Berlin ist hinüber. Endgültig. Aus.

Im "Berghain" ist längst die letzte Poritze beleuchtet. In Kreuzberg hat man wieder Angst vorm schwarzen Mann. Der Regierende hat das Charisma eines Glases Mineralwasser. Ist die Hauptstadt am Ende? Von Laura Ewert

Vor Kurzem erzählte ein Freund – natürlich inoffiziell, Partytalk –, eine deutsche Bank habe den Kreditantrag seiner Firma für ein größeres Bauprojekt in Berlin abgelehnt. Die Begründung: Die Kreditabteilung schätzt den Markt in Berlin als nicht mehr ausreichend investitionswürdig ein. Übersetzt kann das natürlich nur eines heißen: Der Berlin-Hype ist vorbei.

(Photo by Timur Emek/Getty Images)
(Photo by Timur Emek/Getty Images)

Der Berlin-Hype ist vorbei

Zwar erlebte Berlin auch 2014 erneut einen Besucherrekord, nur diese Besucher muss man sich als den hinteren Teil einer Schlange vorstellen, der nur mehr dem schicken Züngeln des Schlangenkopfes folgt. „Du bist verrückt mein Kind, du gehörst nach Berlin“, das Foto eines Graffitis, nach dem Zitat von Franz von Suppé (Jahrgang 1819!) angefertigt, ziert die Socialmedia-Auftritte oder Frühstücksbrettchen gefühlt aller jungen Menschen, die nach Berlin kommen, um das große Abenteuer zu suchen.

Doch anstatt in Künstler-Wohngemeinschaften, in denen David Bowie ein und aus geht, landen sie heute eher in Studentenwohnhäusern wie dem Kreuzberger Neubau „The Fizz – Living cum Laude“ in der Köpenicker Straße. Das wohl einzige von Studenten bewohnte Haus, das zum 1. Mai seine Scheiben zum Schutz vor Glasbruch verbarrikadiert hat. Denn das moderne Bauprojekt wirbt mit: „Videoüberwachung, vollausgestatteten Apartments, (Bett inkl. Matratze, Schreibtisch und Stuhl, Regale, Kleiderschrank, Spiegel, Beleuchtung)“.

Heute kommen jene, die das Andere suchen, anstatt es mitzubringen

Am Abend streicht in der Lobby der hauseigene Pförtner wahrscheinlich die Sitzsäcke zurecht und dreht die Figuren des Kickers wieder aufrecht. Die Bewohner dieses Studentenwohnhauses müssen so verrückt sein, dass ihnen eine individuell eingerichtete erste eigene Bude zu krass wäre.

Anders als die Hugenotten oder die Kriegsdienstverweigerer, die diese Stadt so prägten, haben die Kreativ-Einwanderer (die Autorin zählt sich selbstverständlich dazu) kaum Leidensdruck mehr. Keinen Grund zur Flucht, nur das Ankommen zählt. Bestand der vorletzte Schub der Zuzügler noch aus denen, die in ihrer Provinzschulklasse schon immer etwas anders waren, kommen nun vornehmlich die, die das Andere suchen, anstatt es mitzubringen.

Rebellion? Vision? Neue Ideen? Muss man erst suchen

Die letzten Anzeichen von Rebellion in dieser Stadt sind ihr unfertiger Flughafen und die Menschen, die unfähig sind, einen Wocheneinkauf zu machen und so mit der Milch für den nächsten Morgen und den Kartoffeln für den Abend im Arm im Spätkauf stehen. Selbst die so oft zitierten Hundehaufen werden in den Innenstadtbezirken weniger.

Bürgerbegehren zum Tempelhofer Feld? Ein Aufbegehren von Leuten, die in der Stadt wieder Ackerbau betreiben oder in Ruhe inlineskaten wollen. Drogenkonsum? Ein einziger Beweis des eigenen geilen neoliberalen Lifestyles. Und Kunst wird jetzt wieder in Kirchen gezeigt. Aber Rebellion? Vision? Neue Ideen? Muss man erst suchen.

(Photo by Target Presse Agentur Gmbh/WireImage)
Bill Kaulitz und Berlin. Geht das zusammen? (Photo by Target Presse Agentur Gmbh/WireImage)

Die Avantgarde besteht größtenteils aus mittelmäßigen Schriftstellern oder alkoholabhängigen Steakfans. Selbst die Berliner Clubkultur, die gerne als Kreativmotor und Touristenmagnet genannt wird, ist in einem zweifelhaften Zustand. Während René Gurka, der frühere Chef der Berlin Marketing Agentur „Berlin Partners“, nach seinem Rücktritt (Ungereimtheiten bei Auftragsvergabe) jetzt mit dem nächsten Hype, nämlich 3D-Druckern, arbeitet, warben die Stadtmarketingleute von „Berlin.de“ kürzlich damit, dass Bill Kaulitz von Tokio Hotel gerne mal ins „Berghain“ gehen würde. Also nicht etwa damit, dass er da war. Oder nicht reingekommen ist. Der Konjunktiv der Verzweiflung!

