Wie Billie Eilish nach drei Alben erwachsen geworden ist
Billie Eilish vereint auf ihren ersten drei Platten Ironie, Selbstbewusstsein und Düsternis.
Bereits 2015 stellte Billie Eilish mit gerade einmal 13 Jahren ihre Single „Ocean Eyes“ auf SoundCloud. Es dauerte nicht lange, bis viele vor allem junge Menschen nicht mehr genug von ihr bekommen konnten. Ihre zarte Stimme schaffte es mit ausgeklügelten Lyrics eine intime Stimmung aus Verzweiflung und Sehnsucht zu kreieren.
Dabei ging es aber nicht nur um ihr Gesangstalent. Es war schnell die Rede von Eilishs „Aura“ und die Begabung mit ihrer Stimme Atmosphären erschaffen zu können. Allerdings bestand diese weniger aus melancholischem Bubblegum-Pop, bei dem man während eines Sonnenaufgangs durch die Natur schlendert. Vielmehr türmten sich in ihren Liedern groteske Witze und düstere Metaphern.
Ein Beispiel dafür ist ihr Track „Bellyache“ aus ihrer 2017 erschienenen Debüt-EP „Don’t Smile At Me“. Billie Eilish singt aus der Sicht einer Psychopathin, die ihre Freunde ermordet und spricht damit über das Gefühl der Schuld durch falsche Entscheidungen. Eine bittere Einstellung für eine damals 15-Jährige, die mit solchen Aussagen gleich mehrere Debatten auslöst. Sind das Metaphern einer düsteren Seele? Oder sind sie eher ein Zeichen dafür, dass Eilish bereits sehr reif für ihr Alter ist? Und wo führt ein solcher Pessimismus hin?
Bislang führte die Eilishs Karriere zu drei Studioalben, mit denen ihre Fans dabei zuschauen konnten, wie sie erwachsen wurde.
„When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ (2019)
Wie düster es noch werden kann, ohne den Mainstream-Pop zu verlassen, bewies Billie Eilish mit ihrem Debütalbum „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“. Die Platte ist eine wilde Mischung aus Selbstironie, Zweifel und auch Selbstbewusstsein – eben wie die Gefühlsachterbahn einer 17-Jährigen. Sie beginnt in „!!!!!!!“ mit einem ungemütlichen Schmatzen und mit der Ankündigung, ihre Zahnspange herausgenommen zu haben. Man hört, wie sie mit ihrem Bruder darüber lacht. Ihr Bruder, das ist Produzent und Co-Autor Finneas O’Connell – sozusagen die Ein-Mann-Armee hinter dem Sound Eilishs.
Es sind kleine Momente wie diese, die einen kurz an das junge, spielerische Alter der Sängerin erinnern. Schließlich folgt allerdings eine Tracklist, in der Eilishs zarte Stimme mit bösen Bässen und teilweise noch böseren Texten kombiniert wird. Sie reflektiert über die Definition von Gut und Böse, Einsamkeit und den Sinn des Lebens. Sie sprengt Grenzen durch Themen wie Mord und Selbstverletzung, treibt es allerdings nie so an die Spitze, dass man sich ausklinken möchte.
Auch musikalisch ist es ein Balanceakt zwischen den Genres: Von Popsongs über Trap, Dubset-Einflüssen und EDM. Eine breite Palette, die sich nie zu weit von dem poppigen Beat zu entfernen scheint. Die Klangexperimente von Finneas machen neugierig, überfordern aber auch nicht. Durch ASMR-Sounds wie Scherbengeräusche, ein leises Klappern oder Kratzen werden Songs wie „Bury A Friend“ zu akustischen Wimmelbüchern.
Ein Traumtagebuch
Inspiriert durch eigene Albträume, die Eilish während des Entstehungsprozesses der Platte quälen, hinterfragt sie die Quelle ihrer Nachtschattenspiele und dabei auch eigene Gedanken, Beziehungen und Freundschaften. Sie wünscht sich, nein, sie fordert in „When The Party’s Over“ Verbindungen zu Menschen, die einem nach einer Party nicht die eigene Einsamkeit vor Augen führen. Sie lamentiert, dass sich auch die Gesellschaft anderer einsam anfühlen kann. Dazu zeigt sich Billie Eilish im Musikvideo alleine in einem fast leeren weißen Raum, während ihr schwarze Tränen über das Gesicht laufen. Eine Idee, die ihr beim Produzieren des Stücks selber kam.
