Beute Kunst
Alte Meisterwerke werden immer teurer und den Museen entzogen, weil superreiche Reeder und Oligarchen, Scheichs und Witwen fast jeden Preis zahlen. Wer sind die Phantome, die bei Auktionen diskret bieten lassen? Eine Spurensuche.
Einen Kunsthändler nach dem Namen eines Kunden zu fragen, ist ungefähr so Erfolg versprechend wie die Suche nach dem Geheimrezept für Coca-Cola oder dem Code zu einem Banktresor unter der Zürcher Bahnhofsstraße. Diskretion ist oberstes Gebot im Geschäft mit der Kunst. Schließlich sind bei den Global Players der Branche Gewinnspannen üblich, wie es sie sonst nur im organisierten Verbrechen oder im Drogenhandel gibt. Sein Adressbuch hütet deshalb jeder Galerist so eifersüchtig wie die Van Goghs und Monets und Cézannes in seinem Bilderlager.
Auf keinen Fall, sagt ein Londoner Händler in seiner Galerie, werde er Auskunft darüber geben, wer bei ihm die teuersten Bilder kauft. Und dann lacht er und erzählt doch noch jene seltsame Geschichte, die sich zur Zeit die großen Kunsthändler überall auf der Welt zuraunen. Sie klingt, als sei sie viele Jahrhunderte alt, und handelt von einem geheimnisvollen Schiff, das unablässig über die Meere kreuzt und überall dort, wo es anlegt, die kostbarsten Schätze an Bord nimmt. Das Schiff wurde in Deutschland gebaut, hat 400 Millionen Dollar gekostet – und ist eine von vielen Antworten auf die Frage, wer seit einigen Jahren die teuersten Kunstwerke der Welt kauft und wohin sie dann auf Nimmerwiedersehen verschwinden, nachdem sie im Auktionssaal neue Weltrekorde erzielt haben.
„A“ heißt dieses Schiff, das der französische Stardesigner Philippe Starck entworfen hat – ein einziger Buchstabe nur, mit dem der Vorname jener Frau beginnt, die mit dem Besitzer verheiratet ist. Die 119 Meter lange leuchtend weiße Jacht, registriert im Steuerparadies Bermuda, lief vor drei Jahren bei Blohm und Voss vom Stapel – mit sechs Luxuskabinen, einem Swimmingpool und einer bordeigenen Diskothek, die direkt unter dem Glasboden des Schwimmbeckens liegt. Schon die Jungfernfahrt der Luxusjacht führte in Richtung Kunst. Im Sommer 2008 nahm die „A“ Kurs auf die Hafenstadt Kristiansand am südlichsten Zipfel von Norwegen. Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen wurden dort drei Gemälde von Claude Monet an Bord gebracht. Marktbeobachter wollten wissen, dass eines davon ein Seerosenbild gewesen sei, das kurz zuvor, im Juni 2008, bei Christie’s in London für 40,9 Millionen Pfund, umgerechnet 52 Millionen Euro, über die Ladentheke gegangen war.
Andrey Melnichenko, der Besitzer der „A“, lässt sich selbst nicht gerne sehen. Der 39-Jährige mit dem hohen Haaransatz rangiert auf der legendären „Forbes“-Liste der Superreichen stabil irgendwo zwischen den Plätzen 100 und 200 und sammelt seit einigen Jahren systematisch, was in der Klassischen Moderne gut und entsprechend teuer ist. Sein Geld verdiente Melnichenko in der umstrittenen Jelzin-Ära, in der die Oligarchen als Dank für ihre politische Unterstützung des schwachen Präsidenten unzählige ehemals staatliche Unternehmen privatisieren konnten. 1993 gründete er mit zwei anderen Anteilseignern die MDM-Bank, die innerhalb von zehn Jahren zur größten russischen Privatbank wuchs. Vier Jahre später bezahlte er die Miteigentümer aus und investierte die Gewinne aus dem Bankengeschäft unter anderem in die Sibirische Kohle- und Energie-Gesellschaft SUEK, in den größten russischen Hersteller von für Öl- und Gaspipelines benötigten Stahlrohren TMK und in den Düngemittelproduzenten EuroChem. Obwohl seine Beteiligungen laut Medienberichten als Folge der Wirtschaftskrise 2009 rund drei Viertel ihres Wertes verloren, schätzte „Forbes“ Melnichenkos Privatvermögen ein Jahr später wieder auf 4,4 Milliarden Dollar.
