Barde und Bio-Bauer
Songwriter Gregory Alan Isakov sehnt sich nach Natur und hat trotzdem keine Scheu vor Fastfood
Von der südafrikanischen Metropole Johannesburg bis in die US-Metropole Philadelphia ist es ein weiter Weg, nicht nur geografisch betrachtet. Gregory Alan Isakov legte ihn schon mit sieben oder acht Jahren zurück – so genau kann er das nicht mehr sagen. Schließlich befand sich sein Geburtsland Mitte der Achtziger in großen Turbulenzen. Das Ende der Apartheid rückte näher, doch ein Ende der Gewalt schien nicht in Aussicht, was in der Realität bedeutete, dass in vielen Regionen praktisch pausenlos Ausnahmezustand herrschte. „Mein Vater beschloss deshalb, uns in Sicherheit zu bringen“, sagt Isakov, dessen Großvater aus Litauen stammte – daher der russisch klingende Nachname. Die Familie zog also nach Philadelphia, wo Gregory den Großteil seiner Kindheit und Jugend verlebte, sich das Gitarrespielen beibrachte und einer Grunge-Band – inzwischen waren ja die derzeit wieder allerorten gefeierten und verklärten Neunziger angebrochen – beitrat. „Ich hab’s versucht, aber mit 20 merkte ich, dass das nicht meine Musik ist“, gesteht Isakov ein wenig reumütig, als wollte er sich dafür entschuldigen, dass er musikalisch gesehen ein Kind der 60er-und 70er-Jahre ist. Cohen, Dylan, Nick Drake, Simon & Garfunkel: In diesem Songwriter-Universum ist er zu Hause. Sein neues Album, bereits sein fünftes, bedient sich denn auch bei den Besten von vorgestern. Zudem klingt er auf „The Weatherman“ wie ein zaghafter Ryan Adams. Dass er einigen anderen Americana-Adepten sehr nahe steht, leugnet er nicht, lässt jedoch Vergleiche unkommentiert oder windet sich geschickt heraus. „Ich bin nicht gerade am Puls der Zeit“, erklärt er süffisant. „Ich schreibe von einer entfernten Warte aus und versuche, nicht allzu viel darüber nachzudenken.“ Angst vor Selbstreflexion? Könnte man vermuten. Doch Isakov kommt man mit solch küchenpsychologischen Ansätzen nicht bei. Er folgt einfach seiner Neugier, die ihn konsequent in die Vergangenheit schickt. „Ich bin definitiv nicht der iPod-Shuffle-Typ. Ich höre manchmal einen ganzen Monat lang nur ein Album.“ In Zeiten, in denen die materielle Sucht nach käuflicher Kunst, nach immer mehr Musik, mehr Büchern, mehr Filmen via Mausklick ins Unermessliche gesteigert wird, mutet dieses Hörverhalten wie die Reinform protestantischer Genügsamkeit an.
Passend dazu betreibt Isakov seit ein paar Jahren mit Freunden eine Farm in Colorado. Dafür besuchte er sogar eine Landwirtschafts- und Gartenschule. Heute ist er eine Art Bio-Bauernhof-Barde, der Organic Food anbaut und Eier und Gemüse verkauft, wenn er nicht gerade Songs oder Short Stories schreibt oder in einem Studio in den Bergen aufnimmt. „The Weatherman“ wurde dort nämlich mit komplett vegetarischem – Pardon: analogem Equipment eingespielt. Zum ersten Mal habe er mit dieser Technik gearbeitet, die einem viele Entscheidungen schon im Vorfeld der Aufnahmen abnötigt. Sound-Vorstellungen müssen diskutiert und umgesetzt werden, bevor das rote „Rec“-Knöpfchen gedrückt wird. „Wir haben das meiste live gespielt. Da kann man nicht mehr sagen: ‚Das können wir notfalls hinterher noch beheben.‘ Man kann sich eben nicht mehr so gut selbst betrügen wie mit digitalen Geräten.“
Ein bisschen fragt man sich dabei schon, ob er die letzten Jahre mit solchen Tüfteleien vertändelt hat. Oder ob ihm seine Farm über den Kopf gewachsen ist. Sein letztes Album erschien immerhin 2009. Was hat er so lange gemacht? „Ich habe vor ‚The Weatherman‘ noch ein anderes Album aufgenommen. Ich schreibe viel, aber es dauert eine Weile, bis ich weiß, ob es sich richtig anfühlt.“ Bei Isakovs lost album war das offenkundig nicht der Fall. Also verwarf er es, schüttelte über ein Dutzend neue Stücke aus dem Ärmel und ging erneut ins Studio.
„The Weatherman“ fühlt sich jetzt endlich richtig an, so richtig, dass er es kaum erwarten kann, damit auf Tour zu gehen. Er liebe das Unterwegssein, das Reisen, die Ideen, die ihm dabei kommen und die er auf Postkarten festhält, die ihn an die Orte erinnern, die ihn inspiriert haben. Postkarten aus Europa und Südamerika hat er bereits an sich selbst gesandt. In Kanada ist er inzwischen ein kleiner Star, seitdem die dortige McDonald’s-Kette 2012 einen ihrer Werbespots mit seinem Song „Big Black Car“ unterlegten. Moment mal, McDonald’s? Widerspricht das nicht dem Buy-local-think-global-Bewusstsein eines jeden Öko-Songwriters? „Na ja, ich habe lange darüber nachgedacht“, meint Isakov -und kann ein Lachen nicht unterdrücken. „Aber dann haben wir uns gefragt, was wir mit dem Geld alles anstellen könnten, und uns dafür entschieden. Das meiste Geld haben wir in unsere Farm gesteckt. Ich würde es jederzeit wieder tun.“ Wenn Sie also demnächst mal wieder in einer Fast-Food-Filiale speisen und über den firmeneigenen Sender ein Song von Gregory Alan Isakov läuft – haben sie kein schlechtes Gewissen! Ihr Geld fließt womöglich direkt in den Anbau von Bio-Produkten.