Billy Corgan: Herr Corgan sucht das Glück

Fünf Jahre nach dem Ende der Smashing Pumpkins kommt Billy Corgan endlich mit einem Soloalbum. In der Zwischenzeit hat er erkannt, warum ihn so viele hassen, und akzeptiert, daß sich das kaum ändern läßt.Dafür hilft ihm jetzt Gott. Und Robert Smith mag ihn auch.

Billy Corgan ist nicht dumm. Er weiß genau, welch zweifelhafter Ruf ihm vorauseilt. Daß man sich erzählt, er könne in Interviews unausstehlich sein, sehr divenhaft und schnell beleidigt. Manchmal sagte er angeblich fast gar nichts, oft versteckte er sich hinter großspurigen Worthülsen.

Billy Corgan ist schüchtern. Das nervt, ihn besonders. Er bemüht sich ja, freundlich zu sein. Als er die Suite im Hamburger Hyatt-Hotel betritt, lächelt er gequält. Er hat einen ganz weichen Händedruck, der gar nicht zu seiner riesenhaften Gestalt paßt, dafür aber genau zu seinem Gesichtsausdruck: Ein wenig hilflos schaut er sich um, wie ein Tier in der Falle, das nicht weiß, was es nun machen soll. Das feuerrote Geburtsmal, das sich über seinen gesamten linken Arm ausbreitet, versteckt er nicht mehr – es wirkt wie die äußerliche Manifestierung seines Außenseitertums. Corgan fühlt sich nicht wohl bei dieser Interview-Arbeit. Und er fragt sich, ob das seinem Gegenüber vielleicht genauso geht. Das Gespräch beginnt überraschenderweise mit einer Frage von ihm: „Mußt du manchmal mit Leuten reden, deren Album du haßt? Das stelle ich mir schmerzhaft vor. Manchmal ist es ja so schon schmerzhaft, oder?“ Er lacht kurz. „Ich war früher sehr schwierig. Man hat mich schon mit Lou Reed verglichen. But I’m all nice now, I’m like a big pussycat. You can’t make me crazy anymore.“ Nicht, daß man das vorhatte. Billy Corgan ist jetzt selbstbewußt. Er hat es nicht mehr nötig, arrogant zu sein auch wenn er schon sehr stolz auf sein Debüt „The Future Embrace“ ist. Nachdem die Smashing Pumpkins im Dezember 2000 ihr letztes Konzert gegeben hatten, hätten wohl die meisten gewettet, daß der Songschreiber, Sänger und Kontrollfreak der Band bald ein Soloalbum veröffentlicht. Und nicht erst fünf Jahre später.

Corgan gründete nach dem Zusammenbruch der Pumpkins erst einmal eine neue Band, Zwan. Besonders erfolgreich waren die mit ihrem einen Album, „Mary Star Of The Sea“, allerdings nicht, und jetzt kommt er also doch noch, der Alleingang. Ist aber eher ein Zufall, sagt Corgan: „Ich wollte nie solo sein. Ich dachte immer, vielleicht mache ich mal neben der Band ein Soloalbum, aber damals dachte ich auch noch, die Pumpkins werden sich nie trennen. Danach wollte ich dann wirklich ein Soloalbum machen, aber da passierte Zwan. Und eigentlich ist der Unterschied auch gar nicht so groß. Ich wünschte, ich härte ein bessere Geschichte zu bieten, aber ich habe ja immer eher allein, für mich selbst gearbeitet Natürlich fallt jetzt der Teil weg, wo man die Band auf die neuen Songs einstellen muß, sie ihnen nahebringen muß. Aber sonst ist es dasselbe: jeden Tag zwölf Stunden im Studio, arbeiten, arbeiten.“