Vor allem an Monet seien der gebürtige Weißrusse und seine Frau Aleksandra, ein aus Serbien stammendes Model, interessiert, sagt der Londoner Galerist, der ihm schon mehrfach Bilder angeboten hat. Ein niederländischer Kollege bestätigt diese Einschätzung und möchte ebenfalls anonym bleiben: „Wir alle versuchen, ihm etwas zu verkaufen. Aber er sammelt nur, was wirklich gut und teuer ist. Entweder hat er ein sehr gutes Auge oder sehr gute Berater.“ Dass Melnichenko auch der Käufer der Rekord-Seerosen von 2008 gewesen sei, ließ sein Pressesprecher nach entsprechenden Anfragen übrigens umgehend dementieren. Dieses Bild müsse man eher im Westen als im Osten suchen, lautete die einzige Auskunft, die ihm zu entlocken war.
Die große Geheimnistuerei am Kunstmarkt begann im Frühjahr 1990. Damals hatten die Erben des aus Deutschland stammenden New Yorker Bankiers Siegfried Kramarsky ein Bild geliefert, dem man zum ersten Mal zutraute, die magische 100-Millionen-Mark-Grenze zu knacken. Das Porträt seines Arztes Paul-Ferdinand Gachet, das Vincent van Gogh in seinen letzten Lebenswochen gemalt hatte, hing vorher im Apartment der Sammlerwitwe Lola Kramarsky an der Fifth Avenue. Gelegentlich lieh sie es ans nahe gelegene Metropolitan Museum of Art auf der anderen Straßenseite aus.
Als das Bild dann am 15. Mai 1990 auf einer drehbaren Bühne im New Yorker Auktionssaal von Christie’s dem Publikum präsentiert wurde, reagierte vor allem ein kleiner Mann in der Mitte des Raumes hektisch. Immer wieder hob er die Hand mit dem goldenen Füller, blickte nicht nach rechts und nicht nach links. Und als er endlich hatte, wofür er nur drei Minuten lang kämpfen musste, ließ er sich vom Personal ein eisgekühltes Glas Cola bringen. Auf der digitalen Anzeigetafel im großen Saal des Auktionshauses Sotheby’s an New Yorks Park Avenue standen zu diesem Zeitpunkt 75 Millionen Dollar, 123 Millionen Mark, 90 Milliarden Yen – die zehn Prozent Kommission fürs Auktionshaus noch nicht eingerechnet. Niemals vor jenem historischen Tag hatte irgendjemand auf der Welt mehr Geld für ein Kunstwerk gezahlt, als der Kunsthändler Hideto Kobayashi wenige Sekunden zuvor geboten hatte.
