Berlinale, Tag 2: Iran sorgt für einen frühen Heartbreaker
In „My Favourite Cake“ beeindruckt Lily Farhadpour. Auch das deutsche Kino startet vielversprechend.
Das iranische Kino hat seit Jahren einen festen Platz bei der Berlinale. Es beeindruckt immer wieder mit überraschenden Perspektiven. Jafar Panahi, Mani Haghigi und Mohammad Rasoulof gehören zu den bekanntesten Namen des regimekritischen iranischen Kinos, das mit Maryam Moghaddam und Beetash Sanaeeha spannenden Nachwuchs erhält. 2021 war das Duo bereits in Berlin zu Gast, damals präsentierten sie mit dem Drama „Ballad of a white cow“ das beeindruckende Porträt einer Frau, die sich von der misogynen iranischen Gesellschaft nicht unterkriegen lässt.
In diesem Jahr können sie selbst nicht zu Gast sein, das iranische Regime genehmigte ihre Ausreise nicht. Ein Foto füllte die Leerstelle bei der Pressekonferenz zu ihrem Film „Keyke Mahboobe Man (My Favourite Cake)“, mit dem sie ins Rennen um die Bären einsteigen. Bei dem politischen Anspruch des Festivals muss das kein Nachteil sein, wenn es um die Vergabe der Preise geht. Das gilt erst recht, wenn man einen so lebendigen, liebevollen und ausdrucksstarken Film auf die Leinwand bringt. „My Favourite Cake“ ist ein Fest des Lebens und der Liebe, der sich dem lebensverneinenden Gesellschaftsmodell der Mullahs entgegenstellt.
Im Mittelpunkt steht die 70-jährige Mahin, die sich wie viele ihrer Freundinnen danach sehnt, berührt und bewegt zu werden. Aber Frauen in ihrem Alter, zumal einst verheiratete, sind unsichtbar. Das iranische Filmemacher-Duo macht diese Frau in all ihrer Kraft sichtbar, lässt sie strahlen und leuchten, ohne Kopftuch und Zensur. Mahin wird sich noch einmal Hals über Kopf verlieben und den Taxifahrer Esmail nicht nur in ihre Wohnung, sondern in ihr Herz lassen. Eine Nacht lang werden sie gemeinsam essen und trinken, singen und tanzen und sich am jeweils anderen wärmen. Die beiden dabei zu beobachten, wie sie sich langsam Näherkommen, ist nicht nur überaus unterhaltsam, sondern auch auf befreiende Weise ansteckend.
Eine romantische Komödie aus dem Iran, passt das in Zeiten, in denen der Ruf nach Freiheit mit brutaler Gewalt niedergeschlagen wird und Frauen wegen eines Stück Stoffs um ihr Leben fürchten müssen? Und wie das passt! Gerade aufgrund seiner Leichtigkeit ist der neue Film von Maryam Moghaddam und Beetash Sanaeeha eine krachende Gerade ins Gesicht des Regimes. Sie haben ein echtes Bild der Frauen im Iran zeichnen wollen, erklärten die Filmemacher in einem schriftlichen Statement, ein Bild, das die Mullahs komplett von der Leinwand verbannt hätten.
Immer wieder setzt das Ensemble die Unterdrückung der Freiheit durch das Regime in Szene und drückt sich nicht um eine klare Positionierung. Hauptdarstellerin Lily Farhadpour trägt in weiten Teilen des Films kein Kopftuch und stellt sich – im Film und auf der Berlinale – unmissverständlich auf die Seite der Frauen im Iran, denen der Film gewidmet ist.
Überhaupt ist Farhadpour, die auch das Drehbuch geschrieben hat, eine einnehmende Erscheinung. Sie verleiht ihrer Figur eine umwerfende Präsenz, mit jeder Sekunde blüht diese Frau ein bisschen mehr auf, wissend, dass die Liebe auch ein Wagnis ist. Farhadpour macht diese Geschichte, gemeinsam mit Esmail Mehrabi als zugeneigtem Taxifahrer, zu einer universellen Geschichte über die Sehnsucht nach Liebe im Alter, ohne dabei in Kitsch abzudriften.
Dies kann man von Alonso Ruizpalacios Tellerwäscher-Soap „La Cocina“ nicht unbedingt behaupten. Der mexikanische Regisseur, der bereits mit drei Filmen auf der Berlinale zu Gast war und 2018 für „Museo“ den Silbernen Bären für das Beste Drehbuch erhielt, erzählt die Lovestory von Pedro und Julia. Beide arbeiten in einem Restaurant in Manhattan, Pedro unten in der Küche, Julia oben als Kellnerin. Die Folgen ihrer Affäre und die Suche nach ein paar hundert Dollar treiben die Handlung voran.
Die Küche wird in dem Schwarz-Weiß-Film selbst zur Akteurin. Kameramann Juan Pablo Ramírez setzt sie als ein alles verschlingendes Monster in Szene, dem sich alle zu unterwerfen haben. Visuell überzeugt der Film immer dann, wenn Ramírez seine Kamera durch den Wahnsinn in der Küche tanzen lässt. Enttäuschend ist die allzu offensichtliche Moral, mit der Ruizpalacios die Hierarchie in der amerikanischen Einwanderungsgesellschaft sichtbar macht. Migranten malochen unter untragbaren Bedingungen im Untergrund, um der Upper Class über ihren Köpfen den Wanst zu stopfen. Das ist weder neu noch sonderlich gut gemacht. Man kann sich nur wünschen, dass das Berlinale-Publikum diese Lektion mit bis ins nächste Restaurant am Potsdamer Platz nimmt, wo die Verhältnisse nicht viel besser sind.