Während der Aufnahmen in Chicago hat sich der 38jährige zunächst nur um die technischen Aspekte gekümmert. Vier Monate lang hat er am Sound getüftelt, ohne Songs zu haben. Menschen in seiner Umgebung hielten ihn schon für verrückt, aber das ist für Corgan freilich nichts Neues. „The Future Embrace“ hat nun tatsächlich einen eigenwilligen Klang, recht elektronisch und doch nicht steril, nur ein bißchen überladen manchmal Nachdem er all die Knöpfe beherrschte, hat sich Corgan dann doch noch um die Lieder gekümmert – und eine revolutionäre Herangehensweise ans Komponieren ausprobiert: „Ich habe eine völlig neue Art gefunden, Songs zu schreiben. So habe ich das noch nie gemacht. Leider kann ich dir nicht erzählen, wie das geht. Es ist ein Geheimnis. Sony! Ich will das nicht preisgeben, deshalb nur so viel: Die Methode ist näher dran an Klassik als an Popmusik.“

Er schiebt seine zu groß geratenen Gliedmaßen auf der Couch hin und her, irgendwie ist ihm das jetzt unangenehm. Er würde so gern mal ganz normal auf Fragen antworten, aber wie macht man das, ohne etwas von sich preiszugeben? Immerhin gibt er noch zu Protokoll, daß er in den vergangenen Jahren hart an seiner Stimme gearbeitet hat, um mehr Selbstvertrauen zu gewinnen: „Ich habe eine sehr seltsame Stimme, die nicht immer tut, was ich will. Ich habe inzwischen Frieden mit ihr geschlossen, sie war sehr gut zu mir. Wenn ich frustriert damit bin, dann nur als Produzent. Manchmal paßt sie eben einfach nicht so in die Musik hinein, wie ich mir das vorstelle.“

So kommt es, daß seine Lieder fast immer traurig oder wütend klingen, auch wenn die Texte auf „The Future Embrace“ doch Glaube, Liebe, Hoffnung vermitteln sollen. Was von Corgan einigen Mut erfordert: „Die Leute sind ja eher negative Botschaften gewöhnt. Wenn sie sich etwas Positives vorstellen, denken sie an ,Wind Beneath My Wings‘ oder solchen Kitsch. Ich möchte aber aus einer realistischen Perspektive berichten. Ich singe nicht von einer utopischen Vision des Lebens, sondern von einer, die ich sehe. Wenn man Glück erreichen will, muß man sich erst mal mit der Realität auseinandersetzen, in der man lebt. Man kann Glück nicht finden, indem man sich etwas einredet.“

Der erste Song heißt „All Things Change“ – ein Thema, daß sich durch das gesamte Album zieht wie ein roter Faden.

Kommst du gut mit Veränderungen klar?

Veränderungen sind unvermeidbar. Wie der Tod. Kann man nichts dagegen machen. Manchmal tun sie weh, manchmal bringen sie einem aber auch etwas. Ich komme damit zurecht, aber ich hoffe trotzdem, für mich stehen nicht mehr allzuviele an. Ich bin ein bißchen müde.

Gibt es in deiner Vergangenheit manches, was du bereust?

Natürlich, oh ja. Sehr viel. Natürlich. Klar. Aber die Fehler, die mich am meisten ärgern, sind nicht die, die ich gemacht habe, weil ich etwas Gutes schaffen oder mehr erreichen wollte. Sondern die, die ich aus Angst gemacht habe. Oder weil ich nicht genug an mich selbst geglaubt habe. Manche Alben hätten noch viel mutiger sein können. Sage ich heute.

Du bist nie ganz zufrieden?

Nie. Bei jedem Album denke ich: Das mache ich fertig, sperre es weg und ziehe in eine andere Stadt. Ich will nie etwas veröffentlichen. Aber das Geld, das man im Studio verpraßt, muß ja wieder zurückkommen.

Du hattest 40 Lieder zur Auswahl. Nach welchen Kriterien hast du dich letztendlich entschieden?

Wenn ich das wüßte! Man fühlt es einfach. Ich will nicht trendy sein. Timely, but not trendy. Eigentlich überlege ich nie, was andere Leute davon halten werden. Oft bin ich dann ganz überrascht. Ich denke, man wird es lieben – und nichts passiert. Ich denke, ein Song ist scheiße – alle lieben ihn. Ich habe einfach keine Ahnung. Es ist eine Qual.