Schon wenige Augenblicke später aber war das „Porträt des Dr. Gachet“ verschwunden. Angestellte in dunklen Schürzen und mit weißen Handschuhen brachten das prächtig gerahmte Gemälde in den Raum hinter der Auktionsbühne, in dem der zehnminütige Jubel nur noch gedämpft zu hören war. Sie trugen es zu einer Klimakiste und warteten auf Instruktionen von Kobayashi, der das Bild im Auftrag des japanischen Papierindustriellen Ryoei Saito gekauft hatte – für 33 Millionen Dollar mehr als erwartet, wie er später eingestand: „Ich spürte eine Art heiße Luft durch den Raum wehen.“
Seitdem sucht die Welt nach „Dr. Gachet“, von dem sich auch Saito schon bald wieder trennen musste. Der Unternehmer hat es nicht, wie er nach der Auktion scherzhaft ankündigte, mit ins Grab genommen. Er ließ das Trophäenbild nach der Auktion mit einem Privatjet in ein Lagerhaus in Tokio bringen und dort nur einmal wieder herausholen, um im Restaurant Kiccho Geschäftspartner zu beeindrucken. Also Saito 1993 wegen Bestechung eines Provinzgouverneurs verhaftet wurde, sein Unternehmen Konkurs anmeldete und der Chef im März 1996 starb, gehörte seine Kunstsammlung mit Werken von Renoir, Chagall und Andrew Wyeth längst den Gläubigerbanken. Ende 1996 versuchte der Tokioter Kunsthändler Kiyonori Yamamoto, das „Porträt des Dr. Gachet“ für umgerechnet 58 Millionen Dollar zu kaufen. Die Fuij Bank lehnte das Angebot aber ab, weil das Gemälde als Sicherheit für einen Saito-Kredit in Höhe von 73 Millionen Dollar diente. In den folgenden Monaten reisten immer wieder verschiedene Galeristen und Museumskuratoren nach Tokio, um sich das Bild in einem Banktresor anzusehen. Im Juli 1997 zahlte dann das Auktionshaus Sotheby’s sechs bis zehn Millionen Dollar nur für die exklusive Option, für das „Porträt des Dr. Gachet“ einen Käufer zu finden.
Tatsächlich gab es im Herbst des Jahres einen neuen Besitzer: Der österreichische Investmentbanker Wolfgang Flöttl, der auch Wohnsitze in Florida und in New York hatte, erwarb das Gemälde für einen unbekannten Preis. Bezahlen konnte er ihn nur, weil Sotheby‘ s ihm Kredit gewährt hatte. Als die von Flöttl maßgeblich betreute Bawag-Bank bankrottzugehen drohte, musste sich der Banker von einer ganzen Reihe seiner 79 Gemälde trennen. Am 29. Oktober 1998, so rekonstruierte später die Klageschrift, verkaufte eine von Flöttls zahlreichen Tochtergesellschaften mit dem Namen „F III“ das Bild wieder. Auf einem Konto registrierten die Ermittler „nach Abzug der Provision von 10 Prozent für Sotheby’s 90 Millionen USD, die zur Teilabdeckung der Verbindlichkeiten verwendet wurden“. Der Verkaufspreis betrug also 100 Millionen Dollar. Als potenzielle neue Besitzer wurden unter anderem Fiat-Chef Giovanni Agnelli aus Turin, Nudelfabrikant Guido Barilla aus Parma, der Galerist und Museumsgründer Ernst Beyeler aus Basel, Großsammler Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza aus Madrid, Bankierswitwe Lily Safra aus Monaco und der Kosmetik-Erbe Ronald Lauder aus New York genannt, der aber vor allem Van-Gogh-Zeichnungen sammelt. Seit Ende Oktober ist seine Privatsammlung zum ersten Mal in der Neuen Galerie in New York zu sehen – „Dr. Gachet“ glänzt auch hier durch Abwesenheit.
Der inzwischen verstorbene Ernst Beyeler bestätigte später in einem Schreiben, er habe tatsächlich kurzzeitig die Möglichkeit gehabt, das „Porträt des Dr. Gachet“ zu erwerben. Das Bild habe sich zeitweise in der Schweiz befunden, Guido Barilla damals auf Vermittlung eines französischen Kunsthändlers eine Option auf das Bild gehalten. Irgendwann aber habe der Pasta-Produzent seinen Anteil zurückgegeben, und das Gemälde sei zurück nach Japan gebracht worden. Seit vielen Jahrzehnten schon gelten die Zollfreilager an den Schweizer Flughäfen in Zürich, Basel und Genf als Hauptumschlagplätze für Kunstwerke der obersten Preiskategorie. Blue-Chip-Galerien wie Wildenstein, Nahmad und Acquavella unterhalten hier festungsartig ausgebaute Bilderlager mit vornehmen Präsentationsräumen. Während der Art Basel im Frühjahr wird hier angeblich mehr Umsatz gemacht als auf dem Messegelände – wegen der besonderen Möglichkeiten der Zollfreilager nicht selten steuerfrei und manchmal auch ohne Rechnung und mit Geld, das schwarz ohnehin bereits auf Schweizer Konten lagert.
