„Some Great Reward“ von Depeche Mode: Ist es naiv, wenn Musiker den Weltfrieden fordern?
Auf „Some Great Reward“ wünschen sich Depeche Mode vor 40 Jahren so einfach wie effektiv Toleranz in etlichen Bereichen. Geht das heute noch?
Es war das Jahr, in dem Ronald Reagan noch einmal zum US-Präsidenten gewählt wurde, in dem in Deutschland die erste E-Mail empfangen wurde und das Kabelfernsehen begann, Katarina Witt gewann zum ersten Mal olympisches Gold für die DDR.
Es ist also wirklich lange her, dieses Orwell-Jahr 1984. Damals veröffentlichten Depeche Mode ihr viertes Album, „Some Great Reward“. Ihm voraus ging die Single „People Are People“. Ich erwarb sie als eisgraues Vinyl und freute mich über den Synthie-Pop mit dem schlichten Chorus, den ich schon als Zwölfjährige mitsingen konnte: „People are people, so why should it be/ You and I should get along so awfully?“
Noch schrieb Martin Gore alle Songs für die Band (in mancher Hinsicht war es also auch eine bessere Zeit), und er entschied sich für so einfache wie effektive Parolen.
Menschen sind Menschen – natürlich! Was ist euer Problem, was soll das mit dem Rassismus und dem Hass? Es ist auch ein Song, der im Angesicht von Gewalt weiter an das Gute glauben will.
Das Album fordert allerdings nicht nur in politischer Hinsicht Toleranz
Ich verlasse mich auf dein Anstandsgefühl, singt Dave Gahan, „so far it hasn’t surfaced but I’m sure it exists/ It just takes a while to travel from your headto your fists.“
Der zweifelnde Unterton in Gahans schneidendem Vortrag wird konterkariert von den flehenden Zeilen, die Martin Gore dann vorbringt: „I can’t understand/ What makes a man/ Hate another man/ Help me understand!“
Das Album fordert allerdings nicht nur in politischer Hinsicht Toleranz, sondern auch auf dem privaten Sektor. In „Master And Servant“ geht es um eine Sadomaso-Liebesgeschichte, wobei Gore schön den Unterschied zwischen persönlichen Vorlieben und struktureller Demütigung im Alltag hervorhebt: „Domination’s the name of the game/ In bed or in life, they’re both just the same/ Except in one you’re fulfilled at the end of the day.“
Ich nehme mal an, er meinte mit dem letzten Satz nicht den Arbeitsbereich. Die Moral der vier Minuten: Lasst die Leute doch machen, was sie wollen, solange sie Spaß haben und niemandem damit schaden. Damals so selbstverständlich wie heute. Und immer noch nicht überall angekommen.
„Master And Servant“ schockte ein paar spießige Eltern, ein anderer Song war wirklich verstörend: In „Blasphemous Rumours“ geht es um eine 16-Jährige nach einem Suizidversuch und um eine 18-Jährige, die nach einem Unfall lebenserhaltende Apparate braucht – mit dem Resümee: „Ich glaube, Gott hat einen kranken Sinn für Humor/ Und wenn ich sterbe, rechne ich damit, ihn lachend aufzufinden.“ Ein fieser Gott: Das ist ja noch viel schlimmer als gar kein Gott.
Wir können’s ja wenigstens mal versuchen
Und diese Gedanken kamen von dem Mann, der mit „Somebody“ eines der berührendsten Liebeslieder geschrieben hat – eine fast widerwillig zarte Hymne auf die Leidenschaft und den unbedingten Zusammenhalt von zwei Menschen, die sich in all ihrer Unterschiedlichkeit lieben – und sich eventuell sogar mit ihren gegensätzlichen Perspektiven anfreunden. „All the things I detest/ I will almost like“, singt Gore zaghaft.
Wir können’s ja wenigstens mal versuchen. Auch das passt für das Persönliche so gut wie für die Politik: Mit etwas mehr gegenseitigem Verständnis wäre schon viel erreicht. Die große Belohnung dafür? Vielleicht nicht gleich der Weltfrieden – obwohl … warum eigentlich nicht?