Berlinale-Ausblick 2025: Chalamet, Cotillard und Cumberbatch
Am Donnerstag starten die 75. Internationalen Filmfestspiele in Berlin. 19 Filme konkurrieren um die Berlinale-Bären, darunter auch drei deutschsprachige Beiträge.

Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton, „Dune“-Star Timothée Chalamet, Margaret Qualley („The Substance“), Jessica Chastain („Interstellar“), Robert Pattinson („Twilight“), Sibel Kekilli („Gegen die Wand“), Benedict Cumberbatch („Sherlock“), Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard („La vie en rose“), Lars Eidinger („Sterben“) und Vicky Krieps – das sind einige der Filmstars, die zur 75. Berlinale anreisen. Die Jubiläumsausgabe der Berliner Filmfestspiele, die erstmals von der britischen Festivaldirektorin Tricia Tuttle geleitet werden, startet am Donnerstagabend mit Tom Tykwers („Babylon Berlin“) Familiendrama „Das Licht“, in dem unter anderem Nicolette Krebitz und Lars Eidinger mitwirken.
Tuttle, die im vergangenen Frühjahr die Festivalleitung von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek übernommen hat, hat für die 75. Filmfestspiele den Spielplan ordentlich umgeräumt. Den 2020 von Chatrian eingeführten experimentellen Nebenwettbewerb Encounters hat die Britin wieder abgeschafft und mit Perspectives einen neuen Wettbewerb für Erstlingswerke aus aller Welt geschaffen.
In diesem Jahr konkurrieren dort neben 13 Filmen aus aller Welt auch zwei deutschsprachige Debüts. Der Österreicher Florian Pochlatko stellt seinen Porträtfilm „How to Be Normal and the Oddness of the Other World“ vor, von der Berliner Filmemacherin und Sängerin Constanze Klaue wird die Verfilmung von Lukas Rietzschels Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ in dem internationalen Wettbewerb für Spielfilmdebüts zu sehen sein.
Geht es nach Tuttle und ihrem Team, soll die Hauptaufmerksamkeit des Festivals aber wieder dem Rennen um die Goldenen und Silbernen Bären gelten. Diese werden von der sechsköpfigen internationalen Jury um den US-Amerikaner Todd Haynes („May December“, „Carol“) am 22. Februar in einer feierlichen Abschlussgala vergeben. Im Wettbewerb konkurrieren in diesem Jahr insgesamt 19 Filme, darunter die neuen Werke von Preisträgern wie Richard Linklater, Hong Sangsoo und Radu Jude.
Richard Linklater und Hong Sangsoo
Linklater, der mit „Before Sunrise“ (1995) und „Boyhood“ (2014) jeweils einen Silbernen Bären gewann, stellt seinen neuen Film „Blue Moon“ vor. Darin erzählt der Amerikaner die Geschichte des Songtexters Lorenz Hart, der in eine Lebenskrise rutscht, als sein ehemaliger Partner Richard Rodgers seinen größten Erfolg als Solokünstler feiert. Der südkoreanische Regisseur Hong Sangsoo, der bereits vier Silberne Bären gewonnen hat, ist zum neunten Mal in Berlin zu Gast. Er stellt seinen neuen Film „What Does that Nature Say to You“ vor, in dem er mit bewährtem Personal die Ereignisse und Gespräche bei einem Familientreffen festhält. Radu Jude gewann 2021 mit der Gesellschaftssatire „Bad Luck Banging or Loony Porn“ den Goldenen Bären. Nun kehrt er mit dem Drama „Kontinental ’25“ zurück, in dessen Mittelpunkt eine Gerichtsvollzieherin steht, die in der transsilvanischen Hauptstadt Cluj unter den Belastungen ihres Jobs zusammenbricht.
Mit Frédéric Hambaleks Familiengeschichte „Was Marielle weiß“, Ameer Fakher Eldins Porträt „Yunan“ und Johanna Moders Drama „Mother’s Baby“ stellen sich zudem drei deutschsprachige Filme der internationalen Konkurrenz im Rennen um die Bären. In „Was Marielle weiß“ spielen Julia Jentsch und Felix Kramer ein Paar, dessen Tochter über telepathische Fähigkeiten verfügt und unangenehme Wahrheiten ans Licht bringt. In „Yunan“ folgt der in Kiew geborene und in Israel aufgewachsene Filmemacher Ameer Fakher Eldin einem Mann namens Munir, der auf einer einsamen Insel vom Leben Abschied nehmen will. Der österreichische Wettbewerbsbeitrag „Mother’s Baby“ handelt vom Kinderwunsch eines Paares und wie sich dieser in einen Alptraum verwandelt.