„Es gibt so viele unermesslich reiche Kunstsammler, deren Ziel es ist, nur das Allerbeste zu kaufen, und deren Namen bis auf einige Eingeweihte niemand kennt“, weiß Jörg-Michael Bertz, der damals für Christie’s arbeitete, bei der Gachet-Auktion im Saal in New York war und heute Kunsthändler in Düsseldorf ist. „Wahrscheinlich hängt, Dr. Gachet‘ bei einem von ihnen an der Wand.“ Bertz erinnert sich noch, dass das Bietgefecht ab der 40-Millionen-Dollar-Grenze nur noch zwischen Hideto Kobayashi und einem Kunden stattfand, den die Zürcher Christie’s-Repräsentantin am Telefon hatte. Ob der unbekannte Schweizer, der damals verlor, heute der neue Besitzer ist? Bertz lacht: „Es gab schon viele, die danach gesucht haben.“
Dass die Käufer wirklich teurer Kunstwerke selbst in Aktion treten, wenn es darum geht, ihre Sammlungen um Trophäenbilder im dreistelligen Millionen-Dollar-Bereich zu ergänzen, war nicht immer die Ausnahme. Seit Mitte der 50er-Jahre ließen die Auktionshäuser auch telefonische Gebote zu, vorher musste, wer nicht selbst im Auktionssaal die Hand heben wollte, entweder schriftliche Maximalgebote abgeben oder Strohmänner schicken. Inzwischen haben Sotheby’s und Christie’s oberhalb ihrer Auktionssäle diskrete Privatkabinen eingerichtet, von denen aus ihre finanzstärksten Kunden die Versteigerungen verfolgen und per Standleitung nach unten ins Geschehen eingreifen können. Damals hingegen war man stolz, sich mit der Neuerwerbung schmücken zu können und präsentierte sie gern in der Öffentlichkeit. Vor allem die griechischen Reedermilliardäre lieferten sich in den Auktionssälen der Welt einen regelrechten Schaukampf. Basil Goulandris, Georges Embiricos, Stavros Niarchos und Aristoteles Onassis ließen jahrelang nichts unversucht, die jeweils anderen zu übertrumpfen. Als Goulandris van Goghs großartige Ansicht der Gräberallee „Les Alyscamps“ in Arles erwarb, kaufte Embiricos eine Fassung von dessen „Sonnenblumen“ und Cézannes „Kartenspieler“. Der Playboy Niarchos, der sein Vermögen wie die anderen mit Tankern gemacht hatte, die während der Suez-Krise das Öl um Afrika herum in die USA transportierten, kaufte gleich en bloc. Im Februar 1957 erwarb er für drei Millionen Dollar über die New Yorker Knoedler Galleries die komplette Impressionisten-Sammlung des Hollywood-Schauspielers Edward G. Robinson, der die Bilder nach einer kostspieligen Scheidung von seiner Frau Gladys verkaufen musste.
Der Mulitmilliardär Niarchos, der als Unterstützer der griechischen Militärjunta galt und gegen den zeitweise wegen des ungeklärten Todes einer seiner Ehefrauen ermittelt wurde, verteilte seine Kollektion auf Wohnsitze in Athen, Paris, London und St. Moritz und ließ sie dort sogar für Coffeetable-Bildbände fotografieren. Inzwischen hängen, nach dem Tod des Sammlers 1996 und Auseinandersetzungen zwischen seinen Erben, einige Hauptwerke der Sammlung als Leihgaben im Kunsthaus Zürich – darunter Cézannes „Montagne Sainte Victoire“, van Goghs epochales „Selbstbildnis mit bandagiertem Ohr“ und Picassos grandioser „Akrobat und junger Harlekin“. Anonym allerdings: Museumsdirektor Christoph Becker traut sich noch nicht einmal, den Namen Niarchos zu bestätigen, obwohl dieser selbst seine Werke ab 1958 stolz in fünf Ausstellungen samt Katalogen ganz offen gezeigt hatte. Und auch auf die Frage, wo sich denn der Rest der legendären Sammlung – darunter Hauptwerke von El Greco und Goya, Monet und Degas – befinde, kommt als Antwort aus Zürich nur: „Kein Kommentar“.
