei unnötigen Beschwerden sind: Unbegreiflich, wie viele sogenannte Fans rumnörgelten, als Pearl Jam in Berlin „nur“ zwei Stunden spielten – nachdem sie jahrelang nicht auf der Bühne gestanden hatten und Eddie Vedder inzwischen halt nun mal auf die sechzig zugeht. Werden nächstes Jahr alle fordern, dass Bruce Springsteen mit 73 immer noch vier Stunden spielt (und natürlich bitte alle Hits), weil es sich sonst nicht rentiert? Seit wann messen wir Konzerte in Minuten, als wären sie Guinness-Buch-Wettbewerbe?
R.E.M. zum Beispiel haben meistens unter zwei Stunden gespielt, und danach gingen wir mit dem herrlichen Gefühl nach Hause, dass wir gern noch so viel mehr gehabt hätten. Liebe und Sehnsucht statt Erbsenkacken und Korinthenzählen. Auch von R.E.M. gibt es übrigens einen Song na mens „These Days“. Darin geht es darum, dass wir alle unsere Last tragen, dass wir alle jung sind trotz der Jahre, dass wir voller Hoffnung sind trotz der Zeiten. Und wenn Michael Stipe der glücklichen Menschenmenge zuruft: „Take this joy wherever, wherever!“, dann meint er bestimmt nicht, dass wir diese Freude mit der Stoppuhr messen sollen.