Beta-Männchen
Immer nur als jemandes kleiner Bruder wahrgenommen zu werden, kann nerven. Vor allem, wenn der große Bruder eine Sportskanone ist. „Es war zwar nützlich, ihn zu haben, wenn ich mich auf dem Schulhof mit jemand angelegt habe“, sagt Jamie Hartman, „aber auf der anderen Seite habe ich es nie geschafft, der Hierarchie zu entkommen, in die ich hineingeboren bin: Nie war ich die Nummer eins.“
Zwar ist Jamie Hartman inzwischen 34, doch noch immer macht dem Londoner die Tatsache ein bisschen zu schaffen, stets die Nummer zwei gewesen zu sein. Seine Band hat er darum Ben’s Brother und das Debütalbum „Beta Male Fairytaies“ genannt. Darauf finden sich empfindsame Popballaden, die von Einsamkeit, der Suche nach Nähe und von der Entschlossenheit erzählen, sich nicht mit allem abzufinden: „Es geht in meinen Songs immer wieder darum, dass du nicht aufgeben darfst, und dass du, wenn du einen schwierigen Start hast, am Ende trotzdem triumphieren kannst.“
Dass einem Musik dabei helfen kann, über eigene Schwierigkeiten hinweg zu kommen, hat Jamie schon mit 15 erkannt, als er das Herz eines Mädchens, das nichts von ihm wissen wollte, mit einem Song erobert wollte. „Doch dabei habe ich mich in die Musik verliebt und das Mädchen ganz vergessen.“
Für seine Liebe zur Musik hat Jamie inzwischen schon ein Studium geschmissen (Englisch und Philosophie), in Wäschereien, Spülküchen, Bars gearbeitet. Es war ein langer Weg von der Portobello Road, auf der er sich zunächst als Straßenmusiker verdingte, bis zur eigenen Band mit einem Plattenvertrag bei einem Majorlabel. „Ich habe zehn Jahre gebraucht, um als Musiker zu reifen und zu lernen, wie man Songs schreibt, die mir nicht nur etwas bedeuten, sondern auch den Lebensunterhalt sichern.“ Was sich aber nicht geändert hat, ist die Tatsache, dass es Jamie in seinen Songs vor allem darum geht, große Gefühle auszudrücken: „Wenn ich schwarz wäre, würde man meine Musik wahrscheinlich als Soul bezeichnen“, sagt er und bekennt sich zu einem altmodischen Musikgeschmack: „Sam Cooke, Ray Charles, Marvin Gaye oder Ella Fitzgerald.“
Dennoch haben sich Jamies traurige, aber stets hoffnungsvolle Melodien bereits als massenkompatibel erwiesen: Etwa als er sich 2005 trotz anfänglicher Bedenken dafür entschied, Will Young (dem ersten Gewinner der britischen Castingshow „Pop Idol“) seinen Song „All Time Love“ zu überlassen, der prompt ein Riesenhit in England wurde.
Inzwischen darf Jamie seine Songs endlich auch selbst singen, Ben’s Brother hat es zudem mit. der Nummer „Let Me Out“ in eine Episode von „Grey’s Anatomy“ geschafft, und neulich kam endlich Ben persönlich zu einem Konzert vorbei— und stellte sich jungen Frauen im Publikum stolz als „Jamie’s brother“ vor.