Jüdischer Rapper Ben Salomo überlegt, Deutschland zu verlassen
Seit Jahren kämpft Ben Salomo gegen antisemitische Tendenzen in der HipHop-Szene.
Auf YouTube ist der Deutschrapper Ben Salomo schon lange eine gewichtige Stimme. Seine Sendung „Rap am Mittwoch“ ist stets auch eine Auseinandersetzung mit den gefährlichen ideologischen Tendenzen des Genres, geprägt von einem latenten Antisemitismus. Hoffnungen auf Besserungen hat er keine mehr, der Ausstieg aus der Szene ist für den Spross einer der ältesten Familien von Juden in Deutschland nur folgerichtig. Statt auf der Bühne zu stehen, geht er nun an Schulen und leistet dort Überzeugungsarbeit.
Die Hamas-Massaker vom 07. Oktober und die darauf folgende neue militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas, die in Deutschland zu einem Klima der Angst unter Juden geführt hat, ist für ihn ein Grund, darüber nachzudenken, das Land zu verlassen.
„Recycelt Deutschland die Niedertracht?“, heißt es in „Kämpf allein“, Salomos neuem Rap-Song, der auch als Aufforderung zu verstehen ist sich dem Hass entgegenzustellen. Für den 46-Jährigen Rapper ist die Sache klar: „’Free Palestine‘ ist ein Vernichtungsslogan“, sagt er in einem Podcast-Gespräch mit Mathias Döpfner, dem CEO von Axel Springer. „Das sieht man überall, wo er zum Ausdruck gebracht wird, ob nun mit oder ohne ‚From The River To The Sea‘. ‚Free Palestine‘ ist das neue ‚Vernichtet die Juden‘.“
Das neue Lied ist schon vor dem gewalttätigen Wiederaufflammen des Konflikts zwischen Israel und der Hamas entstanden, nachdem Kämpfer der Terrororganisation auf israelischem Gebiet mehr als 1000 Menschen töteten und Hunderte verschleppten. Für Salomo ist auch die Entwicklung in Deutschland keine Überraschung. Schon 2014 seien Menschen über den Kudamm in Berlin gefahren und hätten „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“, gerufen. Der „Dammbruch“ war für den Rapper ein Weckruf und bot Inspiration für den dunklen Titel seines Protestsongs. Salomo nennt auch wütende Mobs, die vor Synagogen Israel-Flaggen verbrannten als Beispiel dieser inzwischen immer häufiger gewordenen antisemitischen Aktionen.
Wie mit Antisemitismus umgehen?
In Deutschland gebe es allerdings keinen Konsens, wie mit Antisemitismus umgegangen werden muss, sagt Salomo. Er nennt als Beispiel ein Gerichtsurteil des Landgerichts Düsseldorf, wo eine judenfeindliche Hasshandlung – der Wurf eines Molotowcocktails auf eine Synagoge – als „zu weit gegangene Israel-Kritik“ eingestuft wurde. Es gebe eindeutig „historische Kontinuitäten“ zwischen dem Antisemitismus der Nationalsozialisten und der Situation heute.
Diese Entwicklungen betreffen natürlich auch den HipHop, weil hier seit Jahren zu sehen sei, so Salomo, wie sich das Genre „von seinen Ursprüngen entfernt“ habe. Gerade die gesellschaftliche Toleranz, also das, was man als „open minded“ bezeichnen könnte, etwas, das noch vor wenigen Jahrzehnten den Rap prägte, sei einer zunehmenden Radikalisierung der Gedanken gewichen.
„Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich mit Rap auch meine jüdische Identität ausdrücken möchte, und das wurde eben für manche auch ein Dorn im Fleisch.“ Inspiration schöpfe er dabei unter anderem auch aus der Sprache jüdischer Gebete, wie er sagt. „Rap ist erst einmal ein Werkzeug, um meine Gefühle zu verarbeiten“, so Salomo. „Wenn ich das Gefühl habe, mit dem, was um mich herum passiert nicht klarzukommen, dann schreibe ich Songs, sonst schlafe ich einfach schlecht. Ich bin einfach sehr aufgewühlt.“
Rap sei deswegen für ihn ein „Mittel der Selbstermächtigung“, auch um der (politischen) Ohnmacht im Angesicht des Zorns zu entgehen. Während „Kämpf allein“ die Wut über die eigentlich schon für erledigt erachteten Vernichtungsfantasien wieder ausbreiten, betonen andere Songs, wie etwa „Es gibt nur einen“, den Wunsch nach Frieden und interreligiöser Gemeinschaft.
