Birgit Fuß fragt sich durch: Gegen das Vergessen von Will Johnson
Manchmal müssen wir die schönsten Dinge erst suchen oder wiederfinden – zum Beispiel all die Alben von Will Johnson.
Wie kann es eigentlich sein, dass wir manchmal einfach vergessen, dass wir etwas – oder jemanden – mal sehr gern gemocht haben? (Ich sage absichtlich nicht „geliebt“, weil ich doch hoffe, zumindest Liebe vergisst man nicht.)
Hin und wieder geht einem zum Beispiel eine Freundin verloren, die sich einfach nicht mehr gemeldet hat, und anfangs nagt die gefühlte Zurückweisung noch sehr an einem, aber bald verdrängt man es, und alles macht weiter, die Zwiebeln im Kühlschrank und so, dann halt ohne sie. Wie es auch ohne den Lieblingspulli geht, der hinten im Schrank verschwunden ist, oder ohne die Lieblingsserie aus den Achtzigern, die nirgends gestreamt wird.
Das Gehirn ist gnädig, es erinnert einen nicht dauernd an alles, was man vermisst, nur an die schlimmsten Lücken. Bei Musik ist das genauso. Ich hatte ganz vergessen, was für ein toller Songwriter Will Johnson ist. Will who? Tja, das ist das Problem. In Europa ist der Texaner weitgehend unbekannt, und ich befürchte, in Amerika ist es kaum anders. Dabei hat er seit Mitte der 90erJahre so viele gute Alben gemacht – mit Centromatic und South San Gabriel, auch mit Jason Molina (als Molina & Johnson) und mit Vic Chesnutt und Mark Eitzel als Undertow Orchestra. Er war bei Conor Obersts Monsters Of Folk als Tourschlagzeuger dabei, gründete mit Jay Farrar und Jim James das Woody-Guthrie-Projekt New Multitudes und spielte auf vielen, vielen Alben als Gast mit.
Marie/Lapanto: Zauberhafte Lieder
Zuletzt hat er mehrere Soloalben veröffentlicht (besonders schön: „El Capitán“, 2020) und noch mehr IndieFolkrock mit Justin Peter Kinkel Schuster. Sie nennen sich Marie/Lapanto – das klingt schon nicht gerade nach Hitpotenzial, aber die beiden schreiben zauberhafte Lieder. Bei „Gramps And Grandma“ (von „Gulf Collide“, 2021) spielt Nashvilles Shootingstar Jason Isbell Gitarre. (Notieren Sie sich das bitte alles und kaufen Sie es gern auf Bandcamp!)
Erst kürzlich merkte ich, dass einer meiner Lieblingssongs von Jason Isbell, „To A Band I Loved“ (auf „Something More Than Free“, 2015), von einer meiner einstigen Lieblingsbands handelt: Mit 22 hatte Isbell auf Tournee mit den DriveBy Truckers Centromatic gesehen und Will Johnson eine Hommage geschrieben, die so beginnt: „Though everyone tried to ignore us/ We’d scared them all off by the chorus/ There you stood loo king proud/ What was left of the crowd at our show …“
Irgendwie, singt er dann noch, habe Johnson es geschafft, Isbells Ängste aufzuschreiben, als er selbst das noch gar nicht konnte – und dass er ihn heute vermisse. Aber wir müssen Will Johnson ja gar nicht vermissen, denn er ist immer noch da. Nur ein bisschen suchen muss man ihn. Wie das mit den besten Dingen im Leben oft ist.
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Laut Isbells Songtext („I was 22 backwoods years old“) fand das Zusammentreffen der beiden im Jahr 2001 statt – da war gerade „Distance And Clime“ erschienen, vielleicht das beste Album von Centromatic, auf dem schwelgerischer Folkpop und vehement geschrammelter Indie-Rock zu einem surrealistischen Panorama zusammenschmelzen, wenn Johnson vom alltäglichen Irrsinn erzählt. Welche Kollegen wiederum Johnson in „Tonight Is Not It“ wohl gemeint hat? „You were mur de rous to night/ You turned uncertain ty to fright/ You may sleep it off un til light/ If we don’t make it out to night.“
Das musste Isbell natürlich berühren: Er lebt ja in derselben Welt. Wie wir alle.