Beatsteaks – Ungleiche Familie
Seit 15 Jahren gelingt es den Beatsteaks, aus hochverschiedenen Charakteren ein Kollektiv zu formen. Das Geheimnis ihres Erfolgs?
Als ich vor vielen Jahren auf der Suche nach einer Band war, empfahl man mir diese beiden tollen Musiker, die vor nicht allzu langer Zeit aus dem Süden der Republik nach Berlin gezogen waren. Man traf sich, und einer von ihnen, der Schlagzeuger, spielte mir einen Song vor, in dem es darum ging, in der U-Bahn beim Schwarzfahren erwischt zu werden. Wenn ich mich recht entsinne, hieß die Nummer x{2212} in einer Anspielung auf das Logo der Berliner Verkehrsbetriebe x{2212} „Bear With The Crown“, was ein leider nur mittelguter Titel für einen allerdings ziemlich guten Song war. Der Name des Schlagzeugers war Thomas Götz, und bereits damals hatte dieser Mann ein für Vertreter seines Standes eher ungewöhnliches Händchen für herausragende Melodien.
Ungefähr zur gleichen Zeit veröffentlichte eine andere Berliner Amateur-Band ihr erstes Album. Die Beatsteaks gab es seit etwa zwei Jahren, sie hatten einen Wettbewerb gewonnen, sich erste Meriten erspielt – und nun ihr Debüt „49/49“ aufgenommen. „Dilettantisch und Hobbyband-mäßig“, wie Arnim Teutoburg-Weiß heute sagt. Es deutete damals tatsächlich nicht viel darauf hin, dass ausgerechnet die Beatsteaks in den Jahren danach eine der erstaunlichsten Karrieren der deutschen Pop-Geschichte hinlegen sollten. Ganz langsam, Stück für Stück entwickelten sie sich von einer mitreißenden Live-Sensation zu einer auch im Studio immer besseren Band – und dann kam „Smack Smash“. Jenes 2004 erschienene Album änderte alles. Es etablierte die Beatsteaks nicht nur als gold- und platindekorierte Erfolgsband – mit ihm vollzogen sie auch endgültig den Schritt von einer guten Punkband hin zu einer Gruppe aus fünf sehr unterschiedlichen und offenen Musikern, bei denen im Prinzip alles erlaubt ist.
Wenn man es platt kategorisieren wollte, wäre Bassist Torsten Scholz HipHop, Gitarrist Bernd Kurtzke Punk, Schlagzeuger Thomas Götz Rock, Gitarrist Peter Baumann Rock’n’Roll und der Sänger Arnim Teutoburg-Weiß von allem ein bisschen x{2212} und vor allem Depeche Mode. „Wenn ich mir eine Band wie AC/DC angucke, sehe ich fünf Rocker“, erklärt Teutoburg-Weiß. „Bei uns hingegen sehe ich fünf sehr unterschiedliche Herren. Vom Outfit her, aber auch vom Musikgeschmack. Und da wir gemeinsam irgendwo ankommen wollen, müssen eben auch ganz viele unterschiedliche Einflüsse einbezogen werden. Wenn wir in der Entstehungsphase einer Platte etwas entdecken, das wir auf den Alben davor für unsere Begriffe schon gut abgearbeitet haben, wird das gleich wieder verworfen oder anders gemacht. Wir sind eine neugierige Band.“
Gemeinsam angekommen sind sie auch diesmal. Als Scholz und Teutoburg-Weiß uns vergangenen November eine erste Auswahl jener Songs vorspielen, aus denen einmal das sechste Beatsteaks-Album, „Boombox“, werden wird, hören wir das wohl vielseitigste Material, das diese Band bislang aufgenommen hat. Die hörbaren Einflüsse der einstigen Hauruck-Punks reichen heute von den Talking Heads zu The Smiths, von Sublime zu Slayer, von Indielectro zu Stadion-Rock.
Einen entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung hat jener Schlagzeuger, der einst ein Lied über das Schwarzfahren in der Berliner U-Bahn schrieb. Thomas Götz schloss sich der Band 1998 an, in den letzten Jahren hatte er einen immer größeren Einfluss auf das Songwriting der Berliner. Für „Boombox“ schrieb Götz nun so viel wie noch nie. „Thomas bricht oft das Eis, weil er den größten Output hat“, bestätigt Teutoburg-Weiß. „Er bringt extrem viele Ideen mit, und das spornt uns andere an. Man muss eine Competition anschieben in dieser Band, um die besten Ergebnisse zu erzielen.“
Während das Interview geführt wird, ist die Arbeit an „Boombox“ immer noch nicht abgeschlossen. Nach der bislang längsten Pause der Bandgeschichte brauchten die Musiker eine Weile, um das zum mittelständischen Betrieb gewachsene Unternehmen Beatsteaks wieder flottzumachen. Mit ersten Studio-Versuchen war die Band nicht zufrieden, aufgenommen hat sie das Album im für diese Zwecke entsprechend umgerüsteten eigenen Proberaum. Übrigens abermals mit Unterstützung von Produzent Moses Schneider, dessen Einfluss jedoch geringer war als bei den letzten Alben.
„Moses sagt das schon lange: ‚Macht Musik da, wo sie Spaß macht, dann ist sie gut'“, sagt Götz. Diese Vorgabe konsequent umzusetzen, haben sie sich erst nicht getraut. Als es dann aber Anfang 2010 ins Studio ging, klangen die Ergebnisse lange nicht so gut wie die zuvor aufgenommenen Demos. Also haben sie bandintern alle Aufgaben für die Produktion verteilt und sich selbst ans Werk gemacht. Teutoburg-Weiß schüttelt den Kopf: „Ich will gar nicht wissen, wie viele gute Lieder in den 70er-Jahren an den Plattenfirmen gescheitert sind, heute kannst du alles selbst machen und direkt raushauen. Die Möglichkeiten sind gestiegen, ein guter Song findet seinen Weg.“
Den letzten Schliff verlieh dem Werk dann aber doch ein großer Mann der alten Schule: Nick Launay hat in seiner langen Karriere unter anderem mit Lou Reed, Arcade Fire und Nick Cave gearbeitet, vor einiger Zeit empfing er Teutoburg-Weiß und Götz in Kalifornien. Man verstand sich prima, die Musiker blieben zwei Wochen, aber da Launay überaus akribisch und ausschließlich analog arbeitet, werden zum Zeitpunkt des Gesprächs immer noch Nacht für Nacht letzte Feinheiten per Skype abstimmt.
„Ich wünschte, wir wären gerade auf einer richtigen Promotour“, sagt Teutoburg-Weiß. „Die Platte wäre fertig, wir könnten jeden Abend nach den Interviews einen trinken gehen und uns erzählen, was sonst noch so läuft. Aber: Wir sind noch mittendrin, es geht hin und her. Die letzten beiden Tage waren gut, aber heute Morgen war es katastrophal. Trotzdem gibt es kein Leider. Das ist der Job, und am Ende stehen wir in der Wuhlheide, und alles ist super.“
Denn dort, in der Berliner Wuhlheide, spielen die Beatsteaks im Sommer zwei Konzerte ihrer bislang größten Tournee.