Hat man sich zu Niarchos‘ Zeiten noch mit seinen Trophäen geschmückt, so verschwinden sie heute ins Nichts: Alberto Giacomettis „Schreitender Mann I“, im Februar 2010 für 104,3 Millionen Dollar versteigert, war seitdem nicht mehr zu sehen. Angeblich war die Käuferin damals die an der Côte d’Azur lebende Bankierswitwe Lily Safra. Ihr Ehemann Edmond war 1999 beim Brand des gemeinsamen Penthouses in Monaco ums Leben gekommen. Bestätigt allerdings wurde der Giacometti-Kauf nie. 106,5 Millionen Dollar spielte drei Monate später Pablo Picassos „Akt mit grünen Blättern und Büste“ aus dem Jahr 1932 ein. Sein Käufer hat sich ebenso wenig geoutet wie der, der im Mai 2004 für Picassos „Junge mit Pfeife“ stolze 104,2 Millionen Dollar bieten ließ. Van Goghs letztes Selbstbildnis, 1998 für 71,5 Millionen Dollar aus der Sammlung des deutsch-schweizerischen Unternehmers Jacques Koerfer versteigert – unauffindbar. Kurz vor der Auktion hatte Sotheby’s-Legende Michel Strauss es noch in der Koerfer-Villa in Moscia über dem Lago Maggiore begutachtet. Um es bei besserem Licht sehen zu können, trugen er und sein Kollege David Nash das Bild einfach kurzerhand vor die Eingangstür – ohne das allein anwesende Hausmädchen zu informieren. Sie lehnten die gerahmte Leinwand gegen einen Pfeiler, fanden die Erhaltung tadellos, schossen ein Erinnerungsfoto – und bemerkten nicht, dass inzwischen die Haustür wieder ins Schloss gefallen war. Erst nach einiger Zeit fanden sie die Angestellte wieder und schafften es, den wertvollen Van Gogh an ihr vorbei unbemerkt zurück ins Haus zu schmuggeln. Das Foto, aus dem sein Kollege David Nash eine fiktive Fahndungsmeldung bastelte, besitzt Strauss heute noch. Inzwischen allerdings ist das türkisfarbene Gemälde tatsächlich seit 13 Jahren verschwunden.
Und das sind nur die Bilder, die durch öffentliche Auktionen gingen. Längst bieten neben den ohnehin darauf spezialisierten Galerien auch die großen Auktionshäuser sogenannte „Private Sales“ an: Verkäufe, bei denen ein Kunstwerk ganz diskret von einem Besitzer an einen anderen vermittelt wird – ohne preisförderndes Bietgefecht, dafür aber auch vollkommen unbemerkt von Öffentlichkeit und Behörden.
