Bienenstiche der Zukunft
Douglas Coupland entwirft in dem Roman „Generation A“ ein Szenario der Welt nach unserer Zeit – und variiert seine fatalistisch-humoristische Version von den letzten Dingen.
Um die Geschichte der Menschheit nachzuerzählen, braucht Diana nicht viele Sätze: „Das Feinschmeckerspähtrupp von Gamalon 5 hatte den Planeten Erde schon so gut wie aufgegeben, als er auf ein seltenes Säugetier namens Mensch stieß, das tatsächlich überaus schmackhaft war.“ Die Besatzung der Außerirdischen tut alles, damit sich diese leckeren Säugetiere ordentlich vermehren („Es geht doch nichts über Ackerbau und Viehzucht, Commander.“ – „Wie wahr, es ist schön, dass es wenigstens einige Konstanten im Universum gibt.“) – und da Bücherliebhaber besonders gut schmecken, lassen die Außerirdischen die Menschen die Druckerpressen erfinden. Fortan lebt Gamalon 5 im Schlaraffenland, und würden es noch heute tun, wenn nicht in einem unbeachteten Moment („Es tut mir furchtbar leid, Sir. Wir waren im Urlaub“) die Menschen die digitale Kommunikation erfunden hätten. Nun lesen die Fleischklöpse immer weniger, die Besatzung von Gamalon 5 zieht mit Trauer im Herzen und knurrendem Magen ab.
Diana ist eine der fünf Freunde, die sich auf einer unwirklichen Insel unwirkliche Geschichten ausdenken. Sie ist streng gläubig, und ihr Herrgott hat ihr eine besonders schwere Prüfung auferlegt: Sie leidet unter Tourette und sagt statt „Ich mag Dich“ eher so etwas wie „Fick mich“. Der Franzose Julien ist computerspielsüchtig und sieht aus, „als sei er in einer Spielhölle“ zur Welt gekommen. Dann ist da noch Zack, der Stecher aus Iowa, die Fitnesstrainerin Samantha aus Neuseeland und der schlaue Harj aus Sri Lanka. Eine Handvoll guter Freunde, herzerwärmende Menschen in einer grausamen Welt: Bei der Konstellation weiß man, dass man entweder in einem Roman von Enid Blyton – oder in einen von Douglas Coupland geraten ist.
Der Kanadier Coupland ist ein Arbeitstier: Seit 1991 ist er mit „Generation X“ und der wegweisenden Definition der McJobs („low pay, low prestige, low benefits, low future“) in den Literaturbetrieb eingestiegen; sein neues Buch, „Generation A“ (Tropen bei Klett-Cotta), ist sein 13. Roman, er hat acht Sachbücher geschrieben und noch einige Drehbücher obendrauf. Der Bildhauer, der eigentlich angefangen hatte zu schreiben, um seine Künste zu finanzieren, arbeitet sieben Tage die Woche, „ein Tag am Strand würde mir wie eine Sünde erscheinen“, sagt er.
Der 48-Jährige verfügt für seine Romane über eine Art Grundbaukasten: Zumeist finden sich junge Menschen aus der Mittelklasse zusammen, die der Überzeugung sind, dass das Leben irgendwann einen Sinn ergeben wird, und die sich nur widerwillig von dieser Idee verabschieden. „Ich dachte darüber nach, wie das Leben hätte sein sollen und was statt dessen daraus geworden ist“, sagt ein junger Mann in „Girlfriend In A Coma“; ein programmatischer Satz, gilt er doch als Lebenseinstellung für nahezu alle Personen des Coupland-Universums. Sie sind immer ein wenig grotesk und verschroben, verloren und liebenswert zugleich; sie sind die Auserwählten, Kinder einer womöglich letzten Generation.
Über sich selbst sagt Coupland, dass er ziemlich gut darin sei, die Zukunft zu extrapolieren, vor der er sich ein wenig fürchtet, ohne sich nach der guten alten Zeit zu sehnen. „Wenn du denkst, dass ich zu viel über die Zukunft nachdenke, was ich wahrscheinlich mache, heißt das noch lange nicht, dass ich ihr Cheerleader bin“, sagt er, was auch eine ganz schlüssige Antwort auf die Frage ist, warum Coupland nicht den literarischen Rang einnimmt, der ihm gebührt. Er ist nicht in den üblichen Kategorien einzuordnen, schreibt nicht über komplizierte Liebesbeziehungen einsamer Großstädter, keine fein ziselierten historischen Rückblicke, keine grüblerische Selbstfindungsprosa. Für einen Apokalyptiker schreibt erzählt er defintiv zu lustig, für den Gesellschaftskritiker fehlen ihm die ideologischen Glaubenssätze: „An Technik moralische Standards zu setzen ist, wie wenn man sich über schlechtes Wetter aufregen wolle. Viel Spaß dabei.“
In „Generation A“ stehen die jungen Leute, wie sie Kurt Vonnegut 1994 definierte, „am Anfang einer ebenso langen Reihe spektakulärer Errungenschaften und Reinfälle wie einst Adam und Eva“. Die Pharmaindustrie hat sich des Problems der Zukunftsangst angenommen und ein Mittel mit dem wegweisenden Namen „Solon“ erfunden. Es nehme die Sorge vor dem, was kommt, und ermögliche, wie es im schönsten Beipackzetteldeutsch heißt, „vielen Menschen, die über ständige Einsamkeitsgefühle klagen, wieder eine angstfreie, aktive und produktive Teilhabe am Leben“.
Wie immer beim technischen Fortschritt hat auch diese Erfindung ihren Preis: Die Einnahme einer Pille macht unwiderruflich abhängig. Und, ach ja, die Solon-Produktion vernichtet die Bienen. Was die fünf Freunde verbindet, ist, dass sie von den als ausgestorben geltenden Bienen gestochen und so weltberühmt werden – eine für den Farmer Zack erfreuliche Entwicklung: „Schon mal mit Groupies geschlafen? Die sind sssuuuperr, und wenn du es richtig anpackst, waschen sie dir auch noch die Wäsche und backen die Omelettes: Und das Beste ist, dass du gleichzeitig hilfst, ihr Selbstwertgefühl zu steigern, wenn du sie das machen lässt. Ja, im Grunde gibst du mehr, als du nimmst.“
Die Weltlage ist weniger heiter, die Klimaerwärmung hat einige amerikanische Großstädte zu Geisterstädten gemacht. Daher nimmt die verbleibende Menschheit an den Stichen der Bienen so viel Anteil; vielleicht wird ja alles so wie früher. Die fünf Freunde werden von einem sinistren Wissenschaftler auf eine Insel verschleppt, der sie Geschichten erzählen lässt, um, tja … Das wird hier natürlich nicht verraten. Es ist auch nicht so wichtig, nicht so erinnerungswürdig und unterhaltsam wie die unzähligen Kurzgeschichten, die sich die fünf wie an einem großen Lagerfeuer ausdenken.
Denn wie so oft bei Coupland dient die Geschichte des Romans nur als Klammer seiner vielen großartigen Momentaufnahmen aus der Zukunft. Wie die, als die Menschheit auf einmal keine Zahlen mehr lesen konnte. Oder über den Mann, der gern etwas Besonderes wäre, der den Wunsch hat, so wie Steve McQueen zu sein, „doch die Welt will, dass du SMcQ23667bot@hotmail.com bist“.