Wer wirklich etwas über die Abläufe in Großküchen lernen will, der schaue lieber Christopher Storers Oscar-nominierte Serie „The Bear“; an die kommt man dank Streaming auch leichter als an ein Berlinale-Ticket.
Ein solches bekommt man für Aaron Schimbergs Drama „A Different Man“ schon nicht mehr, alle Vorstellungen sind ausverkauft. Der Amerikaner erzählt die Geschichte von Edward (Sebastian Stan), dessen Gesicht so sehr von einer Krankheit gezeichnet ist, dass er sich auf ein radikales medizinisches Experiment einlässt. Der Eingriff wirkt und für Edward beginnt ein neues Leben. Aber das alte kreuzt unerwartet unter neuen Vorzeichen auf. Seine ehemalige Nachbarin Ingrid (Renate Reinsve) will im Theater seine Geschichte erzählen und Edward spürt, dass er an dem Leben, das er nicht mehr wollte, hängt. Da taucht der lebensfrohe Oswald (Adam Pearson) auf und führt ihm vor Augen, was es bedeutet, wenn man mit sich im Reinen ist.
„Alle Unzufriedenheit im Leben kommt davon, wenn man nicht akzeptiert, wer man ist“, heißt es zu Beginn des Films, der bereits in Sundance gezeigt wurde. Wie schwer es ist, herauszufinden, wer man ist, wenn einen jeder von außen bewertet und wie es einem gelingt, die innere Schönheit zu bewahren, wenn einem die äußere permanent abgesprochen wird, davon erzählt Schimbergs Film. Zuweilen hat man dabei den Eindruck, einem Mash-Up aus Kristoffer Borglis „Sick of Myself“ und Adina Pintilies „Touch me not“ beizuwohnen. Allerdings besitzt „A Different Man“ weder den Mut zur reinen Satire noch das Einfühlungsvermögen des Dokumentarischen. So verliert der Film zunehmend seinen Fokus und versäumt es, sich auf den emotionalen Schaden zu besinnen, den Ekel, Grauen und Abscheu in denen auslösen, die solchen Reaktionen ausgesetzt sind. Edward wirkt am Ende wie ein verwirrter Trottel und wird so vom Drehbuch selbst gepeinigt.
Dass Schönheit von innen kommt, ist offenbar leichter gesagt als empfunden. Hier haben die Filme von Aaron Schimberg sowie Maryam Moghaddam und Beetash Sanaeeha einen gemeinsamen Kern, setzen das aber mit sehr unterschiedlicher Wirkung um.
In den anderen Sektionen sind drei deutsche Filme an den Start gegangen, die belegen, dass das deutsche Kino vielfältiger ist, als oft behauptet wird. Der Berliner Filmemacher Tilman Singer präsentiert in der prestigeträchtigen Reihe Berlinale Special seinen Horrorfilm „Cuckoo“. Der spielt in einem in die Tage gekommenen Alpenressort und verbindet Zombie-Motive mit Laborexperimenten. Leidtragende ist eine junge Frau namens Gretchen (Hunter Schafer), deren Verfolgungswahn mit Spezial- und Soundeffekten gefüttert wird. Singer kennt die Klassiker und versteht es, deren cineastische Sprache neu zu interpretieren.
In der Sektion Panorama stellt Michael Fetter Nathansky seinen zweiten Langfilm „Alle die Du bist“ vor. Darin erzählt er eine Liebesgeschichte im Arbeitermilieu. Angst vor einer proletarischen Romanze muss man nicht haben, denn der Absolvent der Filmschule Babelsberg setzt die Geschichte der resoluten Nadine (Aenne Schwarz) und des impulsiven Paul (Carlo Ljubek) von der ersten Sekunde an sehenswert um. Da wird Nadine zu einem Notfall gerufen, weil Paul bei einem Vorstellungsgespräch die Panik gepackt hat. Der Paul, den sie antrifft, ist zunächst ein wutschnaubender Stier, dann ein trotziges kleines Kind und schließlich der sympathische junge Mann, in den sie sich verliebt hat. Dieser unmittelbare Wechsel der Charaktere gibt dem Film eine ganz eigene Sprache. Mit diesem Kunstgriff macht Nathansky die mentalen Ebenen sichtbar, die die Beziehung zwischen Nadine und Paul prägt.
Die in der kurdischen Region Iraks geborene Regisseurin Soleen Yusuf hat mit ihrem Film „Sieger sein“ das Generationen-Programm des Festivals eröffnet. Darin erzählt sie die Geschichte der elfjährigen Mona, die mit ihren Eltern aus Syrien fliehen musste und nun eine Schule im Wedding besucht. Als Außenseiterin hat sie es nicht leicht, aber bald verstärkt sie das Fussballteam der Schule, das sich mit ihr gute Chancen auf den Titel als Berlins beste Mädchenmannschaft ausrechnet. Yusuf hat die Talente-Programme der Berlinale durchlaufen, an den Dokumentarfilmen zum NSU-Prozess mitgewirkt und war an der Serie „Berlin 89“ beteiligt. Ihr Porträt eines fussballbegeisterten Mädchens beeindruckt in seiner Vielschichtigkeit, gerät mit zwei Stunden aber ein wenig zu lang. Dass sie sich beim Dreh in die Mädchen rund um Hauptdarstellerin Dileyla Agirman ein wenig verliebt hat, will man ihr aber nicht übelnehmen.