Eine der spektakulärsten Transaktionen dieser Art hatten 1994 der Londoner Kunsthändler Oliver Hoare und seine Zürcher Kollegin Doris Ammann eingefädelt. Handelspartner waren einer der reichsten Sammler der USA und eines der reaktionärsten Regime des Nahen Ostens. Nachdem die iranische Regierung die westlichen Kunstwerke, die der Schah für das 1977 eröffnete „Teheran Museum of Contemporary Art“ mit Blankoschecks zusammenkaufen ließ, 17 Jahre im Keller weggesperrt hatte, beschloss sie schließlich, die ungeliebten Depotbestände zu versilbern. Davon allerdings sollte die Öffentlichkeit nichts bemerken. Deshalb flog der Architekt Mehdi Hojjat, Gründer der „Iranischen Kulturerbe-Organisation“, in einem neutralen Flugzeug zum Wiener Flughafen Schwechat. Im Frachtraum der Maschine stand eine große Transportkiste mit Willem de Koonings Aktgemälde „Woman III“. In Wien wurde der Kurier von einem Lastwagen und einer Delegation um den Hollywood-Produzenten David Geffen erwartet, die eine Kiste mit 118 Blättern aus dem „Houghton Shahna- meh“, dem „Buch der Könige“ mit persischen Miniaturen aus dem 16. Jahrhundert, im Gepäck hatte. Erst als der LKW an die iranische Maschine gekettet worden war, konnte der Austausch der beiden Kulturgeiseln stattfinden. 2003 gerüchtelte es dann in der Kunstszene, auch das epochale, 1950 entstandene Tropfbild „Mural on Indian Red“ von Jackson Pollock sei aus Teheran an David Geffen verkauft worden. Diesmal allerdings hatten sich die allwissenden Auguren geirrt: Als 2005 die Museumssammlung zum ersten Mal nach dem Sturz des Schahs und der „Islamischen Revolution“ des Ayatollah Khomeni erstmals wieder öffentlich gezeigt wurde, hing auch der Pollock noch an der Wand in Teheran.
Unter den zur Zeit 20 teuersten Bildern der Welt finden sich immerhin sieben, die nicht bei Auktionen, sondern bei Privatverkäufen den Besitzer gewechselt haben – drei von ihnen sogar auf den vordersten Plätzen. Im November 2006 verkaufte der New Yorker Regisseur, Musik- und Filmproduzent David Geffen sein monumentales Jackson-Pollock-Drip-Painting „No. 5, 1948“ für 140 Millionen Dollar an einen unbekannten Sammler. Als neuer Besitzer wird immer wieder der in Mexiko geborene Finanzmakler David Martinez genannt, der allerdings schon mehrfach dementieren ließ. Geffen steht als Verkäufer auch auf Platz zwei der Top 20, seit er im November 2006 über den New Yorker Galeristen Larry Gagosian sein De-Kooning-Gemälde aus Teheran an den Hedgefonds-Manager Steve A. Cohen weiterverkaufte. Cohens Kunstberater Sandy Heller bestätigte dafür sogar den Preis von 137,5 Millionen Dollar. Platz drei schließlich hält seit Juni 2006 Gustav Klimts goldenes Fin-de-Siècle-Porträt „Adele Bloch-Bauer I“, das nach seiner Rückgabe aus dem Wiener Museum Belvedere die Sammlererbin Maria Altmann via Christie’s für undementierte 135 Millionen Dollar an den New Yorker Unternehmer und Museumsgründer Ronald S. Lauder verkauft hat.
All diese Zahlen allerdings sind durch die beinahe panische Diskrektion des Kunstmarktes mit äußerster Vorsicht zu genießen. Die argentinische Sammlerin Amalia Lacroze de Fortabat besitzt Vincent van Goghs Ikone „Kornfeld bei Sonnenaufgang“. Was sie dafür wem bezahlt hat, wurde nie bekannt. Der mexikanische Telefonmogul Carlos Slim Helú hat für Teile seiner riesigen Privatsammlung ein Museum in Mexiko-Stadt gebaut.