Immer hohler!

Im „Berghain“ allerdings ist inzwischen auch die letzte Poritze im Dark-room von weltweit jedem Magazin ausführlich beleuchtet worden. Damit ist dieser Freudenpfuhl ähnlich spannend wie das Phänomen der sogenannten „Latte-macchiato-Mütter“ in Prenzlauer Berg. Ein Mythos, der, je öfter man versucht, ihn zu beschreiben, nur hohler werden kann.

Der Pionierstatus der Nachwendezeit ist vorüber: Überall gibt es Clubs, die aussehen wie die in Berlin: viel Holz, viel Beton. Sogar dieselbe Musik läuft dort.

Die Rückkehr der Loveparade

Es sind ohnehin in den vergangenen Jahren keine großen Neuerungen aus der Berliner Clubkultur entstanden. Außer vielleicht der Plan, im kommenden Sommer wieder eine Art Loveparade unter dem Titel „Zug der Liebe“ durch die Straßen bollern zu lassen. „Für die liebevolle Annahme ALLER Gegensätze fordern wir dich zum Tanz auf! Hin zu Friede, Freude und Liebe!“ Heißt es Furcht einflößend in der Facebook-Einladung (Schon über 17.000 Zusagen!).

Und weil es ein wenig Kritik gab, dass die Veranstaltung zu inhaltslos sei, fügte man eben schnell noch ein paar Inhalte ein. Um Flüchtlingspolitik soll es bei der Parade nun gehen, um Jugendschutz und Grünflächenplanung. Also um fast alles, was in Berlin politisch derzeit so grandios schiefläuft. Auch gegen Gentrifizierung soll sich der Zug natürlich richten. Etwas, was er vielleicht noch am ehesten erfüllen könnte.

 (Photo credit should read TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images)
Nur falls jemand fragen sollte: Der Regierende Bürgermeister von Berlin heißt Michael Müller, ist von der SPD und sieht so aus (TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images)

Apropos Party: Weiß irgendwer, wie der aktuelle Bürgermeister aussieht? Absolut kein Starappeal mehr vorhanden. Deswegen hat Wowereit vielleicht den Kulturstaatssekretär und ehemals Musikfirma-Chef Tim Renner hinterlassen. Wer von seinen alten Kumpels was auf sich hält, liked die angestrengt turnschuhhaften Facebook-Posts von Deutschlands Pop-Sekretär und ignoriert elegant Ausfälle wie den Vorschlag seiner Kanzlei im Rahmen der Olympia-Debatte, „Poesie in der U-Bahn, Graffitis an Hausfassaden und Streetdance in den Bezirken“ sollten olympisch werden.

Kollege Peter Trapp von der CDU machte ähnlich realitätsferne Politikversuche: Aus Jugendschutzgründen wollte er den Alkoholverkauf in Spätkäufen einschränken. Vor allem dort, wo der Alkohol billig ist, soll er nach 22 Uhr nicht mehr so leicht zu bekommen sein. Breit sein muss wieder mit Leistung zusammenhängen.

Der Angst vorm schwarzen Mann neuerdings wieder verständnisvoll begegnet

Überhaupt, Vertreibung: Inzwischen muss man auf Special-Interest-Veranstaltungen wie den Mai-Rummel in der Neuköllner Hasenheide gehen, um Menschen zu begegnen, deren Zähne nicht jährlich einer professionellen Reinigung unterzogen werden oder die eine andere Hautfarbe haben.

Denn in Kreuzberg wird der diffusen Angst vorm schwarzen Mann neuerdings wieder ganz verständnisvoll begegnet. Und wie sozial bereinigt es dort inzwischen ist, zeigt auch die nur leise Kritik an der Markthalle 9, die gerade versucht, einen Billig-Bekleider zu verdrängen, um noch mehr Regionales verkaufen zu können. Pizza heißt in einem Friedrichshainer Imbiss jetzt „Italian Streetfood“.

Berlin ist hinüber

Es gibt noch mehr Anzeichen dafür, dass die Stadt auf dem absteigenden Ast ist. Stadtplanung ist da immer wieder ein gutes Beispiel. Demnächst baut sich eine Automarke ihr eigenes Stadtviertel auf 6500 Quadratmetern. Mit Wasserspielen auf der gelabelten Piazza. Dort soll nicht nur eine Veranstaltungshalle namens „MusicBox“ entstehen, sondern auch 28 „Lifestyle Bowling“ Bahnen.

Berlin ist hinüber. Das könnte eine der besten Nachrichten für die Stadt seit Langem sein.

 

Dieser Text von unseren Kollegen der WELT erscheint mit deren freundlicher Genehmigung auf rollingstone.de.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates