Billy Joel

Was will er denn nun? Einerseits will er wieder auf Tour gehen, diesmal gar mit dem früheren Erzkonkurrenten Elton John, um uns bei dieser Gelegenheit sicher wieder darüber aufzuklären, daß es "Still Rock & Roll To Me" ist; andererseits ließ er die staundende Öffentlichkeit vor einigen Wochen wissen, daß er dem Rock'n'Roll-Alter endgültig entwachsen sei und künftig klassische Musik zu komponieren gedenke. Über einer Flasche exzellenten Rotweins versuchte er den scheinbaren Widerspruch aufzulösen.

Klassische Musik?

Als vierjähriges Kind habe ich schließlich mit klassischer Musik angefangen. Als ich 13 Jahre alt war, bin ich dann dieser Schlampe mit den zerrissenen Netzstrümpfen in die Finger gefallen: Ich hatte eine heiße Affire mit dem Rock’n’Roll. Inzwischen bin ich 48 – und unsere Beziehung ist abgekühlt. Obwohl die Musik, die ich heute schreibe, gar nicht mal so sehr anders ist als die, die ich schon immer geschrieben habe. Die Piano-Einleitung von „The Stranger“ ist klassische Musik, „She’s Always A Woman“ nichts anderes als eine barocke Piano-Etüde. Ich hab immer so was gemacht.

Musiker in Deinem Alter scheinen wohl verstärkt die Notwendigkeit zu verspüren, sich „neue Ausdrucksmöglichkeiten“ zu eröffnen?

Wir haben keine Lust, fahrende Vertreter zu sein. Ich will nicht wie Willy Loman enden. Ich habe die Schnauze voll. Das hat nichts mehr mit Musik zu tun. Ich will kein Rockstar sein, sondern Künstler. Die Alternative-Bands, die heute proklamieren, daß sie „Anti-Stars“ sein wollen, können wohl nicht kapieren, daß uns das genauso passiert ist; wir haben auch den Käse gehaßt, der vor uns da war. Aber heute versucht sich ein Elton eben an Disney-Musicals, Paul Simon arbeitet an einem Musical und Bruce macht einen auf John Steinbeck mit Gitarre. Alle versuchen, Ausdrucksformen zu finden, die unserem Alter angemessen sind.

Aber die Stadien werden kaum ausverkauft sein, wenn es dort klassische Musik zu hören gibt.

Und was ist mit den „3 Tenören“? Das sind immerhin Sänger – und drei illustre Persönlichkeiten obendrein. Klassische Instrumentalmusik aber hören die Leute allenfalls, wenn es ein free concert im Park ist, Picknick inklusive.

Recht besehen, ist es ja fast schon Snobismus, nur ein Instrument zu spielen. In einer Band ziehen die anderen immer über den Sänger her, weil der gerade mal den Ton treffen muß, um schon als Sänger durchzugehen. Kennst Du den Witz? Wieviele Leadsänger braucht man, um eine Glühbirne einzuschrauben?

Wieviele?

Nur einen. Er hält die Birne – und die ganze Welt dreht sich um ihn.

Da spricht die Weisheit des Alters. Ich glaube, das Musikgeschäft hat einen Knacks bekommen. Die Babyboomer-Generation hat der Popmusik den Rücken gekehrt: Mit dem, was sie da hören, können sie nichts mehr anfangen. Sie kaufen lieber Countrymusik, Classic Rock oder – ich hasse das Wort easy listening. Wobei mir klar ist, daß ich selbst für viele der Inbegriff des Soft-Rock bin. Wenn ich nur „Tell Her About It“ und „Uptown Girl“ kennen würde, würde ich Billy Joel auch für einen Schlappschwanz halten. Aber ich bin kein Schlappschwanz, ich hab noch immer die gleiche Wut im Bauch wie vor zehn Jahren. (Lange Pause) Aber hier bin ich, 48 Jahre alt – und muß einen anderen Zugang zur Musik finden. Ich muß einfach etwas anderes machen. Ich weiß auch nicht.

Haben sich Musiker nicht zu allen Zeiten darüber beklagt, daß sie nur ein Rädchen im Getriebe sind?

Ich mache das nun schon seit 30 Jahren – warum kann ich jetzt nicht etwas anderes machen? Der einzige Grund, warum man auf der Bühne einen Idioten aus sich macht, ist doch der, daß man Frauen abschleppen will. Jeder, der das ernsthaft abstreitet, hat doch Scheiße im Kopf. Beethoven hat es gemacht, Mozart auch.

Auf Deinem jüngsten Greatest Hits-Album gibt es auch einen neuen Track, ein Dylan-Cover. Ist das eine späte Entdeckung?

Einen Bob-Song zu hören ist, als würde man eine Goldader entdecken. Mir tun all die Kids leid, die einfach nicht mitbekommen, wie gut dieser motherfucker ist. Die hören lieber Jakob Dylan, weil der ja so fotogen ist. Vielleicht ist er ja auch so talentiert wie sein Alter, aber das muß er erst noch beweisen.

All den Selbstzweifeln zum Trotz gehst Du jetzt wieder auf Tournee, diesmal mit Elton John.

Ich hab einen Heidenrespekt vor ihm. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck. Als ich damals den Ärger mit meiner Scheidung hatte, sollten wir schon mal ein gemeinsames Konzert in New York geben; aber da an diesem Tag ein unglaubliches Unwetter über die Stadt niederging, war ich davon ausgegangen, daß der Gig abgesagt würde. Also hab ich mir Zuhause auf Long Island ein paar Flaschen Wein eingepfiffen – nur um in letzter Minute zu erfahren, daß das Konzert nicht abgesagt war!

Mann, was war ich besoffen. Ich bin rumgetorkelt und hingeknallt, ich hab Eltons Schuhriemen zugeknöpft, ich hab auf dem Klavier gelegen wie Michelle Pfeiffer in „The Fabulous Baker Boys“ – und dachte, ich sei so furchtbar witzig.

Am Tag daraufnahm er mich in den Arm: „Bist Du okay? Kann ich irgendwas für Dich tun? Ich mach mir Sorgen um Dich.“ Werd ich nie vergessen. Egal, was sie ihm immer an absonderlichen Marotten andichten: Elton hat ein großes Herz.

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