Zu den wenigen, die wissen, in welchen Privatsammlungen sich die teuersten Kunstwerke der Welt heute befinden, gehört Sotheby’s-Starauktionator Tobias Meyer. Über sein Pult gingen in den vergangenen zehn Jahren so viele Blue-Chip-Werke wie bei keinem anderen Kunsthändler. Berühmt wurde Meyer, als er am 6. Mai 2004 in New York Pablo Picassos 1905 entstandenes Gemälde „Junge mit Pfeife“ in ungekannte Höhen trieb. Zwei von zunächst sieben Bietern waren es zuletzt, die um das Bild in Rosa und Blau kämpften. Mit dem einen telefonierte Sotheby’s-Mitarbeiter Warren Weitman. Der andere, der New Yorker Galerist Larry Gagosian, saß im Saal. Als beide das Gemälde schon auf 80 Millionen Dollar gesteigert hatten, schaute Gagosian den Auktionator plötzlich irritiert an. Er schüttelte sein Mobiltelefon, hob es wieder ans Ohr und zuckte leicht die Achseln: Die Verbindung mit dem Sammler, den er vertrat, war zusammengebrochen. Und sie ließ sich auch nicht wieder herstellen, weil der Kunsthändler vergessen hatte, vor der Auktion den Akku ausreichend zu laden. Tobias Meyer bemerkte die Situation, sprach lächelnd „I am happy to wait“ und nahm die Auktion erst wieder auf, als er sah, dass der Bieter über das Telefon seiner Sitznachbarin wieder Kontakt zu seinem Auftraggeber hatte. Den Zuschlag erhielt schließlich trotzdem Weitman – für den neuen Auktionsweltrekord von 104.168.000 Dollar. Über seinen Auftraggeber rätselt seither die Kunstwelt. Als der „Junge mit Pfeife“ vor einigen Jahren in einer Ausstellung im Museum of Modern Art in New York gezeigt werden sollte, sagte das Auktionshaus Sotheby’s immerhin zu, einen Brief an den Käufer von 2004 weiterzuleiten. Von dort aber erhielt selbst das weltberühmte MoMA keine Antwort.
Tobias Meyer kennt den Käufer, aber alles, was er über ihn verrät, ist wenig Überraschendes: „Er ist sehr diskret.“ Mit 70 Millionen Dollar habe er gerechnet, sagte er nach der Auktion: „Es gab fünf Kunden, die gesagt hatten, dass sie das zahlen würden.“ Gerüchte, dass auch der Picasso sich heute in einer russischen Privatsammlung befindet, haben sich bisher nicht bestätigen lassen. Andere Kunsthändler wollen von einer noch unbekannten Meisterwerke-Kollektion in der Ukraine wissen, und auch in der Mongolei gebe es einen reichen jungen Sammler, der sich seit einigen Jahren für die Klassische Moderne interessiere. Ein New Yorker Galerist erzählt, dass sein bester Kunde in Taipeh sitze und vor allem Kunst aus dem 20. Jahrhundert kaufe: „Der Preis spielt keine Rolle, Qualität ist wichtig.“
Und dann ist da noch die Sache mit Katar und mit Sa’ud bin Muhammad bin Ali Al Thani. Wann immer es einen neuen Preisrekord gegeben hat, wird der Name des Cousins des Emirs von Katar zuerst genannt, und wer ihn im Kunsthandel hört, bekommt sofort feuchte Finger. Der 47-Jährige gilt als einer der größten Kunstkäufer der vergangenen 15 Jahre. Allein für das vom berühmten Architekten I.M. Pei entworfene und vor drei Jahren eröffnete Museum für Islamische Kunst in Doha soll Al Thani seit 1996 mehrere Hundert Millionen Dollar ausgegeben haben. Im Jahr 2000 zum Beispiel waren ihm 136 Vintage Prints aus der Sammlung des Hamburger Fotografen Werner Bokelberg 15 Millionen Dollar wert.
