„Becoming Led Zeppelin“: Überwältigende Doku aus der alten Rock-Burg

„Becoming Led Zeppelin" zeigt, wie aus vier sehr verschiedenen Typen die größte aller Rockbands wurde

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Als vor einigen Monaten die erste autorisierte Dokumentation über Led Zeppelin angekündigt wurde, dachte ich noch, dass es eigentlich nichts gibt, was dem Zeitgeist weniger entspricht als diese Band.

All die in aufgeklärten Diskursen angebrachten Kritikpunkte und durch den Fall Rammstein wieder virulenten an Rockmusik – kulturelle Aneignung, Sexismus, Machtmissbrauch, minderjährige Groupies, Gewalt etc. – scheinen auf diese Band zu passen. Und, ja, vermutlich ist das genau der Grund, warum sie in den Siebzigern die größte Rockband des Planeten wurden.

Nun sind plötzlich Sexismus, Machtmissbrauch und männlich-weiße Überlegenheitsgesten in der amerikanischen Politik wieder auf der Tagesordnung. Und ein Led-Zeppelin-T-Shirt ist sowas wie der Tesla des kleinen Mannes.

Zurück aus der Gruft

„Becoming Led Zeppelin“ erzählt natürlich nichts von all dem. Denn es ist die Band, die hier erzählt. Der diabolische und eitle Jimmy Page, der joviale Robert Plant und der verschmitzte John Paul Jones sprechen getrennt von einander jeweils in dunklen Holzstühlen mit geschnitzten Ornamenten sitzend. So als seien sie jeweils ihrer luxuriösen Privatgruft in einer krähenumschwärmten englischen Burg entstiegen, um noch einmal die alten Geschichten zu erzählen. Und auch der Geist von John Bonham spukt in Form eines nie zuvor gehörten Interviews durch die Räume und zaubert ab und zu ein Lächeln auf die Gesichter seiner ehemaligen Bandkollegen.

Explosive Mischung

Der Clou von „Becoming Led Zeppelin“ ist, wie der Titel schon verrät, dass hier eine Band im Werden gezeigt wird. Dass wir anhand von fabelhaft recherchiertem und montiertem Archivmaterial ein Gespür für die Stimmung im Nachkriegsengland bekommen und die individuellen Geschichten der vier Männer nachverfolgen können. Wir sehen, wie sich im Kopf des professionellen Virtuosen Page eine Band formt, weil man als Studiomusiker niemals ein angebeteter Gott sein kann. Wie der ebenfalls schon etablierte Jones ihm in dieses Abenteuer folgt. Wie der Drifter Plant seine letzte Chance gekommen sieht, nicht auf der Straße zu landen und seinen bereits gesettelten Freund John Bonham gegen den Willen von dessen Frau überredet, sich anzuschließen. Wir lernen die Rezeptur dieser explosiven Mischung kennen, bevor dann alles im August 1968  in einem Keller in der Londoner Gerrard Street zusammengeschüttet wird.

Es dauerte allerdings eine Weile, bis es zündete. Denn die Welt schien noch nicht bereit. Der amerikanische ROLLING STONE verriss das erste Album und in der Heimat schien man die Band, die sich weigerte, eine Single zu veröffentlichen, weitgehend zu ignorieren. Bis durch eine lange US-Tour erst zunächst der Wille der US-Rockfans gebrochen und schließlich mit dem zweiten Album und der mächtigen Single „Whole Lotta Love“ auch die britische Heimat erobert wurde. Der Film endet mit einer triumphalen Heimkehr: einem umjubelten Konzert in der London der Royal Albert Hall.

Rockgötter auf der Wolke

Im zweiten Teil des Films setzen Regisseur Bernard MacMahon („American Epic“) und Co-Autorin Allison McGourty vor allem auf Überwältigung, zeigt die Band in Aktion, lässt lange Performances von Songs wie „How Many More Times“ und „Dazed In Confused“ sprechen. Schon beeindruckend, wie der Sound einen in den Kinosessel drückt – aber die Bilder offenbaren zugleich, dass diese Band unfähig scheint, Kontakt zum Publikum aufzunehmen. Alle spielen für sich, Plant hat die Augen geschlossen. Rockgötter auf einer Wolke, unter ihnen die sie anbetende Gemeinde.

Für die Fans ist „Becoming Led Zeppelin“ ein Ereignis. Wer nicht zu dieser Gemeinde gehört, wird die Band nach „Becoming Led Zeppelin“ vermutlich keinen Zentimeter mehr lieben (see, what I did there?), aber er oder sie wird sie sehr viel besser verstehen. Und es ist gerade in Zeiten wie diesen wichtig, den Feind zu kennen.