In „Xanny“ gesteht Eilish, selbst keine Drogen zu nehmen, weil sie genügend Freunde daran verloren habe. Dann bietet sie mit „Bad Guy“ wieder ein radiotaugliches Pop-Lied, in dem sie sich selbstbewusst präsentiert: „Ich bin ein Typ, der deine Mama traurig macht, deine Freundin verrückt macht und deinen Vater verführen könnte“ und beendet es ironisch mit einem „Duh!“. Für im Grunde jeder Form des Teeniezweifels findet „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ die richtigen Worte. Dabei vergisst man oft, dass es sich zu diesem Zeitpunkt um eine 17-jährige Musikerin handelt. Manchmal, für wenige ausgewählte Momente, reibt sie einem das aber auch genau um die Nase.
„Happier Than Ever“ (2021)
Ihr Debütalbum verschafft Billie Eilish eine rasante Aufmerksamkeit und noch bevor ihre zweite Platte auf den Markt kommt, erhält die Sängerin sieben Grammys. Mit dem schnellen Ruhm beschleunigt sich aber auch die Feder ihrer Kritiker. Zudem muss sich die scheue Musikerin erst daran gewöhnen, von Paparazzi verfolgt und von Medien durchleuchtet zu werden. Ihre Authentizität steht von Anfang an unter Verdacht. Konservative Kommentatoren fragen sich mit „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“, ob eine Jugendliche in breiten HipHop-Klamotten, die über Mord, Sucht und Selbstverletzung singt, das richtige Vorbild für Teenies sein kann.
Billie Eilish wandelt sich
In „Happier Than Ever“ tauscht Eilish ihre grünen Haare dagegen mit blonden Locken. Auch musikalisch gibt es weniger Trap und tiefe Bässe, weniger schwarze Tränen und überspitzte Metaphern. Die Kritiker konzedieren umgehend, dass die Sängerin reifer geworden ist. Nun kommt das allerdings nicht von irgendwoher, bereits der Album-Opener „Getting Older“ rückt diesen Zustand des Übergangs in den Mittelpunkt: Eine 19-Jährige, die darüber singt, wie es ist, unter den wachsamen Augen der Welt großzuwerden. Die Skepsis der jungen Eilish bleibt indes erhalten. In den Lyrics heißt es: „Dinge, die ich einst genossen habe, tue ich jetzt einfach nur ab“.
Mit eher sanfteren Klängen demonstriert sie nun, dass das Besteck, das die Realität zur Verfügung steht, schon ausreicht, um zu erklären, was alles schiefläuft. Es bedarf keiner düsteren Vergleiche oder eines Sounds, der mit schmetternde Bässen das Gesagte doppelt unterstreicht. Der alltägliche Wahnsinn genügt als Ressource. In „NDA“ erklärt Eilish, dass ihre Liebespartner jetzt Geheimhaltungserklärungen unterschreiben müssen, in „OverHeated“ beschreibt sie wie sensationslüstige Fotografen versuchen, einen besonders provokanten Shot von der Musikerin zu bekommen und in dem Spoken-Word-Interlude „Not My Responsibility“ schildert sie die allgegenwärtige Konfrontation mit Bodyshaming.
Hinterfragen der Strukturen
„Happier Than Ever“ beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Erfahrungen eines plötzlich berühmt gewordenen Menschen. Sie reflektiert in „Everybody Dies“ auch über existenzialistische Themen, fragt, weshalb man sich kryogenisch konservieren lässt, wenn die Menschen, die man liebt, bereits tot sind. „Your Power“ thematisiert Machtkämpfe einer toxischen Beziehung, in der sich der Mann als überlegen ansieht. In „Male Fantasy“ analysiert sie einen Porno, der weibliche Lust in verzerrter Form darstellt. Mit „My Future“ findet sie schließlich sogar zu einem zuversichtlichen Blick nach vorn: „I’m in love with my future/can’t wait to meet her“. Als würde sie hoffen, sich eines Tages an die Veränderungen in ihrem Leben und ihrer Wahrnehmung der Dinge gewöhnen zu können.
Auch wenn Eilish als Popstar gewiss ein anderes Leben führt als viele ihrer Altersgenossen, gelingt es ihr, sichtbar zu machen, wie mit dem Älterwerden die kindliche Naivität Stück für Stück abgerieben und durch etwa noch nicht mit Worten zu erfassendes Neues ersetzt wird. Etwas, über das man sich zugleich freuen kann und fürchten muss. So wie die meisten Jugendlichen, die sich früh in ihrem Leben von dem behüteten Nest des Elternhauses entfernen.