„Das Ausbleiben der Empathie mit Juden ist aber auch ein gesamtgesellschaftliches Phänomen geworden“, sagt Salomo in dem Podcastgespräch, zurückkommend auf das Thema, das derzeit gesellschaftspolitisch immer brisanter wird. Es ziehe sich bis in intellektuelle Zirkel, wie man an dem Künstleraufruf sehe, für Frieden zu werben, ohne klar die Täter des Terrorangriffs zu benennen. An Universitäten höre man „Free Palestine“-Ausrufe; Feministinnen schwiegen über die Vergewaltigungen von Jüdinnen, obwohl diese Taten klar misogyne Verbrechen seien.
Die einseitige Vorstellung, dass die Palästinenser Opfer eines kolonialistischen Bestrebens Israels seien, sie zu unterdrücken oder gar aus der Welt zu schaffen, empfindet Salomo als direkte Folge einer giftigen Propaganda der Hamas und anderer palästinensischer Terrororganisationen. Die werde klar organisiert und mit viel Geld vor allem auch aus dem Ausland finanziert. Diese Organisationen täten seit Jahren alles dafür, sich als Opfer darzustellen, während sie die eigene Motivation für ihre Gewalttaten bewusst verschleierten: „Terroristen werden seit Jahren als Freiheitskämpfer verehrt“. Israel falle es schwer, die eigene jüdische Perspektive in die Welt zu tragen, allein schon aufgrund der geringen Bevölkerung.
Israel wird durch massive Propaganda zum Feind erklärt
Dass es sich bei der Unterstützung für Palästina um ein Zeitgeist-Phänomen handeln könnte, hält Salomo aber für zu einfach gedacht. Israel werde seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1968 als Militärmacht wahrgenommen, sei aber dennoch nach wie vor ein „David“ in der Region. „Hamas, Fatah und die anderen Terrororganisationen sind eigentlich nur die Krallen und Klauen des wahren Goliaths, und das ist das Mullah-Regime im Iran.“
Inzwischen sei dieses Bild aber umgekehrt worden. Israel erscheine plötzlich als übermächtig. „Die Menschen stehen gerne auf Seiten des Underdogs“, sagt der Rapper und glaubt, dass viele Rap-Texte wie eine Art Stimmgabel funktionieren, in denen antisemitische Klischees ausgebreitet und vor allem die Vorstellung genährt werde, man müsse Israel in die Schranken weisen. „Antisemitismus vernebelt den rationalen Menschenverstand“, deswegen sei es überhaupt erst möglich, dass so etwas wie Judenverfolgung, egal wo auf der Welt, existieren kann.
„Es müsste eigentlich das Zehnfache auf die Straßen gehen. Und weil wir Jüdinnen und Juden das nicht sehen, gibt uns das ein sehr düsteres Gefühl.“
Wo führt aber all das hin? Salomo ist skeptisch: „Wenn die Gesellschaft immer mehr von diesen Propaganda-Lügen toxisch aufgeladen wird, dann beginnt es mit uns Juden. Wir sind erst mal die ersten, die es trifft. Aber danach dann die nächsten, allen voran die liberale Demokratie, denn eine Gesellschaft, die an Lügen und Gerüchte mehr glaubt als an Fakten, ist eine Gesellschaft, die man destabilisieren, auseinanderreißen und in den Krieg stürzen kann.“
Aus diesen Gründen ist es für den Rapper auch ein Thema, Deutschland zu verlassen. „Freunde sind bereits ausgewandert, weil sie sich wegen des Antisemitismus hier nicht mehr wohlgefühlt haben“, sagt er. Manche würden mit dem Gedanken ringen, andere planten bereits konkret. Er sei gemeinsam mit seiner Frau, einer gebürtigen Kasachin, inzwischen der Ansicht, dass man Deutschland früher oder später verlassen werde, „wenn nicht irgendein Paradigmenwechsel“ geschehe. Er schaue sich bereits den Arbeitsmarkt in Israel an, um auf Nummer sicher zu gehen. „Es kann nicht sein, dass die größte proisraelische Kundgebung seit dem 07. Oktober eine ist, wo gerade einmal 10.000 Menschen dabei sind, gerade hier in Berlin, mit diesem ‚Nie wieder‘ als Gründungsmythos. Es müsste eigentlich das Zehnfache auf die Straßen gehen. Und weil wir Jüdinnen und Juden das nicht sehen, gibt uns das ein sehr düsteres Gefühl.“
(Anm. d. Red: Am vergangenen Sonntag kamen am Brandenburger Tor in Berlin zahlreiche Demonstranten zusammen, um unter dem Slogan ‚Nie wieder ist jetzt‘ gegen Israel-Hass aufzustehen; flankiert wurde die Veranstaltung von Reden vieler Prominenter und einem Konzert unter anderem mit Herbert Grönemeyer).
Das Gespräch von Ben Salomo mit Mathias Döpfner ist Teil der Podcast-Reihe „WELT talks“. Zu hören auf Spotify, Apple Podcasts, Amazon Music, Deezer und direkt auf der WELT-Website.