Ben Folds – Rockin‘ The Suburbs
Eine neue Folge aus unseren geschätzten Rubrik Wiederhören: Max Gösche widmet sich seinem liebsten Solo-Album von Ben Folds.
Leider hat Ben Folds auf das Überkandidelte, Durchgedrehte auf seinen letzten Platten verzichtet, wohl vor allem, um sich einem gesetzteren, ungleich reiferen Songwriting zuzuwenden. Ein bisschen langweilig und uninteressant ist er dadurch geworden. Aber zur Erinnerung: Einst hatte Folds den gemeinen Rockhörer mit der ihm eigenen Ironie verhöhnt, denn er war ja eh der coolste, genialste, mit schelmischer Lässigkeit inszenierende Troubadour. Zudem der leichthändigste, ausgebuffteste Songwriter seiner Zeit. Ben Folds war der Billy Joel für Nerds, für passionierte Chucks-Träger, fürs popaffine Slackertum. Mit dem fulminanten Trio Ben Folds Five nahm er zwischen 1995 und 1999 drei wunderbare Platten auf. Songs wie „Philosophy“ oder „Fair“ hört man in den USA heute auf jedem Schulhof.
Mit „Rockin‘ The Suburbs“ wagte sich Folds aus dem Schatten seiner Band und zugleich aus dem Schatten der 90er-Jahre hervor. Es ist bis heute sein künstlerischer Höhepunkt, sein Meisterwerk, wenn man so will, obwohl sich diese von Spätadoleszenz befeuerten Songs solch hermetischen Begriffen entziehen. Und es ist die vielleicht schönste Coming-Of-Age-Platte überhaupt. „Everybody knows it hurts to grow up but everybody does/ It’s so weird to be back here/ Let me tell you what the years go on and we’re still fighting it/ And you’re so much like me/ I’m sorry“, schwankt er in „Still Fighting It“ zwischen Melancholie und Lakonik. In anderen Songs wie „Fred Jones Part 2“, „Losing Lisa“ und „The Luckiest“ bläst er einen heiteren Trübsinn. Folds erweist sich als Spezialist darin, selbst schwerblütige Balladen mit einer gewissen Easy-Listening-Qualität auszustatten.
Es gibt auf diesem Album Momente von überwältigender Schönheit. „Carrying Cathy“ wendet sich vom scheinbar harmlosen Elton-John-Präludium in ein dramatisches Streichorchesterwerk – ein schwelgerisches, schunkelndes Monstrum. Und es gibt den großartigen Radau „Rockin‘ The Suburbs“. Stundenlang könnte ich mich über diese herrliche Rage-Against-The-Machine-Crossover-Nu-Metal-Rundum-Persiflage amüsieren. Dass Folds als Titeltrack ausgerechnet das trashigste, ironischste, aber eben auch unsubtilste Stück ausgewählt hat, verrät einiges über seine Mentalität: die Haltbarkeit seiner eigenen Kunst ist ihm herzlich egal. Wer Songs wie „Zak And Sara“ aus dem Ärmel schütteln kann, muss sich um die Verpackung nicht scheren. Diese Songs führen ein Eigenleben, gerade weil sie – trotz aller Perfektion – etwas angenehm Unvollendetes haben.
Manch einer mag es kaum fassen, dass „Rockin‘ The Subrbs“ bereits in der Rubrik „Wiederhören“ auftaucht – ja, so weit zurück liegt, um unter den hier versammelten Elefanten gewürdigt zu werden. Jene dürfen jetzt auch mal eine Träne in Erinnerung an die längst verlorene Unschuld vergießen.
„Rockin‘ The Suburbs“ erschien ausgerechnet an jenem schwarzen Tag der Geschichte, als die Türme des World Trade Centers und mit ihnen der Stolz einer Nation in sich zusammen fielen. So gesehen ist die Platte auch ein letztes Artefakt popmusikalischer Unbeschwertheit. Doch die schuldigen 00er-Jahre sind passé, der King Of Pop ist History. Heute klingt Fortschritt mehr denn je nach Vergangenheit. Modern ist, wer zu zitieren weiß. Deshalb Kids: Ladet euch „Rockin‘ the Subrubs“ auf eure portablen Musikabspielgeräte und der folgende Vers wird euch ein treuer Begleiter sein: „I got shit running through my brain/ So intense that I can’t explain/ All allone in my white boy pain/ Shake your booty while the band complains/ I’m rockin‘ the suburbs/ Just like Michael Jackson did/ I’m rockin‘ the suburbs/ Except that he was talented.“
Epic / Sony Music, 2001