Balzerblues mit Woodpecker Wooliams und Maria Minerva

Jens Balzer, Redakteur im Feuilleton der "Berliner Zeitung", hat seit dem Mai-Heft für uns einmal im Monat den Balzerblues. Die neue Folge seiner Kolumne für den ROLLING STONE widmet sich Frauen und Vögeln.

Mit der Mai-Ausgabe startete die neue Kolumne „Balzerblues“, die im Halbdunkel des Popuntergrunds nach leuchtenden Pfaden sucht, neuen Trends und Entwicklungen nachspürt. Ihr Autor ist Jens Balzer, Redakteur im Feuilleton der „Berliner Zeitung“, einer der besten und umstrittensten Popjournalisten des Landes. Seine zweite Kolumne für den ROLLING STONE widmet sich der Singer-/Songwriter-Musik. Die Kolumne gibt es natürlich immer zuerst in unserem Printmagazin – und wenige Wochen nach Veröffentlichung auch online zu lesen.

Frauen und Vögel: ein Thema, so alt wie die Menschheit; eine rätselhafte Zweierbeziehung, die in all ihren Gründen und Abgründen noch lange nicht erforscht worden ist. Warum, zum Beispiel, sind es von allen Vögeln immer die doofsten, denen Musikerinnen ihre Aufmerksamkeit schenken? Björk beispielsweise bekennt gern ihre Sympathie für Schwäne; für ihr „Vespertine“-Album hat sie sich weiland sogar als ein solcher verkleidet. Dabei wirken Schwäne nur von Weitem betrachtet wie stolze und respektable Gesellen. In Wirklichkeit sind sie selbstsüchtig, humorlos und ungerecht im Umgang mit schwächeren Bewohnern von Flüssen und Seen! In ihrem zweifelhaften Charakter kommen ihnen sonst nur Tauben und Elstern gleich: schmutzige Ratten der Lüfte die einen; rücksichtslose Kleinvogelquäler die anderen. Diesen beiden Arten hat nun wiederum die britische Sängerin Woodpecker Wooliams lieblich zugeneigte Lieder gewidmet: Auf ihrem neuen Album „The Bird School of Being Human“ (Robot Elephant) empfiehlt sie der Menschheit in insgesamt sieben durchweg nach Vögeln benannten Songs eine flächendeckende Vervogelung („aviomorphing“). Am luftig-leichten Wesen der gefiederten Freunde soll die verspannte Menschheit genesen.

Doch auch wenn man Wooliams’ Blick auf die Vogelwelt undifferenziert und blauäugig finden kann: Ihre Musik hört man sich gerne an. Erinnert das zur Harfe dargebotene Gekrächz und Gezwitscher zunächst noch allzu epigonal an Joanna Newsom und Schwanenfrau Björk, legt die in Bristol lebende Hobbyschamanistin, die sich zur spirituellen Erleuchtung nach eigener Auskunft auch gern mal lebendig begraben lässt, ihre Lieder alsbald auf schön stachlige Drone-Betten und lässt unter den süß schwingenden Melodien burschikose Bumsbeats stottern und bollern.

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Was uns zur nächsten Vogelfrau bringt: Die aus Estland stammende, inzwischen in London lebende Sängerin und Produzentin Maria Minerva hat sich nach der Eule der Minerva benannt, also dem griechisch-antiken Sinnbild der Klugheit und Philosophie. Von ihm ließ sich G. W. F. Hegel bekanntlich zu dem gern zitierten Vergleich inspirieren, dass die Philosophie wie eben die Eule ihren Flug erst mit der einbrechenden Dämmerung beginnt: Nur was bereits im Verschwinden begriffen ist, lässt sich im Begriff zur Erscheinung bringen. Auch Maria Minerva hat sich in ihrer Musik bislang zumeist mit Vergangenem befasst, und zwar in dämmerungshaft diesiger Weise: Auf ihrem Debütalbum „Cabaret Cixous“ (2011) verband sie vernebelte Disco-Beats aus den 80er-Jahren mit verhalltem Gesang zu philosophischen Themen; insbesondere zur Phallogozentrismuskritik der im Albumtitel bereits erwähnten französischen Feministin Hélène Cixous.

Auf ihrem zweiten Langspielalbum, „Will Happiness Find Me“ (Not Not Fun), ist die Musik nun weit weniger neblig geraten und gerade in den Rhythmen kraftvoller gewirkt; auch werden die philosophischen Themen durch klassische Liebesliedlyrik und kleinere Coming-of-Age-Dramen ergänzt. Schön, dass man dabei Maria Minervas charismatische, leicht schläfrige, aber nie schlaffe Gesangsstimme noch klarer zu hören bekommt! Während sie auf der Vorgängerplatte zumeist im Disco-Diven-Stil uptempo stöhnte, singt sie nun in deutlich vermindertem Tempo zu desto hektischer stotternden Beats: eine Dynamik, die sie nicht nur mit Woodpecker Wooliams verbindet, sondern – ältere Leser werden sich erinnern – auch mit der großen britischen Beats-und-Gesang-Avantgardistin Nicolette. Deren vor genau 20 Jahren erschienenes Album „Now Is Early“ kann man nicht nur als klangliches Vorbild für die neue Maria Minerva betrachten. Auch sein zukunftszugewandter Titel – jetzt ist früh! – könnte all den Pop-Eulen, die uns nostalgisch umschwärmen, zur Mahnung und Weisung gereichen.

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Diesmal vorgestellt:

Maria Minerva- „Will Happiness Find Me“: **** 1/2

Albumstream

Woodpecker Wooliams – „The Bird School Of Being Human“: ****

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