Besser geht’s (echt) nicht

Nicht jeder Morgen ist wie die erste Zeile eines Bluessongs. Nicht jeder Tag beginnt mit einer Schusswunde. Nicht immer brennt die Frau, die man liebt, mit dem Schützen durch. Manchmal geht auch einfach nur die Sonne auf. So sehen das zumindest die meisten Menschen. Lloyd Cole gehört allerdings nicht dazu. Gegen den Autor von Songs wie „Love Ruins Everything“ und „Morning Is Broken“ (letztgenannter übrigens auf dem Album „Bad Vibes“) ist selbst der Esel I-aah aus den „Pu der Bär“-Büchern ein Spaßterrorist. Nicht nur Fotografinnen scheitern, wenn sie den 52-Jährigen zu einem Lächeln überreden wollen. Dabei hat er gerade sein bestes Album seit mindestens einer, vermutlich zwei, manche sagen sogar drei Dekaden gemacht. Nach Jahren, die er entgegen seiner Neigung als bescheidener Folksänger verbrachte, scheint er vor einem Neuanfang zu stehen. „Neuanfang?(Die Stirn faltet sich zusammen wie ein Cabrio-Dach) Vermutlich ist es eher das Ende.“

Dieser Fatalismus steht Lloyd Cole ziemlich gut. Schon auf „Rattlesnakes“, seinem Debüt mit den Commotions von 1984, war das Herz gebrochen, bevor es überhaupt für jemanden oder etwas hätte schlagen können. Das war die hohe Schule der Romantik. Als schöner Jüngling wurde Cole mit Liedern, die selbst Morrissey wie einen etwas schlichten Nachhilfeschüler erscheinen ließen, zum Star. Nach dem Ende der Commotions zog er wie einst John Lennon nach New York, um seine Ruhe vor den Fans zu haben. Dort suchte er nach einer neuen musikalischen Identität – mal mehr, mal weniger erfolgreich. Heute lebt er drei Autostunden entfernt von der Metropole in Easthampton, Massachusetts. Vor Fans muss er nicht mehr fliehen. Im Gegenteil. Er hat sich mit ihnen verbündet. Sie helfen ihm bei der Organisation seiner Konzerte und beteiligen sich an der Finanzierung seiner Alben.

Im Oktober des vergangenen Jahres bot er 600 exklusive Exemplare einer limitierten Edition seines nächsten Werks zum Preis von jeweils 100 Dollar auf seiner Website an – gegen Vorkasse. Die Einnahmen verwendete er zusammen mit einem vergleichbar großen Zuschuss seiner deutschen Plattenfirma Tapete, um die Produktion des Albums zu bezahlen. Er könnte dieses Modell als Zukunft der Musikindustrie propagieren und wie einer dieser smarten, nachlässig gekleideten Internetunternehmer auftreten, doch wenn man ihn darauf anspricht, liest man in seinen Augen eher die berühmten letzten Worte des Herrn Kurtz aus Joseph Conrads „Das Herz der Finsternis“: „Das Grauen! Das Grauen!“

„Nach dem jetzigen Modell zahle ich bei jeder Produktion drauf“, stöhnt der durchaus sympathische Schwarzseher. „Das Geld, das Fans und Plattenfirma mir geben, reicht längst nicht aus, um alle Rechnungen zu bezahlen.“ Er wolle diesen Weg nicht noch mal gehen, sagt er. „Ich kann mir das nicht länger leisten. Wenn ich meine Platten in den letzten zehn Jahren selbst verlegt hätte, hätte ich vermutlich nur die Hälfte verkauft -aber zehnmal mehr verdient.“ Er sei als reicher Popstar nach Amerika gekommen, sagt er. Nun sei er ein mittelständischer Songwriter. „Das neue Album ist mein letztes Angebot an die großen Plattenfirmen, mich dorthin zu bringen, wo ich meiner Meinung nach hingehöre.“

