Ben Howard – In der Hängematte
Der britische Sänger und Songschreiber Ben Howard will nicht bloß knuffig sein.
„John Martyn is the boy!“ Boy? Auf den letzten Fotos vor seinem Tod lächelt einem der legendäre Folk-Gitarrist Martyn weißhaarig und ein wenig übergewichtig entgegen – dieser „Boy“, den Ben Howard mit leuchtenden Augen sein großes Idol nennt.
Düsterer als geplant sei sein Debüt geraten – und bei solchen Sätzen merkt man dann, dass man es mit einem jungen Mann zu tun hat. Düs-ter ist es gar nicht, eher gelassen. Melancholisch vielleicht an den Stellen, an denen Howard über die gute alte Zeit singt – die gute alte Zeit aus den babyblauen, jugendlich idealistischen Augen eines 23-Jährigen. Das Altern scheint tatsächlich ein drückendes Thema zu sein für den Jungen aus dem südenglischen Devon. „Ich habe oft Angst, zu schnell erwachsen zu werden. Als ich neulich auf einer Geburtstagskarte für ein kleines Mädchen unterschreiben sollte, schrieb ich nur:, Ich wünschte, ich wäre sechs!'“ Nicht um eitle Angst vor dem Altern handelt es sich, sondern um die vor der Vergänglichkeit; Angst davor, die Unbeschwertheit des Surfer-Daseins aufgeben zu müssen. „Ich bin noch immer ein Kind und fürchte mich im Dunkeln – in meinem eigenen verdammten Haus!“ Durch „Every Kingdom“ ziehen sich in neun von zwölf Songs Aussagen wie „I grow old in my ways“, „I lost my time here“ und „every story must grow old“. Man mag es weise nennen oder altklug.
Moderner als Gavin DeGraw, tiefer als Jack Johnson, verspielter als James Morrison, selbstverständlich besser als alles von James Blunt – obwohl Howards Stimme unglücklicherweise in einer bestimmten penetranten Frequenz an den populären Ex-Soldaten erinnert. Nun sind diese heiklen Stellen zum Glück selten, denn meistens klingt er eher nach Tracy Chapman. Dann wiegt Howards Stimme warm und wohlig dahin, wie die Hängematte unter der Kokospalme, die ganz entspannt der letzten Welle des Tages „Gute Nacht“ sagt.
Von einem Vergleich mit Blunt will der brave Brite mit dem verschmitzten Lächeln denn auch nichts wissen: „Ich würde lieber mit Bon Iver verglichen werden und bin ein großer Fan von James Blake – Leute wie die haben es geschafft, dass meine Generation wieder echte Musik hört.“ Auch die britische Antwort auf Jack Johnson will er nicht sein: „Mich frustrieren diese Surfer-Vergleiche und überhaupt alle Stereotypen. Alle Musiker sollten sich doch mit jedem Album weiterentwickeln – bis wir alle als Jazzer enden!“
In Falmouth studierte Ben Howard Journalismus, schrieb für eine Surf-Zeitschrift, nur um zu merken, dass er eigentlich „die Sache mit der Musik“ versuchen könnte. So schmiss er sechs Monate vor seinem Abschluss alles hin, gründete eine Band und tauschte Surfbrett gegen Akustikgitarre. Er surft zwar noch immer, wird auch von einer Surf-Marke ausgestattet, doch die sportlichen Ambitionen waren nie so ausgeprägt wie die musikalischen. „Ich hatte meinen ersten bezahlten Gig und dachte mir:, Hey, cool, das mache ich jetzt jeden Tag!‘ Ich war total naiv und dachte, nach ein paar, Open Mics‘ kriege ich einen Plattenvertrag.“
Ganz verblasst ist diese kindliche Naivität, mit der Howard spielend jede Schwiegermutter becircen könnte, noch nicht. Sieht man dem britischen Jüngling zu, wie er so zufrieden in seinem Milchreis stochert, wünscht man sich, Unbeschwertheit wäre eine ansteckende Krankheit.
Ansteckend und massentauglich ist jedenfalls seine Musik. So stand auch am berühmten Glastonbury-Festival Howards Name im Programm. „Ich würde nicht sagen, dass ich beim Glastonbury gespielt habe: Ich war irgendwie da, aber meine Bühne war winzig, der Gig war scheiße, und das einzig Gute war, dass ich Neil Young gesehen habe.“ Andere Newcomer wären bereits abgehoben mit einem Debüt auf Platz sieben der britischen Albumcharts, aber Ben Howard nimmt man es ab, dass es ihn selbst am meis-ten überrascht, wie ihm alles in den Schoß zu fallen scheint.
Im Konzert singt Howard sogar besser als auf den Aufnahmen, und das liebliche Cellospiel von Kollegin und bester Freundin India Bourne geht nicht im großen Arrangement-Ozean unter. Girls mit sonnengeküsstem Haar und Jungs in Hoodies und Häkelmützen singen „Love, Love, Love“ und träumen sich im nasskalten Winter gemeinsam ins Sommercamp zurück.