Berlinale, Tag 5: „Langue Étrangère“ – ziemlich nah an der Wirklichkeit der jungen Leute

Ein Blick u.a. auf „Langue Étrangère“: ein spannendes Porträt der Gen-Z

Der koreanische Regisseur Hong Sangsoo ist in den letzten Jahren nicht nur zum Berlinale-Dauergast, sondern auch zu einem verlässlichen Bären-Kandidaten geworden. Nach der Ansicht von „A Traveller’s Need“ werden sich all jene bestätigt fühlen, die sein Kino als kleinteilig und erratisch empfinden. Sangsoos setzt hier seinen Weg in den cineastischen Minimalismus konsequent fort.

Im Mittelpunkt seines neuen Films steht eine Frau namens Iris (Isabelle Huppert), die aus unbekannten Gründen in Südkorea gestrandet ist und sich als private Französischlehrerin mit unkonventioneller Methode durchschlägt. Sie geht mit ihren Schülerinnen spazieren und fragt sie penetrant nach ihren wahren Gefühlen aus, um ihnen schließlich ein paar französische Plattitüden mit auf den Weg zu geben. Dass sie dabei permanent die kulturellen Grenzen von Abstand und Respekt überschreitet, interessiert sie nicht.

Visuell und erzählerisch herrscht in Sangsoos Film nahezu Stillstand. Die Geschichte dreht sich um sich selbst, sogar die sperrigen Dialoge wiederholen sich. Dieses auf das Nötigste beschränkte Kino fand man während der Pandemie in seiner trotzigen Beständigkeit irgendwie zeitgemäß. Inzwischen wirkt es aber aus der Zeit und aus der Welt gefallen. Dass sich die Jury um Oscar-Preisträgerin Lupita Nyongo für diese Mini-Analysen tatsächlich erwärmen kann, ist schwer vorstellbar.

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Ziemlich zeitgemäß ist Victor Kossakovskys bildgewaltige Dokumentation „Architecton“. In seinem Ballett der toten Materie geht er der Frage nach, warum wir uns einer hässlichen und kurzlebigen Architektur verschrieben haben, während vor tausenden Jahren Bauwerke errichtet wurden, die uns heute noch staunen lassen. Sein Film ist ein Appell, uns bewusst zu machen, dass der globale Bauwahn den Raubbau an der Natur vorantreibt.

Naheliegend wäre, dies mit Aufnahmen der Mega-Baustellen in Mittel- und Ostasien abzubilden, darauf verzichtet Kossakovsky aber komplett. Stattdessen bringt er den Stein im wahrsten Sinne des Wortes ins Rollen und zeigt, dass die Wolkenkratzer unserer Zeit aus massivem Felsgestein gemacht sind, die erst zu Staub zermahlen werden, der dann wieder zu Zement gerührt wird.

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In Zeitlupe beobachtet die Kamera von Ben Bernhard den Erdrutsch nach einer Sprengung und führt den gewaltigen Tanz der Materie vor Augen. Es folgen überwältigende Aufnahmen von Bergmassiven, die geschliffen und zermalmt werden, um die Basis für die Tempel des Kapitalismus zu schaffen. Dieser Vernichtungswut werden Aufnahmen antiker Städte gegenübergestellt, die selbst in ihrem jahrtausendealten Dornröschenschlaf noch majestätisch strahlen. Außerdem werden wir Zeuge eines minimalistischen Projekts des italienischen Architekten Michele De Lucchi, der in seinem Garten einen magischen Kreis errichtet.

Erzählerisch ist in „Architecton“ relativ schnell die Luft raus, die Message ist schnell verstanden. Einzig die spektakulären Bilder halten bei der Stange. Langsam tastet der oscarnominierte deutsche Kameramann Bernard die steinigen Landschaften ab, mal mit Drohnen aus der Ferne, dann wieder zoomt er nah heran. Derweil atmen und ächzen, stöhnen und seufzen die Elemente auf der Tonspur. Umso bedauerlicher, dass Kossakovsky der Bildsprache nicht vertraut und seinen Film mit einem erklärenden Epilog versieht.

„Architecton“ sollte nach „Aquarela“ und „Gunda“ ursprünglich den Abschluss einer Trilogie über die Empathie bilden. Auf der Pressekonferenz sagte der russische Filmemacher, dass das Projekt etwas größer werde. Da kommt also noch etwas. Man darf gespannt sein, wie sich diese Reihe dann von der Arbeit des Trios aus Jennifer Baichwal, Nicholas de Pencier und Edward Burtynksy unterscheidet. Deren Filme „Manufactured Landmark“, „Watermark“ und „Anthropocene: The Human Epoch“ setzen sich mit ähnlichen Fragen auseinander, der Abschluss war 2019 bei der Berlinale zu sehen.