Wo genau er seiner Meinung nach hingehört, kann man am recht unbescheidenen Titel des Werkes ablesen: „Standards“.“Da steckt schon eine Menge Verbitterung darüber drin, dass ich über die Jahre an den Rand gedrängt wurde, obwohl ich immer noch -das ist meine Überzeugung – einer der besten Songwriter der Welt bin“, sagt Cole und schaut dabei an seinem Gesprächspartner vorbei an die Wand (an der kein Spiegel hängt). „Und dann schaut man sich eine Band wie die Stereophonics an und fragt sich, warum die nicht in kleinen Pubs spielen, wo sie nämlich eigentlich hingehören.“ Man darf diese Aussagen nicht als Größenwahn oder Selbstüberschätzung missverstehen. Das ist einfach Coles Art zu sagen: Ich habe noch Hoffnung und glaube weiter an das Gute, Wahre und Schöne.

Natürlich werde er niemals mitten im Mainstream schwimmen, wendet er ein, aber es gäbe sicherlich ein größeres Publikum für seine Musik als es die Plattenverkäufe in den letzten Jahren widerspiegelten. „Ich würde mal sagen, ich bin etwa in derselben Position wie David Lynch -er produziert keine Blockbuster, aber er hat doch einen Markt, der weit über eine Kultgemeinde hinausgeht.“ Es sei zwar gut zu wissen, dass er auf den harten Kern seiner Fans zählen könne, doch manchmal wünsche er sich die Grenze zwischen Künstler und Konsument zurück. „Es ist vor allem eine Frage von Zeit und Energie, die allein damit draufgehen, mit all den Leuten in Kontakt zu bleiben. Und sie haben ja ein Recht darauf zu erfahren, was ich mit ihrem Geld mache.“

Tatsächlich führt Cole auf seiner Website während der Arbeit an einem neuen Album Tagebuch über Fortschritte, verwendete Instrumente und neue Anschaffungen, als müsste er einen Bericht für die Aktionäre abgeben -nur ein Mitspracherecht haben sie natürlich nicht. „Die Leute, die mir Geld geben, vertrauen mir“, sagt er. „Die wollen mich nicht manipulieren, denn sie schätzen meine künstlerische Stimme. Und doch (der Blick wird finster bzw. finsterer) gibt es immer wieder jemanden, der bei Facebook oder so postet:,Bitte kein weiteres Country-Album.‘ Wer so was sagt, sollte mir kein Geld geben und einfach abhauen.“(lacht -lacht!)

Cole mag es nicht, wenn man ihm reinredet. Und noch weniger schätzt der Mann, der einst „Why I Love Country Music“ schrieb, wenn man seine Musik in die Americana-Schublade steckt. Mit seinem letzten Album, das den nicht gerade Erfolg versprechenden Titel „Broken Record“ trug, ist das allerdings mehr als ein Mal passiert. „Allein der Gedanke, ich könnte jemals ein Alt.Country-Album machen „, er schüttelt fassungslos den Kopf. „Ich bin ein sehr europäischer Songwriter. Klar, die Form, in der ich arbeite, ist amerikanischen Ursprungs – ich bin näher an Woody Guthrie als an Fairport Convention. Aber das Bewusstsein, mit dem ich meine Songs schreibe und singe, ist sehr britisch. Es gibt da eine Befangenheit im Umgang mit der Form, die Amerikaner nicht haben. Deshalb beneiden wir Künstler wie Iggy Pop -oder sogar die mittleren R.E.M. Ich habe mal ein Konzert von denen gesehen und gedacht:,Die sind jetzt so sehr außer sich oder so sehr im Moment, dass sie auf eine Art und Weise spontan sein können, die ich niemals erreichen werde.‘ So gesehen fühle ich mich immer noch als Europäer -vermutlich mehr als jemals zuvor.“

