Birgit Fuß fragt sich durch: Niemand weiß nichts
Wie viele Geheimnisse wollen wir eigentlich wirklich preisgeben? Eine kleine Reise in die Vergangenheit mit Billy Squier.
Es gibt diese Stimmen, die einen sofort in eine bestimmte Zeit zurücktragen. Wenn ich Billy Squier höre, sitze ich wieder in einem bayerischen Dorf Mitte, Ende der 80er-Jahre und warte darauf, dass das Leben beginnt. Oder wenigstens der Führerschein geschafft ist.
1981 gelang dem Amerikaner mit dem Album „Don’t Say No“ ein Riesenhit, der schönste Song darauf wurde allerdings erstaunlich wenig beachtet. „Nobody Knows“ ist John Lennon gewidmet, spricht aber allen aus dem Herzen, die sich mal unverstanden gefühlt haben und deshalb allein.„I may get around/ I may laugh a lot/ Now you’d think that I’d be happy with the life I got“, singt Squier. Doch niemand weiß, wie es in ihm wirklich aussieht.
Die Frage ist: Geht es überhaupt anders? Squier sucht den Ausweg, Bücher oder Zeitschriften helfen nicht, auch Filme verraten ihm nichts – wo ist das Ende des Regenbogens, wie findet man ihn ohne Kompromisse? Und trifft man auf dem Weg den Menschen, dem man sein ganzes Leben erzählen möchte?Es ist natürlich ein Hochgefühl, wenn jemand Geliebtes sagt: „Du weißt so viel über mich wie niemand sonst auf der Welt.“
Und gleichzeitig ahnen wir, dass es immer eine kleine Stelle in uns geben wird, die nie jemand anderes wirklich erfassen kann, die wir oft nicht mal selbst in Worte fassen können – das macht uns einzigartig und manchmal einsam.
Der Gedanke führt direkt zu einem anderen Lied, das damals auf jeder Party im Aichacher Pfarrzentrum gespielt wurde: „If You Knew Me Better“ von Head East (1979). Ja, was wäre denn, wenn du mich besser kennen würdest? Wären wir Geliebte oder Freunde, oder würdest du mich überhaupt wollen? Der Refrain seufzt am Ende: „I wish that you knew me better/ Or didn’t know me at all.“ Die Hölle ist der ganze Spielraum dazwischen.
Neulich sagte ein Bekannter, der (von mir sehr geliebte) Film „Harry & Sally“ sei Quatsch, denn die Frage, ob Männer und Frauen platonisch befreundet sein können, sei 1989 längst beantwortet gewesen. Das zweifle ich stark an, vor allem aber geht es bei der Geschichte noch um etwas anderes, vielleicht sogar Wichtigeres: Kann die Liebe halten, wenn man das Gegenüber nicht mehr faszinierend findet, weil alles so neu ist, sondern seine Seltsamkeiten kennt – und manche davon vielleicht nervig sind?
Die Frage ist dann: Liebe ich dich, obwohl ich dich kenne – oder weil ich dich kenne? Das Zweite ist der Königsweg: das Gesamtpaket annehmen. Es gibt ja Leute, die eher die Strategie verfolgen, für ihre Angehimmelten immer geheimnisvoll zu bleiben und unvorhersehbar, doch wie anstrengend wird das nach einer Weile wohl? Und wenn wir andere Menschen sowieso niemals komplett kennen können, ist es doch schön, wenigstens von all ihren Schrullen zu wissen.
Zwischenzeitlich dachte ich übrigens, Billy Squier wäre nur in meinem bayerischen Landkreis weltberühmt gewesen und längst vergessen, weil ich so oft Kopfschütteln erntete, wenn ich seinen Namen erwähnte, doch dann benutzte Eminem 2013 ein Sample von „The Stroke“ für seinen Song „Berzerk“.
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Em ist genauso alt wie ich, seine Jugendpartys in Detroit sahen aber wahrscheinlich anders aus als meine. Möglicherweise war dieses Sample eher die Idee von Produzent Rick Rubin. Nobody knows.