Baywatch

Überleben an der Westcoast: Peter Lewis über Moby Grape und das Scheitern einer Hippie-Legende

ZWISCHEN IHNEN UND DEM lieben Gott gab es anno ’66, ’67 allenfalls noch den blauen Himmel Kaliforniens. Und das sahen nicht etwa nur die Kritiker so, sondern auch die Musikerkollegen. Der US-ROLLING STONE etwa nannte Moby Grape „America’s very own Rolling Stones„, und Gitarrist Sam Andrews von Big Brother 8C The Holding Company gestand dem Quintett gar: „You guys are better than the Beatles.“ Doch statt die triumphale amerikanische Antwort auf die britische Herausforderung zu werden, wurden Moby Grape zum bislang traurigsten Beispiel für Plattenfirmen-Fehlentscheidungen, Mißmanagement und schlußendlich persönliches Scheitern der Akteure.

Dabei waren Alexander „Skip“ Spence, Bob Mosley, Peter Lewis, Jerry Miller und Don Stevenson alias Moby Grape der personifizierte feuchte Traum eines jeden Talentscouts. Denn wohl erst in einem halben Jahrhundert dürften sich mal wieder fünf ungeschliffene Talente zufällig über den Weg laufen und eine Band formieren, die perfektes Songwriting, charismatische Bühnenpräsenz, traumwandlerisches Zusammenspiel dreier Gitarren plus magnetisierenden Teenappeal derart auf sich zu vereinen versteht, wie es Moby Grape taten.

Nicht zu vergessen das perfekte Debütalbum. 1967, exakt zwei Wochen nach der Veröffentlichung von „Sgt. Pepper“, erschien „Moby Grape“, eine LP, die mit ihren engelsgleichen Harmoniegesängen, den majestätischen Gitarren und einer für die damaligen Verhältnisse grenzüberschreitenden Melange aus Folkrock, Grunge-Vorwegnahme und Country-Licks einem noch heute die Tränen in die Augen zu treiben vermag.

Alle Vorzeichen für eine Weltkarriere standen also aufhellgrün, wären da nicht die Plattenfirma Columbia und der Grape-Manager Matthew Katz gewesen. Diese unheilige Allianz von Hypemeistern nämlich kam u.a. auf die aberwitzige Idee, gleich fünf Single-Auskoppelungen von „Moby Grape“ auf einen Streich zu veröffentlichen. Was, die B-Seiten mitgerechnet, 10 der 13 Albumtitel ausmachte.

Peter Lewis, heute der einzige noch ansprechbare Grape-Musiker, der unlängst sein fulminantes Solo-Debüt veröffentlichte (siehe RS 7/95), über Katz: „Matthew war mir auf Anhieb unsympathisch. Zwar hat er uns als völlig unbekannte Gruppe einen für damalige Verhältnisse exorbitanten Vorschuß von $ 25 000 besorgt, doch seine Attitüde stank mir. Mal abgesehen von seinen schrillen Las Vegas-Klamotten und seinem weißen Jaguar-Coupe, hatte er auch in Bezug auf seine Künstler etwas von einem billigen Jakob. Erst sollten (die ebenfalls von ihm gemanagten – Red.) Jefferson Airplane die amerikanische Antwort auf die Beatles werden, dann waren wir an der Reihe. Lächerlich, der Mann.“

Lächerlich war auch das Hickhack um das Album-Cover. Da nämlich der für diesen Job engagierte Fotograf auf der Suche nach einem passenden Background elendig lange mit der Band durch die Gegend kurvte, waren die Musiker entsprechend gelaunt. Und als dann die passende Location gefunden war, passierte es. Lewis: „Don Stevenson flipped him the bird.“ Was zu gut deutsch heißt: Er zeigte ihm den Stinkefinger.

Lewis: „Im nachhinein betrachtet, vollbrachte der Typ nicht gerade eine fotografische Meisterleistung, war ihm Dons ärgerliche Geste gar nicht aufgefallen. Und bei Columbia zeigte man sich erst nachdem schon 25 000 Alben ausgeliefert waren entrüstet. Die haben dann Dons Finger retouchiert oder, besser gesagt, amputiert.“

Obwohl diese bigotte Aktion die LP im Original-Cover zum Collectors item machte, hatte sie kaum Einflüsse auf die Verkäufe. „Moby Grape“ schaffte zwar einen beachtlichen 20. Platz in den LP-Charts, die Singles hingegen floppten bis auf das göttliche „Omaha“ (Platz 88) gnadenlos.

Doch die Resultate von Katzs Promotion-Overkill – bei der Singles-Release-Party am 6. Juni ’67 im Avalon Ballroom zu San Franzisco erhielten die Gäste u.a. violettfarbene Biographien der Band, von der Decke rieselten Orchideen und zu trinken gab es 700 Flaschen Moby-Grape-Wein – hatten Vorschuß und Verkaufserlöse bis zum Verschwinden dezimiert.

Lewis: „Als Gewinnausschüttung erhielten wir pro Kopf ca. $ 150, aber noch schlimmer war, daß wir mit dem billigsten Equipment auf Tour gehen mußten.“

Daß die Shows der Band immer öfter erratisch gerieten, lag nicht nur an den miesen Verstärkern, sondern war auch dem exzessiven Drogenkonsum der fünf Musiker zuzuschreiben. Ende ’67 kam es zum Eklat. Katz, der sich die Hoffnung auf schnellen Reibach dank seiner Supergroup längst abgeschminkt hatte, las der benebelten Combo die Leviten, worauf Moby Grape die geschäftliche Zusammenarbeit stante pede beendeten. Allerdings hatten sie da die Rechnung ohne ihren gewieften Manager gemacht, denn Katz verklagte die Band prompt auf $ 1 Million Schadensersatz.

Etwa zur gleichen Zeit begann man mit den Aufnahmen des zweiten Albums „Wow/Grapejam“. Oder besser gesagt, man wollte beginnen. Die Band lebte jetzt nämlich in Malibu, Haus an Haus mit den Kollegen von Buffalo Springfield. Was bedeutete, daß man einen großen Bogen ums Studio machte und nun Party nonstop angesagt war. Als in all den Wochen lediglich ein Song zustande gekommen war, sprach Produzent David Rubinson ein Machtwort und zitierte die Band nach New York. Wie sich zeigen sollte, eine kapitale Fehlentscheidung.

Lewis: „New York war ein einziger Horrortrip. Wir wohnten in einem Loch von Hotel, in dem es vor Kakerlaken nur so wimmelte und in dem mit Heroin gedealt wurde. Wie wir unter solchen Bedingungen überhaupt arbeiten konnten, ist mir heute noch ein Rätsel. Aber der absolute Tiefpunkt kam, als Skip Spence eine selbsternannte Hexe namens Joanna kennenlernte. Die verpaßte ihm eine fast letale Mixtur aus LSD und Speed – und von da an war Skippy ein völlig anderer Mensch. Jemand, der einem Angst einflößte. Ich erinnere mich noch, wie er sich in diesem Hotel, bewaffnet mit einer Axt, auf die Suche nach Don machte. Er schlug die Türen von Dons und Jerrys Zimmern ein und verpaßte dabei zum Glück Don, der auf dem Flur in entgegengesetzter Richtung unterwegs war.“

Spence landete nach diesem Totalaussetzer zunächst für ein paar Tage im Gefängnis und wurde anschließend für sechs Monate in ein Hospital eingewiesen.

Ein Wunder, daß unter solchen Umständen überhaupt ein Album zustande kam, doch als JVotv“ im Juni ’68 endlich erschien, da löste das Werk mit dem surrealistischen Traubencover des Malers Bob Cato einiges Erstaunen aus. Produzent Rubinson hatte der Band eine völlig andere Marschrichtung verordnet und im Studio diverse technische Gimmicks eingesetzt. Doch obwohl die Platte gekonnt zwischen oft deftigem Bluesrock, schwermütigen Balladen und flottem Country-Flair irrlichterte, monierten viele Kritiker die Abwendung vom Konzept des Debüts. Den Fans aber gefiel „Wow“, vor allem weil es als kostenlose Dreingabe das Album „GrabeJam“ enthielt, den Mitschnitt einer zufälligen Studio-Jamsession mit AI Kooper und Mike Bloomfield. Auch „Wowl Grape Jam“ schaffte Platz 20 der LP-Charts.

Nach dem New York-Debakel zogen Mosley, Lewis, Miller und Stevenson nach Boulder Creek/Kalifornien, wo sie mit der Arbeit an der nächsten LP, „Moby Grape ’69 , begannen.