E s war

allerdings der amerikanische Songwriter schlechthin, der „Standards“ inspirierte. Cole, der schon Preise für seine journalistischen Texte bekam, war vom Online-Magazin salon.com gebeten worden, eine Besprechung zu Bob Dylans jüngstem Werk „Tempest“ zu schreiben. „,Das Album zu hören, war wie ein Tritt in den Hintern“, sagt Cole. „Es ist vielleicht nicht die beste Platte seines Lebens, aber sie ist schon erstaunlich gut und sehr inspirierend. Und der Mann ist 72! Ich bin 20 Jahre jünger und dümple so vor mich hin; es gab Jahre, in denen ich keinen einzigen Song geschrieben habe! Also habe ich meine Notizhefte mit all den halbfertigen Liedern rausgeholt und mich an den Schreibtisch gesetzt.“

Acht Stunden täglich, zehn Wochen lang habe er an den neuen Stücken gearbeitet, sagt er. Dabei habe Dylan ihm geholfen, zur Sprachverliebtheit seines Frühwerks zurückzufinden. „In den letzten Jahren habe ich mich ein bisschen davor gescheut, allzu flamboyante Texte zu schreiben. Aber das ist eigentlich meine Art. Es ging nicht darum, zu zeigen, wie gut ich mit Sprache umgehen kann, aber wenn ich etwas geschrieben habe und es klang gut, habe ich nicht versucht, es zu verändern, damit es höflicher und vornehmer klingt und wie eine Untertreibung oder wie Selbstironie rüberkommt. Sich auf selbstironische Art runterzumachen ist sehr englisch – aber anscheinend verstehen auch nur Engländer, dass das eigentlich ein Zeichen von großer Arroganz ist.“

Die Arbeiten zu „Standards“ begannen in Los Angeles, wo Cole gemeinsam mit Matthew Sweet am Bass und dem ehemaligen Voidoids-Schlagzeuger Fred Maher die basic tracks aufnahm. In dieser Besetzung entstanden Anfang der Neunziger schon Coles erstes Album nach dem Ende der Commotions und die zweite Seite des Nachfolgers mit dem Raymond-Carver-Titel „Don’t Get Weird On Me Babe“. Damals war auch der 2004 verstorbene Gitarrist Robert Quine dabei, dessen Rolle jetzt hauptsächlich Coles ältester Sohn Will übernahm. Und der 20-Jährige, der mit seiner Band BFA an ersten eigenen Songs arbeitet, klingt tatsächlich stellenweise wie ein Quine-Schüler. Man könnte „Standards“ fast ein Rockalbum nennen, wenn man nicht dauernd an die Zeilen denken müsste, die Cole über seine erste Soloplatte dichtete:“I did not fail to see/That what it takes to rock/Is that which I have not“.

Oder ist das auch wieder diese unbescheidene Selbstironie, die da spricht?“Nein, in diesem Fall nicht. Ich habe das tatsächlich lange so gesehen. Aber ich bin nicht gescheitert, höchstens in dem Sinne, dass es nicht den damaligen Vorstellungen von einem Rockalbum entsprach. Das Album klang einfach wie nichts sonst. Es gab sehr laute, ungehörige Songs und hübsche kleine Lieder – so wie auf der neuen Platte auch. Mein erstes Soloalbum war tatsächlich eine wichtige Referenz für ,Standards‘.“

Und obwohl das neue Werk zu großen Teilen an der Westküste entstand, klingt es eigentlich wie ein New-York-Album. Nicht nur, weil mit Fred Maher derselbe Schlagzeuger zu hören ist wie auf Lou Reeds „New York“.“Opposites Day“ etwa beginnt mit einem Television-Riff, das mehr als nur ein bisschen an „Marquee Moon“ erinnert, und selbst das John-Hartford-Cover „California Earthquake“ hat Cole klanglich an die Lower East Side verpflanzt.

