Beach House – Hamburg, Molotw
Das Indie-Konsens-Album der Stunde lässt sich live schwer reproduzieren.
Früher wäre das Publikum in Sweatshirt-Jacke und Krumpeljeans erschienen. Doch die Umerziehung der Indie-Nation durch regelmäßige Modestrecken und Interviews mit Modehochschul-Absolventen in diversen Musikmagazinen zeigt Wirkung: Schwarze Kastenbrillen wohin man blickt. Fünf-Tage-Bärte und asymmetrisch exakte Haarschnitte treffen auf modisch hübsche Pferdeschwanzträgerinnen, die alle die gleichen engen skandinavischen Jeans tragen. Fast kommt man sich vor wie an einem Samstagnachmittag in der Neuen Schönhauser Straße in Berlin-Mitte.
Der Frühling der Indie-Szene erblüht heute in einem dunklen Keller mit niedrigen Decken, der sich Molotow nennt. „Heute: Beach House, AK 14 Euro“ steht auf einem handgeschriebenen Plakat am Eingang, daneben ein Foto des Girl-Boy-Duos aus Baltimore. Wir sehen sehr viele Haare, freundlich schüchterne Gesichter und rote Kleidung im American-Apparel-Look. Beach House gelten seit ihrem letzten Album „Devotion“ als kommende „Stars“, das soeben erschienene dritte Werk „Teen Dream“ wurde von der Musikpresse begeistert gefeiert. Die britische Tageszeitung „The Guardian“ zeigte sich dagegen eher enttäuscht: „Oddly icy and melodically a little ineffectual“. Wir werden sehen.
Doch zunächst erleben wir eine wunderbare Überraschung: Musee Mecanique, die heute eigentlich in einem anderen Hamburger Club spielen sollten, treten im Vorprogramm auf. Das heißt, drei Fünftel der Band – Schlagzeuger und Bassist sind aus unbekannten Gründen in Portland geblieben. Aber das macht nichts. Schon gleich beim ersten Song, „Our Changing Skins“, wird eine Säge mit dem Bogen derart gekonnt gestrichen, dass sie in hohen Tönen singt, weint und wimmert. Der Beatkeller wird zur märchenhaften Schatzkammer. Dabei sieht der Sägenvirtuose mit seinem blonden Oberlippenflaumbart eher aus wie ein oberhessischer Metzgergeselle. Seine beiden Kollegen haben ein glitzerndes Sammelsurium aus kleinen Instrumenten vor sich ausgebreitet, denen sie herrlichen Spielzeug-Pop entlocken, der live noch entzückender klingt als auf dem wirklich tollen Album „Hold This Ghost„.
Danach erstrahlen auf der Bühne vier zugeklappte Sonnenschirme aus weißem Flokatistoff in grünem Licht, als hätte jemand die Reste der Sommerdekoration zu früh mit Weihnachtsbaumzauber aufgepeppt. Links vor dieser minimalistischen Kulisse steht der Devendra-Banhart-lockige Alex Scally und zupft mit mildem Lächeln seine Gitarre. In der Mitte der Bühne thront die engelsgleiche Victoria Legrand, Sängerin und Keyboarderin von Beach House. Am rechten Rand der höchstens 50 Zentimeter hohen Bühne trommelt fast unsichtbar ein Schlagzeuger. Man hätte ihn auch weglassen können.
Das Konzert beginnt vorsichtig tastend. Der Gesang ist von Anfang an herausragend: sehr androgyn, aber dabei enorm wandlungsfähig. Nico fällt einem als Vergleich ein, aber auch Katrin Achinger von den Kastrierten Philosophen. Die Keyboardklänge scheinen zu schweben, während die Gitarre oft und gerne in ein sachtes Kreiseln verfällt, wie man es von Velvet Undergrounds „Pale Blue Eyes“ kennt.
Nach ein paar eher statischen Stücken werden einige Zuschauer unruhig. Dabei spielen Beach House gerade die sehnsüchtig erwartete Single „Norway“. Doch den Jungs im Publikum ist das alles zu brav: „Da hätte ich mir auch Zuhause das Album anhören können“, mault der eine. Und fängt an, ironisch wie ein Irrer herum zu springen – als sei er bei einem richtig guten Konzert. „Was hast du denn erwartet?“, mault ihn sein genervter Nachbar an. Und beide haben Recht.
Beach House haben mit „Teen Dream“ ein Album aufgenommen, dessen introvertierte Songs zwischen Dream-Pop und Shoegaze sich nur schwer live spielen lassen – erst recht mit einer lausig klirrenden P.A.. Sogar Highlights wie „Lover Of Mine“ oder „Walk In The Park“ bleiben hinter den Studioaufnahmen zurück.
In diesem Beach House war es etwas zu kühl und ereignisarm, Musee Mecanique waren dagegen traumhaft. Der „Guardian“ hatte mit seiner Einschätzung recht.