Beutezüge im kulturellen Supermarkt: GUS GUS aus Island sind weit außen vor
Aus den Geysieren steigt Schwefeldampf auf, als brodle unter der Erde das Höllenfeuer. Und auf einer Reise ins Landesinnere kann schlagartig ein Schneesturm losbrechen, der wie ein erzürnter Fingerzeig des Allmächtigen wirkt Eben war alles noch ganz ruhig, plötzlich ist da nur noch ein zwirbelndes, alles schluckendes Weiß um dich herum. Das Paradies muß sich anders anfühlen.
Trotzdem wirken die Zustände in Island himmlisch. Kulturell betrachtet. Man stelle sich vor: Die Hauptstadt Reykjavik ist so groß wie Göttingen, die Einwohnerzahl des gesamten Landes gerade mal doppelt so hoch. Dennoch finden Menschen, deren Unterhaltungsanspruch sich nicht im nächtlichen Kühe-Umstoßen erfüllt, hier alles. Der karge Fels im Meer hat erstklassige Galerien und eine florierende Filmszene. Und auch wenn Isländer, wie alle Skandinavier, ab zehn Uhr abends alkoholisiert durch die Clubs kriechen, ertönen dabei feinste Drum’n’Bass-Novitäten.
„Wir leben weit ab vom Rest der Welt. Das prägt“, sagt Siggi Kjartanson von Gus Gus. „Die Menschen haben Angst, etwas zu verpassen. Deshalb sind sie besessen davon, in allen nur vorstellbaren Bereichen die Nase vorne zu haben.“ Leadership durch Isolation?
„So könnte man das nennen“, sagt Siggi und schüttet sich Kaffee aus einer literschweren Blechkanne ein, die hier in den Restaurants serviert werden. An die 20 dürfte er davon in den letzten Tagen geleert haben. So lange hat Siggi schon nicht mehr geschlafen, was man in einem Land, wo die Sonne manchmal gar nicht richtig aufgeht, um dann nicht mehr richtig unterzugehen, keineswegs erstaunlich findet. Es mußten Vorbereitungen zur großen Show am Abend getroffen, es mußten Interviews geführt werden, denn das Album „Polyesterday“ soll ein Welthit werden.
Außerdem ist es Siggi gewohnt, rund um die Uhr zu arbeiten. Wie für alle Mitglieder des neunköpfigen Ensembles ist Musik nur einer von vielen Wirkungsbereichen. Er selbst arbeitet als Filmemacher, Kollege Baidur Stefänsson organisiert politische Kampagnen, Sänger Daniel Ägust gilt als Star des Nationaltheaters. Die restlichen sechs Menschen von Gus Gus sind nicht minder stark engagiert. Hat eine hohe Dichte an Kulturschaffenden, dieses Island. Jawohl, Kultur. Mit langem U! Während Musiker im Rest der Welt sich nicht zu schade sind, den ungefähr 3000. Knicks vor Tarantino zu machen, gehen Gus Gus an die harten Geschosse. Den Namen haben sie aus Fassbinders „Angst essen Seele auf“. Deutsches Neurosenkino und isländischer Techno-Pop – komische Kombination. Macht aber Sinn, wenn man Gus Gus mal live gesehen hat Denn ihre Performance ist von sperriger Zeichenhaftigkeit. Da bewegen sich die Personen wie in Fassbinders Show-Satire „Warnung vor einer heiligen Nutte“, aber zu dem angenehm verstaubten Acting ruft die Band moderne Beats aus den Sequenzern ab.
Auf „Polyesterday“ schrauben Gus Gus versiert Versatzstücke aus den Clubs dieser Weh zusammen. Flächige House-Beats, Soul-Melodien. Jaja, TripHop darfst du auch dazu sagen. Manchmal singt eine Frau im Stil von Björk.
Man muß Siggi übrigens gar nicht darauf ansprechen, um Lobesbekundungen über Björk zu hören. Vorbeugend werden Nervensägen auch mal ruhiggestellt, die an einer Person Islands kulturellen Reichtum festmachen wollen. So einfach geht das.