Hast du mal daran gedacht, es einfach zu lassen?

Nach dem Ende der Pumpkins habe ich ernsthaft ans Aufhören gedacht. Umgestimmt hat mich dann: Gier. Pure Gier. Und als Zweites die Leidenschaft für die Musik. Aber die war verschüttet, es war einfach zu viel. Mein Leben bestand zu 98 Prozent aus Musik, nur zu fünf Prozent aus Leben. Jetzt ist es eher 50:50. Ich will leben, ich will tatsächlich mein Leben genießen. Das ist ein neues Konzept Es ist schwierig. Nicht wegen der Musik, sondern meinetwegen. Weil ich psychologisch beeinträchtigt bin.

Was er damit meint, kann man erst richtig verstehen, wenn man „The Confessions Of Billy Corgan“ auf www.billycorgan.com gelesen hat – eine Art Autobiografie, ein work in progress,

dem er jede Woche neue Kapitel hinzufügt. Er berichtet von seiner Kindheit mit dem drogensüchtigen Vater und der nervenkranken Mutter, von ersten Freundinnen und Bands, von Krankheiten und Größenwahn – und natürlich viel von den Smashing Pumpkins. Er schont seine ehemaligen Kollegen nicht, vor allem aber rechnet er gnadenlos mit seinen eigenen Entgleisungen ab.

Warum diese plötzliche Offenheit? „Es ist sehr schmerzhaft, aber ich fand, es ist Zeit, die Dinge ans Licht zu bringen. Nicht für irgendwen, nur für mich.“ Er ahnt schon, was die nächste Frage sein wird. „Warum ich es dann nicht nur für mich aufschreibe, vielleicht ein paar Freunden zeige? Ich bin eine öffentliche Person. Mein Leben ist meine Kunst. Meine Kunst wird auch beurteilt nach meinem Leben. Es gibt viele Leute, die meine Musik nicht mögen, weil sie mich nicht ausstehen können. Was schade ist.“ Und wohl nicht zu ändern – Corgan jedenfalls macht sich da keine falschen Hoffnungen. Zu tief sitzen die Vorurteile über ihn: rücksichtsloser Tyrann, eingebildeter Eierkopf, manischer Eigenbrötler. Wenn Sie ihn fragen: Er kann gar nichts dafür. Sie kennen das: ab Kind zu wenig geliebt worden, nie darüber weggekommen. „Wenn ich jetzt über meine Kindheit schreibe, merke ich, wie all diese Dinge, die ich erlebt habe, praktisch mein Leben zerstört haben. Das ist hart. Ich habe dieses fotografische Gedächtnis, leider. Vielleicht wäre es besser, ich hätte einiges vergessen.“ Weil er das aber nicht kann, macht er einfach weiter. „Ich werde alles erzählen, glaube ich. Solange es relevant ist. Was mich, mein Leben, meine Band betrifft – das wird alles aufgeschrieben. In welcher Reihenfolge, weiß ich nicht genau. Ich habe ein loses Konzept, aber im Grunde entwerfe ich alles, während ich schreibe.“

Bei den Songtexten des neuen Albums fällt auf, daß Corgan neuerdings sehr oft Gott erwähnt. In seinem persönlichen Lieblingssong, „I’m Ready“, ruft er den Herrn: „I’m ready/ Oh Lord, I’m ready/ Ready to roll, ready to leave/ Oh Lord, I’m steady now.“. Kain hat später auch noch einen Gastauftritt, aber Corgan will all diese Verweise nicht weiter kommentieren. Zunächst. „Gott ist ja nicht gerade Teil der Band. On lead guitar: God.“ Er kichert bei der Vorstellung, wird dann aber gleich wieder ernst: „Das funktioniert nicht. Aber auf dem Album findet er natürlich statt. Mir ist das nicht peinlich, und ich muß mich nicht dafür entschuldigen. Aber ich bin nicht diese doofe heilige Dampfwalze, die predigen will.“

