Begrenzte Nähe
Paul Smith lotet mit Maximo Park Untiefen im Geschlechterkampf aus.
Vor einigen Monaten bestieg Paul Smith einen Zug. Der Sänger der Multiplatin- und Großarenen-Band Maximo Park hatte eine Fahrkarte zweiter Klasse gebucht und reiste nun vom heimischen Newcastle nach Glasgow — allein, das war ihm wichtig. Denn Smith hatte einen besonderen Termin, und da wollte er sich nicht ablenken lassen. Am Ziel angekommen, stieg er in einem einfachen Hotel ab, nahm ein ebensolches Zimmer—und besuchte am Abend ein Konzert von Robert Forster.
Doch statt, wie man vielleicht denken könnte, anschließend forsch Einlass in Forsters Garderobe zu begehren, um dem Idol seiner Jugend wenigstens einmal die Hand zu schütteln, ging Smith nach dem letzten Akkord zurück ins Hotel und trat am nächsten Morgen zufrieden und glücklich die Heimreise an. „Meine Popularität auszunutzen, um mir bei Forster einen Vorteil zu verschaffen, hätte ich als respektlos empfunden“, erklärt der glühende Go-Betweens-Verehrer im Spätwinter in München. „Immerhin reden wir hier über Robert Forster! Vermutlich hätte ich vor lauter Ehrfurcht den Mund nicht aufgekriegt.“
Den letzten Satz sollte man vielleicht zweimal lesen: Kommt er doch von einem Mann, der bei Konzerten seiner Band wie ein entfesselter Springinsfeld das Publikum mobilisiert und den man für alles Mögliche gehalten hätte, nicht aber für schüchtern und sensibel. Ist Paul Smith, diese dauerhaft aufgezogene Euphorie-Wumme, am Ende doch einer für die leisen Zwischentöne?
Für die meisten Leute sind Maximo Park ja so eine Art Indie-Rock-Version von Coldplay – und Paul Smith ein Mann für alle. Das hat ihnen einen gewissen Vorteil gesichert. Während die Mitbewerber reihenweise ihre Zweitwerke in den Sand setzten, ging es für Maximo Park, dank der Akzeptanz der Massen, geradewegs in die großen Hallen. Ein Breitenerfolg, den sie vermutlich noch ein ganzes Stück weiter hätten ausdehnen können. Aber einerseits wollten sie die – intakte – Bandchemie nicht gefährden und dann fühlten sie sich mit nur zwei Alben im Rücken auch nicht gerüstet für monatelange Welt-Tourneen. „Vor einigen Jahren sah ich die Strokes als Headliner beim ,T In The Park‘-Festival“, erinnert sich Schlagzeuger Tom English. „Sie hatten gerade ihr zweites Album veröffentlicht. Also spielten jeden einzelnen verdammten Song, den sie bis dahin geschrieben hatten. Ich mag die Strokes, aber jeden Song?!“
So wollten es Maximo Park nicht machen. Am 15.12.2007 spielten sie ein demnächst auf DVD erscheinendes sogenanntes „Homecoming Concert“ in Newcastle, machten danach einige Tage Pause — und sich dann wieder an die Arbeit. Bei einem Spaziergang hatten sie ein etwas heruntergekommenes stillgelegtes Bürogebäude entdeckt. Hierhin verschafften sie nun ihr Equipment, richteten sich ein Studio ein und arbeiteten erste Ideen für ihr drittes Album „Quicken The Heart“ aus, die sie schließlich im Oktober letzten Jahres mit Produzent Nick Launay in Los Angeles verfeinerten und aufnahmen. Auf Launay waren sie durch dessen Arbeit am letzten Grinderman-Album gekommen — Nick Cave ist so ziemlich der einzige Musiker, auf den sich Smith, English sowie Duncan Lloyd, Archis Tiku und Lucas Wooller einigen können.
Schon früh wurde die musikalische Ausrichtung des Albums gemeinsam diskutiert. Freilich ohne revolutionäre Absichten, wie Smith erklärt: „Am besten sind wir wohl darin, einfache, direkte Pop-Songs zu schreiben. Es gibt ein paar Grundregeln: Keine Soli, keine Jams lass den Song für sich sprechen. Wir kamen also überein, das auch weiterhin zu tun und nicht groß rumzuexperimentieren. Das erlaubt aber trotzdem eine Entwicklung die Atmosphäre, Texte und Melodien betreffend.“
Ein durchaus löbliches Vorhaben. Im Ergebnis jedoch hat „Quicken The Heart“ zwar starke Einzelsongs wie „Calm“ oder „Questing, Not Coasting“. Diese fügen sich aber weitaus weniger zu einem homogenen Ganzen, als das zuletzt beim extrem dichten Zweitwerk „Earthly Pleasures“ der Fall war. Auch wenn es sparsame Neuerungen gibt, wie die flirrenden Glasvegas-Gitarren am Ende der ersten Single „The Kids Are Sick Again“, hat man Endorphin-getriebene Himmelsstürmer wie „The Penultimate Clinch“ inzwischen doch ein paar Mal zu oft gehört von dieser Band – und meistens leider besser.
