Kubricks „Barry Lyndon“: Der schönste Film aller Zeiten
„Barry Lyndon“ gilt als der wohl ästhetisch ausgefeilteste Film von Stanley Kubrick. Ihm eilt aber seit seinem Kinostart im Jahr 1975 der Ruf nach, behäbig und langweilig zu sein. Das beruht auf gleich mehreren Irrtümern.
Variationen des Immergleichen
Nicht umsonst endet „Barry Lyndon“ im Jahr 1789, also am Anfangspunkt der französischen Revolution (dem epochalen Wandel zu einer modernen Welt) und darüberhinaus mit dem prägnanten Satz: „Die hier gezeigten Personen lebten und stritten sich zur Zeit König Georg III.: Gut oder schlecht, schön oder hässlich, arm oder reich – jetzt sind sie alle gleich.“ Diese Menschen sind, so will es der Film vermitteln, tot und in eine unwiederbringlich verloren gegangene Vergangenheit abgesunken.
„Barry Lyndon“ ist mit seinen faszinierenden Kamera-Zooms (die den Stillleben-Charakter des erzählerischen Panoramas von kleinen Menschen auf einer sehr großen Bühne ästhetisch verstärken), seinen mit einem Spezial-Objektiv der NASA gedrehten Szenen bei Kerzenlicht und auch den ätherischen Naturaufnahmen, bei denen man den Wolken atemlos bei ihrer Wanderung durchs Bild zuschauen kann, das wohl buchstäblich schönste Werk der Filmgeschichte.
Und auch wenn er nach den drei Großtaten, die Kubrick ihm vorangingen ließ, nicht noch einmal das große Publikum erreichte, so ist er doch in seiner philosophischen Repräsentation einer Sicht auf die Welt, die der große Bildarrangeur Kubrick dem Kino durchaus auch rabiat für alle Zeiten aufdrängen wollte, noch wesentlich konsequenter als alle seine anderen Filme. Natürlich hat diese künstlerische Tendenz, jede Möglichkeit der Interpretation mit filmischer Genauigkeit und analytischer Kälte zu bannen, auch eine Schattenseite. Der amerikanische Filmkritiker Roger Ebert bemerkte dann auch in seiner erneuten Beobachtung von „Barry Lyndon“, dass Kubrick keine andere Möglichkeit zuließe, auf Barry zu blicken, als er es selbst tat.
Der Blick auf die Welt steht im Zentrum
Insofern ist die These Susan Sontags, dass es sich bei den Filmen Kubricks um ein im Grunde faschistoides Kino handelt (bezogen hatte die Essayistin ihre Kritik vor allem auf „2001 – Odyssee im Weltraum“), nicht unbedingt falsch. Doch damit würde man dem Regisseur jegliche Form der Ideologiekritik absprechen, die sein Werk doch sehr sichtbar spätestens seit „The Killing“ (1956) prägte.
Kubricks außergewöhnlicher und auch anhaltender künstlerischer Einfluss, der ihn in den Rang eines der bedeutendsten Künstler-Intellektuellen des 20. Jahrhunderts erhob, lässt sich stattdessen dadurch erklären, dass seine politischen Visionen Kraft vor allem aus den subversiven Bildern des Kinos zogen.
„Barry Lyndon“ zählt deshalb auch zurecht als eines der Meisterwerke des Filmemachers, weil er wie schon „2001 – Odyssee im Weltraum“ (1968) für das Science-Fiction-Genre, „Wege zum Ruhm“ (1957) für den Kriegs- und „Shining“ (1980) für den Horrorfilm die Bedingungen seines Genres – dem Historienfilm – mustergültig reflektiert und mit der Offenlegung der im Grunde geheimen Gesetze ihrer Inszenierungslogik und Erzählhaltung erst die Möglichkeit eröffnet, daran Kritik zu üben. Das ist dann alles andere als langweilig. Es ist der beste Weg, um den Regisseur und den wagemutigen Denker Stanley Kubrick zu verstehen.
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