Bela B. wie Bartok
Als mobiles Guerilla-Orchester gegründet, heute die beste deutsche Power-Folk-Band - ein Besuch bei den 17 Hippies in Berlin
In einer alten, stillgelegten Brauerei, mitten in Berlin-Prenzlauer Berg, sitzen 13 Hippies und machen Musik. „The Moving Song“ heißt das Lied, das man gerade hört, ein Cajun-Stück, durch das die Wehmut einer indischen Shruti-Box weht. Ein auf absurde Art gutes Gefühl, zwischen den probenden Musikern ?u sitzen, während draußen langsam die Dämmerung über Berlin kommt: Der gemeinsame Klang von so vielen unterschiedlichen Instrumenten hat etwas Überwältigendes, aber auch Wärmendes. Violinen, Cello, Trompete, Klarinette, Tuba, Gitarren, Bass, Ukulele und viele exotische Gerätschaften mehr. Apropos Hippies: Nicht alle von ihnen sehen so aus, die wenigsten sind welche, doch sie heißen nun mal so. 17 Hippies. Früher waren es mehr Bandmitglieder, manchmal über 20, und über den komischen Namen haben sie nie wirklich nachgedacht. „Wir sind keine Weltmusik-Kasper“, betont die Sängerin und Akkordeonspielerin Kiki Sauer, und ihr Kollege, der Gitarrist und Sänger Dirk Trageser, weiß: „Mit traditioneller Musik ist es ähnlich wie mit der katholischen Kirche: Die hat 2000 Jahre Tradition, und ob du daran glaubst oder nicht – am Ende einer Christmette bist du ergriffen. Die wissen einfach, was funktioniert.“
Die Hippies auch. Der Band, die nach einer Reihe von Live-Alben, Projekten und dem zu Recht gefeierten Soundtrack zu Andreas Dresens „Halbe Treppe“ gerade ihr zweites Studioalbum „Heimlich“ veröffentlicht hat, geht es nicht um die werkgetreue Aufführung von folkloristischem Liedgut – sie wollen Leidenschaft. Drama und Party in einem. Sie sind Verwandte von Los Lobos, Mano Negra und den Pogues.
Einige der Musiker kommen aus klassischen Orchestern, andere vom Jazz, viele haben lange Jahre gerockt. Einer, der ehemalige Agitation Free- und Ashra Temple-Gitarrist Lutz „Lüül“ Ulbricht, steht in Japan sogar als Wachsfigur in einem Museum. Mit Christoph Blenkinsop, Kiki Sauer und Carsten Wegener hat Lüül 1995 die 17 Hippies gegründet. Als mobiles Einsatzorchester, das auf Verstärker verzichtet, um beweglich zu sein.
„Wir spielen oft an ungewöhnlichen Orten, in Scheunen, bei der Berlinale-Abschluss-Gala, bei Beerdigungen oder auf superschicken Bertelsmann-Parties mit der ganzen RTL-Prominenz“, sagt Sänger und Gitarrist Christoph Blenkinsop. Lüül erinnert sich auch an die Risiken solcher Guerilla-Gigs: „Wir haben mal in einem Altersheim gespielt, doch auf die schlimme Situation der Menschen dort waren wir nicht vorbereitet. Eine alte Frau hat während unseres ganzen Auftritts geweint. Anfangs glaubte ich, sie sei so ergriffen. Später stellte sich heraus, es war ihr erster Tag in diesem Heim, und sie war erschüttert von der Realität.“
Die Idee zu einem für jedermann offenen Orchester, das um des Spielens Willen spielt und nicht für eine Karriere im Pop, kam Christoph Blenkinsop bei Aufenthalten in anderen Ländern. In Irland oder den USA würde Musik nicht so passiv konsumiert wie hierzulande, glaubt er: „Als ich mit Freunden in New Orleans auf einem Konzert war, sprach uns jemand an: ‚Ihr seid bestimmt Deutsche!‘ Wir sagten: ‚Ja, warum?‘ Und er: ‚Hier sind zweieinhalbtausend Leute, und ihr seid die einzigen, die nicht tanzen. Ihr seid Publikum, ihr guckt nur zu.'“
Das ließ Blenkinsop nicht auf sich sitzen. Seitdem sehen er und die 17 Hippies Musik als „Gebrauchsgegenstand“, etwas, „das so alltäglich ist und so sehr zum Leben gehört wie Essen, Trinken und Ficken“. Da wird – wie bei echten Punkbands – das Expertentum verweigert, werden Instrumente herumgereicht. Anfangs war bei Konzerten sogar der Eintritt frei.
Schon die frühe (1998 zunächst als Tape veröffentlichte) Live-CD „Rock’n’Roll 13“ lässt viele der momentan so angesagten Balkan-Pop-Fusionisten alt aussehen, denn man glaubt, einen Wirbelsturm zu erleben, der sich hemmungslos seinen Weg bahnt durch Kneipen und Clubs. Es ist ein wilder Mix aus französischen, jüdischen, ungarischen und anderen Liedern und Tänzen, der in dem alten transsylvanischen Stück „Csillagok“ gipfelt, dem schon Bela Bartok verfiel und das so romantisch klingt, als sei es tausend Tränen tief.
Heute schreiben die 17 Hippies ihre Lieder selbst, „Heimlich“ ist sogar im eigenen Studio entstanden und wird von der eigenen Plattenfirma veröffentlicht. Die Wildheit der frühen Tage hat einer größeren, weltgewandten Komplexizität Platz gemacht. Jazz ist in ihren Stücken präsenter denn je, in den Arrangements scheint mehr Klassik durch, die Folk-Einflüsse werden kleinteiliger, und auch ohne Schlagzeug spürt man eine Liebe zu der Sorte Rock-Pop, wie ihn der Freund und gelegentliche Mitmusiker Jakob Ilja mit Element Of Crime pflegt.
Wir wollen es mal so nüchtern wie möglich formulieren: 17 Hippies sind eine der aufregendsten Bands, die es zurzeit in Deutschland gibt. Und wer sie verpasst, ist selbst schuld.