Nicht weit von dort spielt auch das Video zur ersten Single, „Period Piece“. Man sieht Cole und seinen Sohn Will, der eine jüngere Version seines Vaters spielt, vor Manhattans Skyline. Handlungsort des Songs ist allerdings eine andere Stadt. Hier erzählt nämlich die Berliner Mauer von ihrem Verfall. Cole scheint sich irgendwie mit dem von der Geschichte niedergetrampelten Gemäuer zu identifizieren. Vielleicht weil er mit ihm das Geburtsjahr teilt. „Du bist tatsächlich der Erste, der gemerkt hat, dass das nicht ich bin, der da erzählt“, murmelt er kopfschüttelnd. „Alle denken, da ginge es nur um meine ganz persönliche Nostalgie. Okay, Geisterbahnhöfe, die wieder zum Leben erwachen, hätten ein Hinweis sein können -dass ich an einer Stelle ,Welcome to my funeral, Westberlin‘ singe, schien mir auch nicht allzu subtil zu sein.,Hansa, my lover, where will your gaze fall now?‘ – gut, das ist schon ein bisschen schwieriger. Aber manchmal frage ich mich, ob die Leute überhaupt zuhören.“

Ein Song über die Berliner Mauer, ein Hamburger Label -Cole scheint sich tatsächlich wieder Richtung Europa zu orientieren. Er überlege sogar, seinen Lebensmittelpunkt langfristig wieder dorthin zu verlegen -nach Norditalien vielleicht. Deutschland komme trotz der oben genannten Verbindungen wohl nicht infrage, obwohl er – wie er sagt -die soziale Marktwirtschaft (oder was davon übrig ist) und vor allem das Gesundheitssystem sehr schätze und es ja auch musikalisch einige Verbindungen gebe.

Im vergangenen Februar erschien „Selected Studies Vol. 1“, seine Kooperation mit dem Cluster-und Ex-Harmonia-Soundtüftler Hans-Joachim Roedelius. Er bewundere den deutschen Kollegen für seine Melodien und Harmonien, seit er in den Siebzigern durch Julian Copes Buch „Krautrocksampler“ auf Cluster gestoßen sei, so Cole. Und auf „Standards“ habe er sich ebenfalls der Liebe zum Krautrock bedient, um sich möglichst weit von amerikanischen Blues-und R&B-Einflüssen fernzuhalten (die Angst vor der Americana!). „Ich habe Fred und Matthew einige Male im Studio ,Hallo Gallo‘ von Neu! vorgespielt“, erklärt er. „Natürlich klingt das bei uns trotzdem nicht wie Krautrock, aber ich liebe einfach diesen Drive und diese Beharrlichkeit, den die meisten Neu!-Stücke haben. Can dagegen habe ich nie verstanden. Ich mag es nicht, wenn Musik absichtlich kompliziert ist. Und das war bei denen so. Ich glaube, die wollten, dass man sich dumm fühlt, wenn man sie nicht mag. Kraftwerk dagegen versuchten immer, auch wenn es mal kompliziert wurde, etwas Schönes zu erschaffen. Und das ist auch mein Ziel.“

Er sei gebeten worden, etwas über „The Next Day“, das neue Album von David Bowie, zu sagen, schrieb Cole kürzlich in einem Artikel mit dem selbstironischen Titel „The Songwriting Blues: The Secrets To Writing Hits -and how to stay happy doing so“ für den englischen „Independent“. „Ich kam zu dem Schluss, dass dies sein bestes Album seit 1979 ist, dass ich es aber nie wieder auflegen werde. Und das ängstigt mich. Ich bin mir sicher, dass Bowie glaubt, er habe eine Platte gemacht, die neben seinen besten Werken bestehen kann. Und ich glaube, mein neues Album kann das auch. Kann ich genauso falsch liegen wie er? Oder könnten wir am Ende beide recht haben?“

Sieht ganz so aus, als gebe es auch für Lloyd Cole einen next day. Und nicht jeder neue Morgen taugt zur ersten Zeile eines Blues-Songs. Schon gar nicht, wenn man ein europäischer Songwriter ist.

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