„Love Me Hard And Soft“ (2024)
„Love Me Hard And Soft“ scheint die Vorgänger-Alben zu kombinieren. Die ASMR-Sounds sind erneut dabei und machen die Platte vor allem mit Kopfhörern zu einem Soundvergnügen. Gleichzeitig werden wieder die extra-fetten Bässe durch zart-traurige Balladenklänge wie auf „Happier Than Ever“ eingetauscht. Manche hören hier ein erstes Resumée ihrer nun knapp eine Dekade umfassenden Karriere heraus. Zugleich versteht sich die Platte als selbstbewusste Loslösung von (künstlerischen) Erwartungen.
Altes trifft auf Neues
Auch hier singt Eilish wie auf „Happier Than Ever“ in Tracks wie „Skinny“ über die Hürden des Ruhms und der stets drängenden, niemals abflauenden Kritik: „People say I look happy/Just because I got skinny/But the old me is still me and maybe the real me/And I think she’s pretty“.
Finneas ersetzt die überbordenden Sound-Effekte von „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ durch minimalistische Elemente, allerdings noch immer ohne den Druck, sich auf ein musikalisches Genre festzulegen. Eilish balanciert in in ihren Songs zwischen Balladen und ausdrucksstarken Rock-Elementen. Die Platte wird nicht wie die beiden vorigen LPs im Alleingang mit ihrem Bruder Finneas im Kinderzimmer aufgenommen, aus dem sie mittlerweile ausgezogen ist. Zum ersten Mal ist der Schlagzeuger Andrew Marshall mit von der Partie, das Attacca Quartett spielt Arrangements ein und Finneas erhält Unterstützung vom kanadischen Komponisten David Campbell. Was sich nicht gerändert hat: „Love Me Hard And Soft“ wirkt von der ersten Sekunde an so nackt und unverstellt wie die Vorgängeralben.
Die zweiseitige Medaille der Liebe
In den Texten rückt Eilish deutlich von jenen gemischten Themen ab, die noch „Happier Than Ever“ prägten. Es geht weniger um Alltagsfluchten und gesellschaftliche Zwänge, dafür aber mehr um die Liebe. Die Sängerin reflektiert in Stücken wie „Blue“, wie es ist, erstmals von Armors Pfeil getroffen worden zu sein. Ihr gelingt der Spagat, den Zauber der ersten Verliebtheit genauso zu umschreiben wie die Selbstforderung nach den ersten gescheiterten Beziehungen, Narzissten keine Chance mehr zu geben. Noch intimer wird es mit dem Alt-Pop-Stück „Lunch“, worin sich Eilish, nun wieder mit messerscharfen Metaphern, ihre aufflammende und durch so manche Dinge abkühlende Begierde umreißt.
Die Coming-of-Age-Erzählung „Birds of a Feather“ macht der ungehemmten Lust aber einen Strich durch die Rechnung und feiert die Notwendigkeit von vertieften Beziehungen, ob freundschaftlich oder sexuell. Eine junge Frau in ihren frühen 20ern macht hier das, was wohl jede Frau in diesem Alter tut: Sie verarbeitet ihre ersten Erfahrungen mit dem, was Erwachsene gelangweilt Leben nennen und entdeckt dabei – sich selbst. Ihre Schlussfolgerung: Liebesbeziehungen geht man nicht mehr leichtfertig ein, sondern man beginnt langsam zu verstehen, was man sich von anderen wünscht. Unabhängig davon, was die Gesellschaft einem vorschreibt, erahnt man nun, was man selber braucht.
Drei Alben auf dem Weg, erwachsen zu sein. Drei Platten, mit denen sich Eilish ihren weg als junge Musikerin erprobt und dabei stets auch daran teilhaben lässt, wie sich diese Entwicklung vom schüchternen Mädchen zur wunschbegabten jungen Frau anfühlen mag.
Kritiker mäkeln, dass Eilish hier zu kindisch und dort zu bemüht erwachsen wirkt. Doch hört man nur auf ihre Musik, der die Sängerin bewusst den Vorrang gegenüber einer bühnenhaften Inszenierung als Superstar gibt, dann lässt sich durchaus nachvollziehen, dass Eilish ihre Skepsis und Unsicherheit zum Treibstoff ihrer Songs gemacht hat. Mehr noch als die Persona, die sie nach außen verkörpert, steckt in ihren Liedern das, womit sich Millionen von jungen Menschen identifizieren.