Fünf Jahre später allerdings fiel der Vater von drei Kindern bei der Herrscherfamilie in Ungnade. Wegen angeblichen Missbrauchs öffentlicher Gelder verlor er seine Ämter und wurde unter Hausarrest gestellt. Nach Recherchen des US-Magazins „ARTnews“ kaufte er in den vergangenen Jahren mit seinem privaten Geld aber trotzdem fleißig weiter bei Auktionshäusern und in Galerien ein – auch westliche Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, für die ebenfalls ein Museum entstehen soll. Er wird als jener Sammler genannt, der den Erben des griechischen Reeders George Embiricos die letzte Fassung von Vincent van Goghs, ,Sonnenblumen“ abgekauft haben soll. Und er war angeblich auch der anonyme Käufer, der im Frühjahr 2011 zwischen 250 und 275 Millionen Dollar für Paul Cézannes grandioses Gruppenbildnis, ,Die Kartenspieler“ bezahlte – Verkäufer: Familie Embiricos, Vermittler: Larry Gagosians erst kurz zuvor eröffnete Filiale in Genf, in der auch eine Embiricos-Verwandte arbeitet. Sollte der offiziell unbestätigte Preis, den allerdings mehrere führende Galeristen unabhängig voneinander bestätigen, zutreffen, wären alle jemals gefeierten Weltrekordpreise längst Geschichte.
„Es tut mir leid“, sagt Roger Mandle am Telefon. „Ich habe zu Ihren Fragen leider keinerlei Antworten.“ Vor drei Jahren wechselte der amerikanische Kunsthistoriker als erster geschäftsführender Direktor ins Kuratorium der „Qatar Museums Authority“. Dort, so wurde bereits mehrfach angekündigt, soll es in absehbarer Zeit auch ein Museum für moderne, nicht-islamische Kunst geben. Der 69-jährige Mandle, der vorher 15 Jahre lang die angesehene Rhode Island School of Design geleitet hatte, lobt zwar seinen neuen Arbeitgeber über die Maßen: „Katar hat in den vergangenen Jahren wirklich historische Investitionen in Erziehung, Kunst und Kultur geleistet. Hier spürt man beinahe jeden Tag, dass sich für die Menschen neue Horizonte öffnen.“
Wie diese Investitionen allerdings konkret aussehen, will Roger Mandle nicht beantworten. Wird die Welt demnächst in einem neuen Museum einige jener Kunstwerke wiedersehen, die nach ihren Auktionen aus der Öffentlichkeit verschwunden sind? Kein Kommentar. Welche Kunst sammelt Katar denn im Moment ganz allgemein? Keine Auskunft möglich. Wie sehen denn die Pläne für das angekündigte Museum für Moderne Kunst aus? Ich bedaure. Später schickt er in einer E-Mail noch „warmest regards“. Weiter hilft das auch nicht.
Der Höhepunkt der Preisentwicklung, hat Tobias Meyer schon vor Jahren gesagt, sei noch nicht erreicht. Sollte ein wichtiges Bild auf den Markt kommen, bestätigt auch der Kölner Galerist Gerard A. Goodrow, ehemals Chef der Abteilung für Zeitgenössische Kunst bei Christie’s und Direktor der Art Cologne, sei beinahe jeder Preis denkbar: „Die Wirtschaftskrise hat die Sammler zwar vorsichtiger werden lassen. Aber wenn es das richtige wichtige Werk ist, werden sie auch weiterhin sehr sehr viel Geld ausgeben.“
Und die gibt es: Nach wie vor sind wichtige Pollocks in amerikanischem Privatbesitz. Und nach wie vor weiß man nicht, ob die Niarchos-Erben sich nicht doch eines Tages von van Goghs „Selbstbildnis mit verbundenem Ohr“ oder der Reedererbe Petter Olsen von der dritten Version des Edvard-Munch-Jahrhundertbildes „Der Schrei“ trennen will. In den USA wurde gerade ein Christusbild als eigenhändiges Werk von Leonardo da Vinci anerkannt. Ab Ende November soll es in der großen Leonardo-Ausstellung in der National Gallery in London geadelt werden. Noch sagt das Händlerkonsortium, dem das Gemälde gehört, es wolle nicht verkaufen.
Ein Preis kursiert trotzdem schon: 200 Millionen Dollar plus x.
Stefan Koldehoff ist Redakteur beim Deutschlandfunk und schreibt in der „Welt“ und „Welt am Sonntag“ über Bildende Kunst und Kunsthandel.