„Architecton“

Der Franzose Olivier Assayas hatte in seiner Covid-Erzählung „Hors du temps“ gefragt, warum das Kino seinen Bezug zur Natur verloren hat. Kossakovsky ist da radikaler. Bei ihm hat nicht das Kino, sondern die ganze Menschheit den Bezug zur Natur verloren. Nur so sei es zu erklären, dass die Welt aus dem Gleichgewicht geraten und die Menschheit auf dem besten Weg in eine neue Stein-Zeit sei. Die Bauwerke unserer Zeit sind nicht für Jahrtausende, sondern für Jahrzehnte gemacht; den Erschütterungen der Welt halten sie nicht stand. Bilder aus den von einem Erdbeben verwüsteten türkischen Städten veranschaulichen dies ebenso wie die Aufnahmen aus der kriegszerstörten Ukraine. Dass der Russe diese Bilder an den Anfang seines Filmes setzt, ist sowohl ein emphatisches als auch ein politisches Statement.

Mit dem französischen Film „Langue Étrangère“ ist im Wettbewerb zudem ein spannendes Porträt der Gen-Z zu sehen. Im Mittelpunkt stehen Fanny (Lilith Grasmug) und Lena (Josefa Heinsius), zwei Teenager, die an einem Schüleraustausch teilnehmen. Gemeinsam lernen sie nicht nur die andere Kultur kennen, sondern auch, dass ihre Generation über Grenzen hinweg ähnliche Fragen umtreibt. Sie treibt der wachsende Rassismus um, sorgt sich um die Zukunft des Planeten und setzt sich für Frauenrechte ein. Wie weit sie dabei zu gehen bereit sind, ist unterschiedlich, linker Aktivismus – soviel sei verraten – spielt eine Rolle.

Die Drehbuchautorin und Regisseurin Claire Burger ist mit ihrem Generationenporträt erstmals im Wettbewerb vertreten. Eine Newcomerin ist die 1978 geborene Französin deshalb nicht. Mit ihrem Langfilmdebüt „Party Girl“ gewann sie 2014 in Cannes die Goldene Kamera, 2018 wurde ihr Film „Real Love“ in Venedig mit dem Preis für den besten Autorenfilm ausgezeichnet. Prestigeträchtig ist zudem, dass „Langue Étrangère“ von Marie-Ange Luciani produziert wurde, die auch hinter Justine Triets Oscar-Kandidaten „Anatomie eines Falls“ steckt.

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Die Handlung ist in Leipzig und Straßburg angesiedelt, also abseits der ausgetretenen Pfade, auf die sich sonst alle Aufmerksamkeit richtet. Der Film hält sich nicht mit der Analyse von kulturellen Differenzen auf, sondern geht mitten hinein ins Leben, in die Familien, die Schule, den Aktivismus, um dort das Leben und seine Prägungen auf die Gen-Z einzufangen. So umgeht Burger geschickt die herkömmlichen Klischees des deutsch-französischen Diskurses und kann sich auf ihre beiden Figuren konzentrieren.

In deren Sorgen, Nöten und Hoffnungen spiegeln sich die gesellschaftlichen Entwicklungen. So veranschaulicht die Französin in den alltäglichen Erfahrungen ihrer beiden Hauptfiguren die sozialen Konflikte. Die Feigheit ihrer Eltern, sich den Herausforderungen ihrer Zeit zu stellen, verbindet die Erfahrungswelt der beiden Mädchen und bringt sie einander näher. Die fremde Sprache, auf die der Titel anspielt, meint daher in erster Linie nicht die nationalen Sprachen, sondern das fehlende Verständnis zwischen den Generationen.

Behutsam tastet der Film die Identitätssuche seiner jungen Charaktere ab. Nicht für jede aufgeworfene Frage hält er eine Antwort parat und ist damit nah an der Wirklichkeit der jungen Leute. Die müssen mit der Ratlosigkeit umgehen und machen das in Blicken, Gesten und im Aktivismus. Der mag idealistisch überhöht sein, ist aber allemal besser, als in einer pseudorealistischen Geste den Kopf in den Sand zu stecken. „Langue Étrangère“ ist kein Film über junges Engagement, sondern ein Film über die Jugend und die Kopfschmerzen, die sie denen, die jung sind, bereitet.

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