Berlinale Special mit hohem Promi-Faktor
Bei den 21 Filmen, die als Berlinale Special gezeigt werden, ist der Promi-Faktor besonders hoch. So stellt dort unter anderem Oscar-Preisträger Joon Bong Ho („Parasite“) seinen neuen Film „Mickey 17“ vor, in dem Robert Pattinson die Hauptrolle spielt. Musikfans können sich auf James Mangold („Walk the Line“) und sein Dylan-Biopic „Like a complete unknown“ freuen, das für drei Oscars nominiert ist. Darin schlüpft Timothée Chalamet („Dune“, „Call Me By Your Name“) in die Rolle des jungen Bob Dylan, der als Singer-Songwriter die amerikanische Musik verändert. Dylan Southern porträtiert in „The Thing with Feathers“ einen Comiczeichner, der sich nach dem plötzlichen Tod seiner Frau allein um seine zwei Söhne kümmern muss. „Sherlock“-Star Benedict Cumberbatch spielt hier die Hauptrolle und wird zur Europapremiere anreisen. Für die Weltpremiere von Justin Kurzels Dramaserie „The Narrow Road to the Deep North“ kommt Jacob Elordi („Priscilla“, „Euphoria“) nach Berlin. Zudem wird Tilda Swinton anreisen, um den Goldenen Ehrenbären der Berlinale entgegenzunehmen. Aus diesem Anlass wird mit Peter Wollens „Friendship’s Death“ einer ihrer ersten Filme gezeigt.
Darüber hinaus werden gleich sechs deutschsprachige Filme in der beliebten Nebenreihe gezeigt. In „Heldin“ der Schweizer Filmemacherin Petra Volpe ist Leonie Benesch als umsichtige Krankenschwester zu sehen, die auf einer unterbesetzten Station mit den kleinen und großen Dramen des Lebens konfrontiert ist. Benesch war vor zwei Jahren einer der European Shooting Stars bei der Berlinale, zuletzt beeindruckte sie in dem Drama „Das Lehrerzimmer“ von İlker Çatak, das im vergangenen Jahr für einen Oscar nominiert war. Burhan Qurbani modernisiert nach Döblins „Berlin Alexanderplatz“ in seinem neuen Film Shakespeares „Richard III.“. In „Kein Tier. So Wild“ überträgt er das Historiendrama um die Rosenkriege am englischen Königshaus auf einen Bandenkrieg zwischen zwei arabischen Großfamilien.
Rosenkriege am englischen Königshaus
Zudem wird Ido Fluks Spielfilm über Keith Jarretts Köln-Konzert 1975 gezeigt. In „Köln 75“ wird die Geschichte weitgehend aus der Perspektive der damaligen Konzertmanagerin und heutigen Musikproduzentin Vera Brandes erzählt. Das besondere daran: Fluks bekam keine Freigabe für Jarretts Musik, der Film muss ganz ohne die Töne des legendären Pianisten auskommen. Außerdem stellt Jan-Ole Gerster („Oh Boy“) seinen Thriller „Islands“ vor, Edgar Reitz („Heimat – Eine deutsche Chronik“) den Porträtfilm „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ und Tom Tykwer das Familiendrama „Das Licht“. Zudem erzählt Marcin Wierzchowski in seiner Schwarz-Weiß-Dokumentation „Das Deutsche Volk“ die Geschichte des rassistischen Anschlags in Hanau aus der Perspektive der Hinterbliebenen und Überlebenden. Dazu passt Martina Priessners Dokumentation „Die Möllner Briefe“, die im Panorama gezeigt wird und den Erfahrungen der Überlebenden des rassistischen Brandanschlags 1992 in Mölln folgt.
Hier deutet sich an, dass die Berlinale auch unter Tricia Tuttle ihrem Ruf als politisches Festival gerecht werden wird. Das zeigt sich auch im weiteren Programm. Der Nahost-Konflikt wird beispielsweise in der Doku „A Letter to David“ des israelischen Filmemachers Tom Shoval aufgegriffen, der sich mit diesem Film an seinen Freund David Cunio richtet, der noch immer in der Hand der Hamas ist. Die multinationale Filmemacherin Areeb Zuaiter porträtiert in „Yalla Parkour“ einen jungen Athleten aus dem Gaza-Streifen vor dem Hintergrund des Krieges.