Er versteht, warum viele Hörer Aversionen gegen Musiker haben, die von ihrem Glauben singen. „In der ganzen westlichen Zivilisation geht es nur um Individualismus. Dein Internet, dein Handy, dein Screensaver und so weiter. Es geht immer um Personalisierung. Selbst wenn man ganz normal lebt, hat man dieses hohe Level an Individualismus, an Eigenständigkeit, an Kreativität. Wenn Völker so denken, fühlen sie sich natürlich unwohl bei der Vorstellung, daß ihnen jemand sagt, was sie tun sollen oder wie. Es gefallt ihnen nicht, wenn Prominente ihre Position ausnutzen, um ihnen zu sagen, wie sie leben sollen. Zu sagen, bitte kauft meine CD, ist okay, aber zu sagen: Bitte lebt oder glaubt das, ist etwas anderes. ,Wer bist du, daß du mir deine Meinung aufdrängen willst?, das ist die normale Reaktion. Das möchte ich nicht, es interessiert mich nicht. Ich sage keinem, wie er leben soll. Wenn jemand wissen will, wie ich lebe, kein Problem. Aber das heißt nicht, daß ein anderer genauso sein soll. Im Gegenteil: Ich würde keinem empfehlen, wie ich zu sein!“

Das war jetzt ein sehr, sehr langer Vortrag für eben Mann, der nicht gern redet. Und doch fügt er nach einer kleinen Atempause noch hinzu: „Mir hilft Gott, meinen Kopf klar zu halten und mein Leben. Er ist der Unterschied zwischen mir, als ich Drogen nahm, und mir, wenn ich keine nehme. Solche Dinge. Es ist meine persönliche Entscheidung.“

Er hat nicht sonderlich viele Freunde im Musikgeschäft, aber einer davon ist Robert Smith. Als Corgan sich mit dem Gedanken trug, den Bee Gees-Tränenzieher „To Love Somebody“ neu aufzunehmen, fiel ihm sofort der Cure-Chef ein – der anfangs allerdings wenig begeistert war: „Er hat meinen Verstand angezweifelt. Und ich hatte auch Angst, daß wir nicht zusammenpassen oder daß seine Stimme meine einfach ausradiert. Aber ich liebe diesen Song schon lange, und es schien der einzige zu sein, auf dem er mitsingen könnte.“ Nun hört man zwei der schmerzerfülltesten Stimmen gemeinsam auf einem Song – fast unerträglich, oder? „Aber es klingt doch fast glücklich, nicht? Schmerzhafte Stimme plus schmerzhafte Stimme ergibt zusammen eine glückliche Stimme. Das ist eine neue Mathe-Formel!“ Da lacht Billy Corgan mal richtig laut.

Am Ende der Interviewzeit, nachdem er sich warm geredet hat und jetzt praktisch permanent lächelt, zumindest aber immer versucht, vernünftige Antworten zu finden („Vielleicht sollte ich es mal mit Fingerpuppen versuchen, könnte das die Kommunikation erleichtern?“), fragt man sich: Warum ist Billy Corgan eigentlich so unbeliebt? Ist doch ein ganz anständiger Kerl. Aber er weiß genau, was sein Problem ist: „Ich spiele nicht nach den Regeln. Ich bin nicht so, wie man als Rockstar zu sein hat Als Rockstar soll man entweder ein Rebell sein also sich um nichts kümmern, nicht um Plattenverkäufe, um seinen Körper, um gar nichts. Oder man ist dieser echt nette Typ – freundlich, dankbar und so. Für etwas dazwischen ist kein Platz. Für eben intelligenten Menschen, der mit manchen Aspekten seines Lebens Schwierigkeiten hat und auf andere stolz ist. Der manchmal sogar glaubt, er ist der Beste. Man darf das nie öffentlich sagen, nur hinter den Kulissen. Man darf keine echten Geheimnisse preisgeben, weil andere sich dann unwohl fühlen. Man darf nur preisgeben, wenn etwas tragisch ist, aber mit gutem Ende. Ich war drogenabhängig, aber jetzt bin ich clean – das geht. Und bitte kauft mein Album! So bin ich nicht. Ich werde immer das schwarze Schaf bleiben.“

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates