Beam me up! Die Rückkehr zu Planet Pop
Die Gesetze von Raum und Zeit sollten selbst Pop-Götter nicht ignorieren. BLONDIE wollen die Ausnahme von der Regel sein, aber auch sie sehen sich von Zweiflern und Häschern umringt.
Kann es sein, daß die vielbemühte biologische Uhr nicht nur für teutonische Ausnahmefußballer, sondern auch für amerikanische Ausnahmetrommler langsamer tickt?
Gern Burke sieht aus, als sei er einer Zeitmaschine entsprungen, die einige der letzten 20 Jahre einfach ignoriert hat Was um so augenfälliger wird, als ihm gegenüber ein wuseliger Pop-Professor mit schütterem Grauhaar kauert Doch Chris Stein ist geistig gleich voll da, wenn der Reporter Ihres Vertrauens das richtige Thema auftischt Etwa das Repertoire des Blondie-Konzerts am Vorabend.
„Kein einziger Song von ‘Plastic Letters‘ sagst Du? Stimmt das, Clem? Tatsächlich! Völlig ignoriert Na, das ist ja wenigstens mal ein neuer Ansatz! Bisher kamen sie nur und maulten rum, daß wir das verdammte ‘Denis‘ nicht gespielt haben. Aber damit sind wir einfach durch.“ Burke assistiert fast entschuldigend, ihnen sei nicht klar gewesen, daß die Nummer hier so populär war. Nach dem Konzert in Stockholm machte eine Zeitung gar mit der Headline „Kein ‘Denis‘ von Blondie!“ auf. Ist ja auch schon etwas länger her.
Der Girl-Pop-Knaller vom zweiten Album ‚Plastic Letters‘ stieß 1978 die Tür nach Europa weit auf. In den USA konnte die New Yorker Formation den engen Punk-Schuppen CBGB’s erst ein Jahr später mit „Parallel Lines“ und der Hit-Single „Heart Of Glass“ hinter sich lassen – die sinnigerweise just im Soundtrack zum „Disco 54“-Film recycelt wurdeDisco? „Wir hatten damals gewiß nicht die Bee Gees im Sinn“, spottet Stein, eher „ein Cyber-Techno-Ding“.
Burke spricht von dem Versuch, „Kraftwerk mit den Mitteln einer traditionellen Band nachempfinden“ zu wollen, und rekapituliert beglückt ein Treffen mit dem inzwischen verstorbenen Produzenten Conny Plank anno 1980. „Er erzählte mir, wie stolz er sei auf ,Heart Of Glass‘, weil er die Inspiration dahinter sah. Wir hatten ihm sozusagen seine Musik zurückgebracht und gleichzeitig einen ausgewachsenen Hit gelandet“
Dennoch fiel ’83 erst mal die Klappe. Stein lag streß- und genbedingt mit kollabierendem Immunsystem „völlig darnieder“, doch Hauptgrund für den Split sei „der ganze Mist von außen“ gewesen. Sprich: Auch Blondie ließen sich schlecht managen und machten dabei „einige Leute ziemlich reich“ (Stein), sahen aber selbst nur einen Bruchteil des Geldes, das ihnen nach 40 Millionen verkauften Alben und weiteren Hits wie „Call Me“ (aus dem „American Gigolo“-Soundtrack) und der Rap-Pioniertat „Rapture“ zugestanden hätte.
Da gingen „viele Illusionen zu Bruch“, bis die bittere Erkenntnis gereift war, daß man „nicht auf Dankbarkeit hoffen kann in diesem Geschäft“. Das ist freilich eine Erkenntnis, die stets zu spät gewonnen und stets gebetsmühlenhaft vorgetragen wird. Offenbar werden die Musiker zu aktiven Erfolgszeiten von anderen Sorgen umgetrieben als der Überprüfung von Verträgen und finanziellen Fallgruben.
Die vom wieder erholten Stein initiierte Reunion in Original-Quartett-Besetzung, die Keyboarder Jimmy Destri aus dem Schoß der Familie und (die zuletzt mit den Jazz Passengers aktive) Deborah Harry aus mäßig erfolgreichen Solo- und Film-Engagements holte, war eine mit langem Anlauf. Ihren ersten öffentlichen Auftritt der Neuzeit hatten Blondie bereits im Frühjahr 1997 – unpassenderweise auf einem Open-air in Washington. Doch Demos mit dem alten Hitproduzenten Mike Chapman liefen ebenso ins Leere wie Songwriting-Versuche mit Nick Rhodes (Duran Duran). Stein: „Es klang, als hätte jemand unsere alten Sachen für ein paar neue Songs geplündert Doch ich wollte nicht nur Erwartungen erfüllen.“
Zudem machte die Firma EMI America dicht, bei der sie unterschreiben wollten. Eine andere zu begeistern, war «gar nicht so einfach“ (Burke), wie man vermuten könnte denn „einerseits kennen dich alle – andererseits kommst du aus einer anderen Ära und bist nur so gut wie der letzte Hit“. Für die oft vorgebrachte Idee, es vielleicht doch erst mal mit einer Alt-Hh-Compilation und zwei neuen Songs darauf zu versuchen, konnte sich die Band überhaupt nicht begeistern. „Das wäre nun wirklich überflüssig gewesen“, erläutert Burke. „Wir wollten ein ganzes Album machen, ohne Druck von außen. Es mußte ja auch viel dabei bedacht werden: Wo üben wir? Was spielen wir? Wir wollten ein neues musikalisches Vokabular entwickeln. Sonst wäre die Reunion eine faule Sache gewesen. Oder nur ein Retro-Ding wie bei den Sex Pistols.“ (Die „Greatest Hits“ erschienen Ende des letzten Jahres trotzdem bei der alten Firma, und die Freude darüber war eher größer als beim Hören von „No Exil“, dem neuen Werk. Wenn man den Fan fragt)
Und dann war da noch das Ding mit den zwei Ex-Mitgliedern (Nigel Harrison, Frank Infante), die vor Gericht zogen, weil sie nicht mitmachen durften (während Ur-Bassist Gary Valentine seine Brötchen längst mit Literatur in England verdient). Das sei „zu erwarten“ gewesen, meint Burke, aufweine freundschaftliche Lösung“ hoffend, während Stein „nicht weiß, ob sie sich nicht zuviel rausnehmen“. Fast soviel wie der alte CBGB’s-Kumpel David Byrne immerhin, der die Neuauflage der (Talking) Heads ohne ihn ja auch zu verhindern versuchte. Burke: „Das wäre ja genauso, als wenn Debbie bei uns nein gesagt hätte. Ohne Debbie hätten wir’s natürlich nicht gemacht. Der Fall liegt also schon anders.“
Tja, Debbie, Prototyp der dirty but nice-Blondie, damals „Archetyp“, heute „Ikone“, wie Burke meint Stein umschreibt Harrys Bedeutung als role model mit dem schönen Satz, selbst eine Janis Joplin habe vorher „fast nur Songs gesungen, in denen sie die Rolle des Opfers spielte“.
Fragt sich nur, ob Blondie mit „No Exil“ nun ein Opfer der radikal veränderten Pop-Landschaft werden – oder kann die Band noch einmal den roten Faden zwischen allen Fraktionen knüpfen, so wie ihre alten Songs heute für Punk- als auch für Disco-Soundtracks gut sind? Das Album klingt jedenfalls zu Teilen erheblich deplazierter, als der gnädige Wolfgang Doebeling (siehe Review auf Seite 85) durchblicken läßt Punk, Schärfe, Sex ~ alles verschwunden, und selbst der Vamp wirkt etwas tantenhaft. Von Songs und Texten zu schweigen, die manchmal von frappierender Schlagerhaftigkeit sind. Es liegt wohl daran, daß ein Song wie „Sex Oflender“ nur im jugendlichen Sturm und Drang geschrieben werden kann.
Clem Burke verbreitet nichtsdestotrotz Zweckoptimismus, allerdings auch schlichten Unfug: „Ich denke, wir haben heute für viele Leute mehr Credibility als damals, als wir den Leuten schon aus den Ohren raushingen. In Schweden vergleichen sie uns nun mit Abba: damals eine Bubblegum-Band – heute eine Pop-Institution. Für uns ist es schon ein Erfolg, das Album gemacht zu haben. Wir müssen ja nichts mehr beweisen; Hits haben wir schon gehabt.“ Chris Stein: „Tja, die Leute brechen nicht gerade bewußtlos zusammen, wenn sie uns sehen.“