Spannend trotzdem auch jetzt, wie bei Maximo Park stets die aufgeladene Musik das sehnsuchtsvoll-romantische Element der Texte konterkariert. So ist
„Apply Some Pressure“ weit mehr als nur der Titel eines frühen Songs. Smith und die Seinen verstehen den Slogan vielmehr als die simple, nun ja, Maxime von Maximo Park. Stets vermittelt Smith in seinen Texten das Bild eines chronisch liebeskranken großen Jungen im Spielzeugladen. Hauptthema: verwirrte Gefühle im Geschlechterkampf aus der Perspektive des unverbesserlichen Romantikers, jedoch selten mit HappyEnd. Und da schafft die Musik eben ein positives Gegengewicht, fungiert gewissermaßen als Druckausgleich.
In „Wraithlike“, dem ersten Song des Albums, eröffnet die Zeile „A list of wraithlike things that quicken the heart“ eine weitere Episode über die Schmerzen des Verlassenwerdens. Die „wraithlike things“ sind dem offenbar esoterisch angehauchten Smith hier das geistige Rüstzeug, um in solchen Situationen nicht unterzugehen. „In schwierigen Phasen ist es für mich wichtig, die Erinnerung nicht abzutöten, aber auch nicht an ihr zu zerbrechen. Nur wenn ich mich mit den Dingen, die passiert sind, auseinandersetze, kann ich etwas Neues schaffen. In einem guten Maximo Park-Song werden die Fragen, die ich in den Texten stelle, von der Musik der Anderen beantwortet. Und das beschleunigt mein Herz, it quickens the heart.“
Eine typisches Motiv für die Vorgehensweise des romantischen Volksdichters Paul Smith ist das erwähnte „The Kids Are Sick Again“. Hier wirft er gleich zu Beginn ein starkes Bild an die Wand, das zwar nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Subtext des Liedes steht, diesen aber hinreichend illustriert und so von Beginn an verdeutlicht. „The comforting ache/ Of the summer holidays/ Pointless days pining, afternoons whining“, singt er —und beschreibt vordergründig die gemischten Gefühle eines Kindes, das während der Sommerferien zu Hause bleiben muss und sich gleichzeitig frei und verlassen fühlt – weil die Freunde natürlich alle verreist sind. Eigentlich meint er aber die überaus konfliktbehafteten Irrungen und Wirrungen der Adoleszenz. „Für uns Erwachsene birgt das Neue stets auch Verzweiflung und Gefahr. Wir sind unsicher, wenn wir nicht auf Routinen zurückgreifen können. Kinder gehen mit solchen Dingen viel unbefangener um, aber leider lässt sich das nicht konservieren. Dabei ist es doch das, was das Leben ausmacht: Barrieren durchbrechen, Hemmungen umgehen, Neues probieren.“
Im Folgenden lässt sich der Song auch als poetische Beschreibung einer weiteren traumatischen Trennung deuten. Wenn er singt „I don’t mind, losing self respect/ I’ve done it before/And I’ll do it again“, hat Smith erkannt, dass Stolz ein Luxus ist, den man sich kaum erlauben kann im Angesicht einer gescheiterten Liebe. Zumindest nicht, wenn man noch irgendwelche Hoffnungen hegt. „Dann bleibt einem nichts anderes übrig, als die Karten auf den Tisch zu packen. Auch wenn man sich dabei wie ein kompletter Idiot vorkommt.“
Das sei immer noch besser, als zu erkennen, dass man den Menschen, der einem vermeintlich am nächsten war, eigentlich gar nicht kennt. „Still I never know what’s inside your head“, stellt der Protagonist in „I Haven’t Seen Her In Ages“ fest, dem letzten Song auf „Quicken The Heart“. Smith erklärt: „Selbst wenn man ewig mit jemandem zusammen ist, lernt man ihn doch nie so gut kennen, wie man gerne würde. Nähe ist zwischen zwei Menschen nur begrenzt möglich. Das ist eine der deprimierendsten Einsichten überhaupt. Wenn man es aber schafft, irgendwie weiterzumachen und gewisse Dinge zu akzeptieren, fällt es leichter, dieses Leben zu leben, sich ein bisschen Hoffnung zu bewahren.“
Denn letzten Endes ist Paul Smith natürlich ein Mann, der die unverrückbaren Gesetzmäßigkeiten des Lebens wohl oder übel beinahe genauso zu respektieren gelernt hat, wie er Robert Forster respektiert.