Birgit Fuß fragt sich durch: Clueso, Kunze – Was ist das nur für eine Crux mit diesem Charisma?
Clueso und Heinz Rudolf Kunze erkunden die unfassbare Anziehungskraft
Der Duden definiert Charisma als „besondere Ausstrahlung(skraft) eines Menschen“. Und es ist schon ein Kreuz mit dieser Kraft, die nichts mit Schönheit oder Status zu tun hat und eigentlich was Tolles ist – solange sie nicht alles überstrahlt und in den Schatten stellt. In kaum einem Lied wird das so zauberhaft beschrieben wie in Cluesos „Dünnes Eis“ (von „Handgepäck I“, 2018).„Du sagst hallo, und man vergisst den Rest/ Für dich stehen alle Türen auf/ Du hörst gern zu, weil du was wissen willst/ Man sieht sich selbst in deinen Augen.“ Gleich zu Beginn der Liebesgeschichte ahnt Clueso, dass er nicht als Einziger der Anziehung dieser Frau verfallen wird: „Du läufst ohne Schatten durch den Tag/ Und niemand geht dir aus dem Weg/ Ein jeder sehnt sich, der Berührung hat/ Denn du verzauberst aus Versehen.“
Das ist das Geheimnis von Charisma: Niemand muss (oder kann) sich dafür anstrengen, manche haben es einfach. Und wer nicht so damit gesegnet ist, bewundert diesen göttlichen Funken und bekommt nie genug davon – in dem Wissen, dass die oder der Geliebte wahrscheinlich nicht lange zu halten sein wird. Zu viele Möglichkeiten, zu große Welt. (Siehe auch „Segel im Wind“ von Peter Cornelius.) Clueso (selbst nicht gerade ein trockenes Brot) erzählt am Ende des Songs noch von der nächsten Begegnung nach einigen Jahren, die einst Angehimmelte hängt am Arm eines anderen, er geht wortlos vorbei. Seinen eigenen Weg, irgendwohin. Die Crux dabei: Der eigene Weg, die eigenen Wünsche sind so leicht zu vergessen, wenn man jemand Charismatischem verfallen ist – meist Menschen, die es gewohnt sind, dass sich alles um sie dreht. Weil sie das selbst tun, aber auch weil ihr Umfeld es zulässt und es genauso macht.
Und da sind wir schon beim nächsten großartigen Stück zum Thema. „Ich hab dich nie im Leben angefasst/ Ich hab dir niemals in den Kram gepasst/ Doch es ging immer nur um dich“: So beginnt „Immer nur um dich“, das bewegendste Lied auf Heinz Rudolf Kunzes aktuellem Album „Können vor Lachen“. Es ist leider nicht so zart instrumentiert wie Cluesos Akustiksong, es klimpert arg blechern – aber wie herrlich klar Kunze diese Worte singt: „Ich habe immer nur von dir geträumt/ Mit Wünschen nachts im Schlaf mich aufgebäumt/ … / Du hast dich manchmal an mich angelehnt/ Dann hab ich mich nach so viel mehr gesehnt/ Denn es ging immer nur um dich.“ So weit, so gut. Doch bald geht die Hingabe etwas zu weit: „Ich lasse meinen Lebensplan in jedem Traum im Stich/ Immer, immer geht es nur um dich.“ Irgendwann fahren alle Gedanken nur noch im Kreis, um diesen Menschen herum, um nichts anderes mehr. Und das ist natürlich nicht gesund, weil wir uns bei aller Liebe zuerst um uns selbst kümmern sollten – wie im Notfall in Flugzeugen: Stets zuerst die eigene Atemmaske aufsetzen! Kein Egoismus, nur nötiger Selbsterhaltungsmechanismus.
So leicht gesagt, so schwer getan! Jedenfalls wenn einem ein Mensch gegenübersteht, der einem die Luft zum Atmen raubt. So wunderbar leidenschaftliche, verzehrende, überwältigende Liebe ist – der Mittelpunkt des Lebens sollten wir immer selbst bleiben. Sonst geht’s vielleicht nahtlos in den nächsten sehr guten neuen HRK-Song über: „Klar hab ich geweint“