Bernies Greatest Hits

Ein akademischer Popstar: Bernie Sanders trat an der FU Berlin auf

Man möchte sagen, der Saal war ausverkauft. Jeder Stuhl war besetzt, die Kapazitäten des Raumes vollständig ausgefüllt, es wurde gejubelt und der Vorname des Mannes auf der Bühne gerufen, und „ausverkauft” würde zu dieser Stimmung passen, wäre aber nicht angemessen, weil es sich um eine eigentlich seriöse Universitätsveranstaltung handelte, nicht um ein Konzert, und es zudem keine Karten zu kaufen gab. Aber, machen wir uns nichts vo – es gab einen Star zu sehen, nämlich Bernie Sanders, und im Auditorium saßen keine Zuhörer, sondern Fans. Es ging nicht darum, großartige Gedanken anzustoßen oder irgendwen von irgendetwas zu überzeugen, weil ja ohnehin alle dasselbe denken (nämlich das Richtige), sondern es ging darum, eine prominente Figur zu sehen, sie einmal live zu erleben, und nicht nur auf Platte. Es war ein Konzert, und Bernie Sanders spielte all seine Hits.

Es ging um Ungerechtigkeiten, um Umverteilung, um Umweltschutz, um den Sozialstaat, um Chancengleicheit, um die transatlantische Beziehung, um den katastrophalen Präsidenten, um das verdammte System. Und Sanders hat natürlich mit allem, was er sagte, recht. Er sprach auch von Visionen und appellierte abschließend: „Do what must be done”, aber so richtig konkret wurde es nie, und was man jetzt genau machen sollte, um an den Zuständen etwas zu ändern, sagte er nicht, aber vielleicht steht das ja in seinem Buch „Our Revolution”, das nun in einer deutschen Übersetzung erscheint und dessen Erscheinen der Grund für die Veranstaltung war.

Bernie Sanders

Nach einer ungefähr dreiviertelstündigen Rede verließ Sanders das Podium und setzte sich neben Christoph Amend, Chefredakteur des „ZEITmagazins“ und Moderator des nun folgenden Gesprächs, an das andere Ende der Bühne (und es war eine Bühne). Aber es hielt ihn nicht lange auf seinem Stuhl, er stand schnell wieder auf (Amend, etwas hilflos, dann auch), nahm seine typische Position ein – leicht nach vorne gebeugt, ausgestreckter Zeigefinger – und benutzte Amends Fragen als Ausgangspunkte für längere Exkursionen.

Er mag Killer Mike

Sanders, wahlkampfgeschult, kennt seine talking points und kann immer weiterreden. Amend behauptet sich und unterbricht den in Fahrt kommenden Sanders höflich, aber selbstbewusst. Seine Fragen sind überwiegend persönlich, was dem stets bei den gewichtigen Themen bleiben wollenden Sanders wohl eher weniger gefällt und in diesem offiziell dann ja doch akademischen Rahmen schon überrascht, aber uninteressant ist es nicht. Sanders spricht über seine Frau Jane, die auch anwesend ist, und seine Tochter (übrigens Yogalehrerin in Arizona), über seine Zeit als für Bürgerrechte demonstrierender Student, seinen Kleidungsstil (er galt mal als “worst dressed senator”) und seine Wertschätzung für den Rapper Killer Mike. An einer Stelle wird er von Amend dazu gedrängt, ein Selfie zu machen, sein erstes; der einzig unangenehme Moment des Abends.

Dann ist es vorbei, und alle jubeln, vielleicht ruft jemand “Zugabe”, und Sanders schreitet durch die applaudierende Menge in Richtung Ausgang, und er schüttelt Hände und lächelt, und es ist schön und rührend, wie viel Zuneigung diesem unverbesserlichen Idealisten entgegengebracht wird. Amend hat es ganz richtig gesagt: Sanders hat die Wahl verloren, aber eigentlich doch gewonnen, und er hat auch gewonnen, weil die Entzauberung, die unvermeidliche Enttäuschung jetzt nicht kommen kann. Er bleibt ein Held, seine Marke kann nicht entwertet, seine moralische Reinheit kann nicht verwässert werden. Durch die Menge sieht man ihn noch gerade, man erkennt ihn an den leuchtend weißen Haaren, er schüttelt Hände, klopft auf Schultern, und dann ist er weg.

https://www.rollingstone.de/us-praesident-trumps-rache-an-obama-1184749/

Lino Mirgeler picture alliance / Lino Mirgeler/dpa
Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates