Bataclan-Überlebender schreibt offenen Brief an Jesse Hughes

Ismael El Iraki ist Fan der Eagles of Death Metal und überlebte die Anschläge im Bataclan – trotzdem rechnet er in einem bewegenden Brief mit Frontmann Jesse Hughes und seiner politischen Einstellung ab.

EIN BRIEF AN JESSE HUGHES VON EINEM BEFREUNDETEN BATACLAN-ÜBERLEBENDEN

Lieber Jesse,

ich habe gerade dein kitschiges Interview im Taki-Magazin gelesen und um dir die Wahrheit zu sagen: mein Herz blutet. Ich habe es vor mir hergeschoben, ihn zu lesen. „Was soll es Neues darin geben, es kann nicht schlimmer sein als die anderen, die wir gewöhnt sind“. Es ist schlimmer und daran kann man sich einfach nicht gewöhnen.

Ich liebe deine Musik, vor allem deine Konzerte (so lustige, wilde Shows) und ich dachte nie, dass du einer dieser Leute wirst, die Angst verbreiten. Fox News, Trump, all diese Leute. Du warst irgendwie immer ein Außenseiter, ein Rebell: Wir wissen jetzt, dass du es nicht bist. Wir (und damit meine ich die Rebellen, Außenseiter, die Rock-Zuschauer) haben dich immer geliebt und dich verteidigt, weil du ein liebenswerter Narr bist und irgendwie auch ein dummer Idiot, wie die drei Stooges oder Tex Averys Wolf. Du hast nun bewiesen, dass deine Dummheit gefährlich ist.

Deine Kommentare haben eine üble Wunde geöffnet. Du sagt, dass die Security-Crew involviert war und jeden Araber gewarnt hat, den sie sahen. Weißt du, wie du auf dem Foto, das irgendjemand kurz vor der Show gemacht hat, sehen kannst, bin ich Araber und sehe auch ziemlich danach aus. Ich habe eine schwarzen gelockten Bart und den passenden Hautton. Ich lebe und atme zufälligerweise auch für Rock ’n‘ Roll. Es ist, abgesehen von der Liebe zu meiner Frau, das Wichtigste in meinem Leben. Daher war ich natürlich in dieser warmen Novembernacht im Bataclan. Ich wollte das EODM-Konzert nicht verpassen und es war die erste von acht Rock-Shows, die ich mir in dieser Woche vorgenommen hatte.

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Wie gesagt lebe ich Rock ’n‘ Roll und ich könnte nicht muslimischer aussehen, selbst wenn ich es versuchte. Aber anscheinend hat mich die große Muslimen-Verschwörung übersehen. Verdammt, sie haben vergessen mich zu warnen. Sie haben auch vergessen Djamila und all die anderen Araber zu warnen, die an jenem Abend angeschossen und getötet worden sind. Sie haben vergessen, meinen marokkanischen Kumpel Amin zu warnen, der in jener Nacht erschossen wurde. Ein paar Wochen später haben sie offenbar auch vergessen Leila, eine andere befreundete Marokkanerin, zu warnen, die bei der Attacke im Ouagadougou umgekommen ist. Diese blöde muslimische Verschwörung. Keinen Job können sie richtig machen.

Ich werde dich nicht ehren, indem ich dir erzähle, wie ich mich in jener Nacht verhalten habe. Ich habe und werde immer verweigern, dies öffentlich zu tun: Ich glaube nicht, dass eine weitere blutige Bataclan-Story irgendjemandem hilft. Du kannst deine eigenen Nachforschungen machen und ich glaube nicht, dass du mögen wirst, was du entdeckst, weil es sicher nicht in dein engstirniges Bild über Muslime und Araber passen wird (da du offenbar den Unterschied zwischen diesen beiden Wörter ignorierst). Ich glaube, dass die Menschen, denen ich in der Nacht geholfen habe, sich nicht darum geschert haben, dass ich Araber bin oder welche Herkunft sie haben oder vor welchem imaginären Freund sie niederknien. Wir alle bluten rot, Bruder. Genug von mir.

Was mich am meisten schmerzt: Dass du nicht realisiert, dass viele von uns, die es lebendig aus dieser Tortur geschafft haben, ihr Leben einem muslimischen Typen verdanken. Sein Name ist Didi und er öffnete die linke Vordertür, aus der die meisten von uns fliehen konnten. Dieser Typ tat etwas, das weder du, ich oder jemand sonst je getan hätte.

Weißt du, was er getan hat, dieser arabische Typ, dieser Muslime? Er öffnete die Tür, ließ eine Menge Leute raus und dann, als er schon in Sicherheit auf der Straße stand, GING ER ERNEUT REIN. Er drehte sich um und ging hinein, um weitere Menschen zu retten. Er öffnete den Ausgang im Obergeschoss und ließ viele Leute darüber hinaus. Dieser Typ, wie gesagt, war nicht wie du. Oder ich.

Er war ein vedammter Held. Ein unbewaffneter, rotblütiger, realer Held, den du gerade mit deinen rassistischen, hasserfüllten Kommentaren beleidigt hast. Du, du bist kein Held. Du, der wie ich nur ein normaler Typ ist, der zufällig in einer schrecklichen Situation war und tat, was er konnte um rauszukommen und ein paar Leute um ihn herum zu retten. Daher sind keine deiner Kommentare OK. Inwiefern ist die Beleidigung von Helden OK?

Du sagst: „Islam ist das Problem.“ Ich sage: „All ihr verdammten Fanatiker und eure scheiß Märchengeschichten sind das Problem. Rassismus und Verweigerung, jemand anderen als komplexe (komplexer als es Ethnie oder Rasse erklären können) menschliche Wesen anzuerkennen ist das Problem. Andere darauf zu reduzieren, was du zu wissen scheinst, ist das Problem. Du hast die Typen damals gesehen. Die murmeläugigen, gehirngewaschenen, schrecklichen Attentäter-Schweine konnten nicht einmal ein bekanntes menschliches Gesicht erkennen. Junge, sei nicht so einer. Hör auf damit. Stell dir nicht vor, dass du dieser fundamentalistischen Todeswelle allein gegenüberstehst. Denn das ist die Welt, in der wir jetzt leben, und wir stecken alle gemeinsam in dieser Scheiße. Muslime und Araber stecken auch darin, ihnen steht ein willkürlicher, dummer Tod bevor, genau wie dir.

Rock’n’Roll ist Liebe, Mann. LIEBE. Sieh dich an: Du verteilst Hass, Bruder. Versuche mehr im Leben zu erreichen, wie der Charakter, den wir alle lieben, wenn du auf der Bühne stehst. Versuche Liebe zu geben. Die echte Liebe, die durch die Bärte und Hautfarbe der Menschen und religiösen Scheiß und Kleidung schaut, die nicht nur eine Gruppe Konzertzuschauer vereinen kann, sondern auch eine Nation, die ganze Welt. Ich hoffe, du realisierst, wie falsch die Scheiße ist, die du da verbreitest, ich hoffe, du siehst all das Falsche, das du anrichtest. „There’s still time to change the road you’re on“, Bruder. Zeppelins Worte.

Komm zurück zum wahren Geist des Rock’n’Roll, der beinhaltet, dass wir entweder ficken oder kämpfen wollen. Mach nicht einen auf konservativen Politiker.

(Übersetzt aus dem Englischen.)

Der Original-Post hier – das Foto zeigt Ismael El Iraki zu Beginn des Konzerts im Bataclan.

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