Lewis: Jerry und ich wurden plötzlich dicke Freunde, und überhaupt wuchsen wir hier nach dieser ganzen Scheiße, die wir durchgemacht hatten, zu einer richtigen Band zusammen. Boulder Creek wurde unser Neubeginn.“

Doch das wiederentdeckte Zusammengehörigkeitsgefühl half der Band herzlich wenig, denn als „’69“, ein brillantes Album, das oft an die Byrds erinnerte, im Januar selbigen Jahres erschien, da hatten die Fans die Band schon fast abgehakt. Schlimmer aber war noch, daß Bob Mosley Moby Grape einen Monat später verließ und zurück in seine Heimatstadt San Diego zog, wo er einen Job als Hausmeister annahm.

Lewis: „Bob hatte die Nase voll vom Rock’n’Roll und der Hippie-Szene, und darum war er fast froh, als man ihn Anfang ’70 zur Marine-Infanterie einzog. Endlich ein Leben, das von Ordnung und Disziplin bestimmt war.“ (Mosleys Karriere bei der Elitetruppe währte allerdings nicht lange: Nur neun Monate später wurde er wegen eines tätlichen Angriffs auf einen Offizier unehrenhaft entlassen. – Red.) Im Mai ’69 war Moby Grape nicht viel mehr als nur ein Name.

Die drei verbliebenen Musiker waren völlig desillusioniert und bar jedweder Motivation weiterzumachen. Daß Matthew Katz, über dessen Millionenklage noch nicht gerichtlich entschieden worden war, auf sein Recht am Bandnamen pochte und quasi aus Rache eine Grape-Ersatzband auf Tournee schickte, potenzierte den Frust des Trios noch um einiges.

Doch auch Columbia hatte einen Vertrag. Und der besagte, daß die Band der Plattenfirma noch ein viertes Album schuldete. Miller und Stevenson mußten tagelang auf einen absolut unwilligen Lewis einreden, damit man wenigstens als Trio ins Studio gehen konnte.

„Iruly Fine Citizens“ (man beachte die ironische Anspielung im Titel) wurde im Mai ’69 in nur drei Tagen in Nashville eingespielt. Und obwohl das Album eigentlich nicht mehr als eine Vertragserfüllung war, hatte es doch ein paar so beachtliche Momente wie „Treat Me Bad“ oder Lewis‘ bittersüßes „Right Before My Eyes“, ein Titel, der nicht nur durch die Coverversion der Rosslyn Mountain Boys zum Country-Klassiker avancierte. Direkt nach der Nashville-Session taten Miller, Lewis und Stevenson das Naheliegendste: Sie lösten Moby Grape auf. Zwar gab es später noch allerlei Wiederbelebungsversuche in den unterschiedlichsten Besetzungen und unter Namen wie Maby Grope, Mosley Grape oder Grape Escape – nicht zu vergessen die vier Reunion-Alben „20 Granite Creek“ (’71), „Live Grape“ (78), „Moby Grape“ (’83) und „The Melvilles“ (’90) – doch die Band, die einmal Amerikas Antwort auf die Stones werden sollte, hatte dieses Ziel, zumindest in kommerzieller Hinsicht, nicht einmal sacht gestreift. Und vom posthumen Renommee, Bands wie R.E.M., die Doobie Brother oder die Smithereens nachhaltig beeinflußt zu haben, kann man sich weder Brötchen kaufen, geschweige denn die Miete bezahlen.

So nimmt es kaum Wunder, daß sich – vom von Haus aus betuchten Survivor Lewis mal abgesehen der Werdegang der übrigen vier Musiker zwischen desolat bis erschütternd liest: Jerry Miller ist heute eine traurige Erscheinung, die ihre Drogen- und Alkoholsucht mit Blues-Gegniedel in Spelunken finanziert. Don Stevenson hat der Musik gänzlich den Rücken gekehrt und dreht Touristen in Mexiko überteuerte Appartements an. Bob Mosley haust in einem Tal bei San Diego in einem Gebilde aus Pappkarton und lebt von den $ 400, die ihm das Militär monatlich zukommen läßt. Skip Spence gilt als gemeingefährlicher Irrer, der immer wieder, als vermeintlich Geheilter entlassen, nach einem Ausraster in der Heilanstalt landet.

Und Peter Lewis? Der Sohn der erfolgreichen Schauspielerin Loretta bung, die für ihre Rolle als schwedische Landarbeiterin in „The Farmers Daughter“ einen Oscar erhielt, lebte in den letzten 25 Jahren nicht schlecht von den Resultaten seiner plötzlich entdeckten Malleidenschaft, schrieb – wenn es ihn überkam – mal wieder einen Song und dachte ansonsten über den Ernst des Lebens (speziell den in einer hochgelobten und kläglich gescheiterten Rockband) nach. Mit fast philosophischer Gelassenheit referiert er heute über die Band, der man den Olymp prophezeit hatte und die stattdessen im Hades endete. Und natürlich sind Peters Lewis beim Studium von Hermann Melvilles Roman „Moby Dick“, der in verballhornter Form für den Bandnamen herhalten mußte, inzwischen einige erschreckende Parallelen klar geworden:

„Wenn du berühmt bist, dann haben die Leute ganz ausgeprägte Vorstellungen davon, wer oder was du sein kannst. Natürlich hatten einige dabei auch Bezüge zu ,Moby Dick‘ im Kopf, doch daß die Charaktere des Buches unterbewußt derart unser Schicksal bestimmen sollten, hätten wir uns nicht zu träumen gewagt. Nimm hingegen die Rolling Stones; die waren sich der ihnen angedichteten Rollen als böse Buben stets bewußt Bei ihnen gewann das nie die Überhand, denn trotz aller Skandale, Intrigen, Drogen usw. hatten sie das Image-Ruder stets fest in der Hand. Bei uns aber war es das absolute Showbiz-Harakiri: Du kreierst ein Image und wirst anschließend von dem Image dermaßen in Besitz genommen, daß du dein ganzes Tun und handeln – egal wie kontraproduktiv das auch sein mag – danach ausrichtest.

Erst später habe ich diesbezüglich viel von meiner Mutter gelernt. Sie brauchte nie zu kämpfen, denn ihr fiel quasi alles zu. Und daher entwickelte sie auch ein ungeheures Selbstbewußtsein. Anders hingegen Moby Grape; wir waren so naiv und partout nicht in der Lage, mit dem Image, das in den Köpfen der Fans rumspukte, manipulativ umzugehen. Und so wurden wir Opfer des ,Moby Dick‘-Mythos. Skippy ist definitiv Captain Ahab, ,ein Rebell aus dem Stamme Lucifers‘, wie es im Buch heißt. Mosley ist definitiv Quiqueg, denn so wie die Figur der Romanvorlage gab auch er eines Tages auf. Eigentlich hätte er nie Musiker werden sollen. Bei Miller und Stevenson bin ich mir nicht so sicher. Jerry könnte Daggoo sein oder auch Flask und Don vielleicht Mr. Starbuck.

Erst vor einiger Zeit ist mir mit Erschrecken bewußt geworden, daß auch ich damals Gefahr lief, ein Opfer dieses Mythos zu werden, daß Moby Grape drohte, mein Lebensinhalt und Schicksal zu werden. Was bedeuten würde, daß die schönste Zeit meines Lebens schon 25 lange Jahre zurückliegen würde. Damit wollte ich mich aber nicht abfinden, und darum habe ich mein Solo-Debüt erst jetzt gemacht. Das Album sollte mir helfen, endlich ganz mit der Moby Grape-Vergangenheit abzuschließen. Daß ich die Platte einmal machen würde, war mir im Unterbewußtsein wohl immer schon klar, denn sonst hätte ich ja nicht jahrelang Songs geschrieben und auf Halde gelegt.

Heute bin ich hinsichtlich Moby Grape so abgeklärt, daß ich sogar mal wieder mit den Jungs zusammenspielen würde. Aber bislang gab es da stets einen Menschen namens Matthew Katz, der das zu verhindern gewußt hat Zu guter Letzt möchte ich natürlich nicht verschweigen, welche Parallele ich bezüglich meiner Person und den Romanfiguren ziehe: Ich glaube, ich bin Ismael, der Mensch in Melvilles Buch, der nach dem großen Abenteuer sucht und der am Ende als einziger die Ahab-Tragödie überlebt. Natürlich ist das im übertragenen Sinne gemeint, denn die übrigen Moby Grape-Musiker leben ja auch noch. Aber wie. Ich könnte nie in einem Valley in einem Pappkarton hausen, und ich könnte auch nicht in Mexiko Touristen Häuser andrehen. Vielleicht ist’s doch ein Vorteil, ein verzogener Hollywood-Balg zu sein.“

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