Land am Rande des Faschismus
Der Ukrainekrieg und dessen Folgen werden in einer Handvoll Filmen aufgegriffen. Die in der Sowjetunion geborene amerikanische Filmemacherin Julia Loktev präsentiert auf der Berlinale ihren fünfeinhalbstündigen Dokumentarfilm „My Undesirable Friends: Part I — Last Air in Moscow“, in dem sie junge Journalist:innen begleitet, die gegen Putins Propaganda ankämpfen. Diesem außergewöhnlichen Bericht über ein Land am Rande des Faschismus steht die ukrainische Dokumentation „Timestamp“ gegenüber, in dem die ukrainische Regisseurin Kateryna Gornostai kaleidoskopisch beobachtet, wie auf das Alltagsleben von Schüler:innen und Lehrkräften in der Ukraine vom Krieg geprägt wird. Außerdem porträtiert Vitaly Mansky in „Time to the Target“ seine Heimatstadt Lviv in Kriegszeiten, Oleksiy Radynski hat in „Special Operation“ Aufnahmen des Überwachungssystems des Atomkraftwerks in Tschernobyl verarbeitet, die während der russischen Besatzung entstanden sind und Eva Neymann schweift mit ihrer Kamera durch Odessa und führt die Allgegenwart des Krieges vor Augen.
Vor dem Hintergrund des 80. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz und des Endes des Zweiten Weltkriegs zeigt die Berlinale auch noch einmal Claude Lanzmanns Monumentalwerk „Shoah“, in dem der französische Regisseur in knapp zehn Stunden die Realität des Holocaust zu erfassen versucht hat. Ergänzend wird der Film „All I Had Was Nothingness“ gezeigt, in dem der Franzose Guillaume Ribot vierzig Jahre nach der Veröffentlichung von „Shoah“ auf unveröffentlichtes Filmmaterial und Lanzmanns Memoiren zurückgreift, um diesem bahnbrechenden Werk und dem Mann dahinter ein Denkmal zu setzen.
Auch in der eher unterhaltenen Sektion Panorama sind einige spannende Dokumentationen zu sehen. Erstmals ist der Kanadier Denis Coté mit einer Doku in Berlin zu Gast, in „Paul“ begleitet er einen jungen Mann, der die Wohnungen von dominanten Frauen putzt. Außerdem sind Luzia Schmids Dokumentation „Ich will alles. Hildegard Knef“, Billy Shebars Meredith-Monk-Porträt „Monk in Pieces“ sowie Rosa von Praunheims Selbstporträt „Satanische Sau“ zu sehen.
Mehr als 200 Filme
In der Retrospektive, die allein schon den Besuch des Festivals lohnt, werden Genrefilme aus den 1970er-Jahren aus Ost- und Westdeutschland gezeigt: von Hans W. Geißendörfers opulentem Vampirfilm „Jonathan“ über Horst Bonnets Operetten-Verfilmung „Orpheus in der Unterwelt“ bis zu Ralf Olsen bundesrepublikanischen Giallo-Western „Blutiger Freitag“. Bei Berlinale Classics sind zudem Konrad Wolfs „Solo Sunny“, Alfred Hitchcocks „Der Fall Paradin“, Don Siegels „Dirty Harry“ oder Yasuzô Masumura „The Wife of Seisaku“ zu sehen. Die estnische Filmemacherin Leida Laius ist mit ihrem staatskritischen Spielfilm „Lach doch mal“ die einzige Frau im Klassiker-Programm der Berlinale.
Insgesamt werden vom 13. bis 23. Februar weit mehr als 200 Filme im Rahmen des Festivals gezeigt. Um Cineast:innen die Auswahl zu erleichtern, kann man das Programm auch nach Interessen filtern. Genrefans finden so schnell Filme mit Bezug zu Horror und Crime, Sisterhood oder Dokumentarischem, zu queeren, politischen oder kulturellen Themen. Allein 22 Filme mit Bezug zu Musik und Performance werden bei der diesjährigen Berlinale gezeigt.