Ballonkopf will heim
Eine Verwandlung a la Kafka, ein Androidenschicksal wie bei Philip K. Dick - das Buchdebüt von Sascha Hommer greift in reduzierten, gerasterten Bildern die großen Entfremdungs-Themen auf
Eine surreale Szenerie. Eine ganze Stadt ist in Rauch gehüllt, „infolge gesteigerter Produktion“. Pascal lebt hier. Er ist beliebt, wird zum Klassensprecher gewählt, die Mädchen fliegen auf ihn, aber dann bemerkt seine Freundin, dass er ein Insekt ist. Eine dieser Kreaturen mit Ballonköpfen, von denen Pascal in der Schule gehört hat: Sie leben in Reservaten außerhalb der Stadt, übertragen Krankheiten, besitzen kaum Technologie, essen minderwertige Nahrung – so lautet jedenfalls die offizielle Propaganda. Er wird ausgestoßen, man verprügelt ihn, will ihn von der Schule relegieren, also flüchtet er in das Reservat, zu Verwandten… „Insekt“ (Reprodukt), das Buchdebüt Sascha Hommers, der als Mitbetreiber des kleinen Independent-Verlags Kiki Post und als Herausgeber des dort erscheinenden Magazins „Orang“ in der Szene längst einen Namen hat, verknüpft Motive aus Kafkas „Verwandlung“ und Philip K. Dicks traurigen Androidengeschichten (etwa „Die elektrische Ameise“) zu einer berückenden, sanft melancholischen Parabel auf notorische Kinderängste und -Verhaltensweisen. Zugleich führt er hier die Mechanismen von sozialer Ausgrenzung und Segregation vor, ohne dass diese Lesarten gänzlich aufgingen. Es bleibt da ein Rest von Verstörung, von einem Nichtverstehen der Welt, die der hier thematisierten kindlichen Perspektive auf die Realität sehr genau entspricht. „Es ist problematisch wenn man eine zu eindeutige Lesart anbietet“, stimmt er zu. „Dass zum Beispiel im Kopf des Lesers gleich diese ganzen Rassismus- und Rütli-Schul-Schubladen aufgehen, ist natürlich ärgerlich. Deshalb sind kleine Widersprüche wichtig, die dem Szenario einen Rest von Geheimnis lassen. Die Schubladen öffnen sich natürlich trotzdem, aber wenigstens quietschen sie ein wenig, und der Schlüssel passt nicht recht.“
Meine schon beinahe reflexhafte Kafka-Assoziation und der indirekte Vorwurf der Epigonalität stört ihn nicht besonders, weil unter den Comic-Lesern „gar nicht so viele gleich an Kafka denken, eigentlich nur diejenigen die einen eher literarischen Zugang haben. Ich selbst bin mir erst kurz vor Fertigstellung des Bandes über diese Parallele bewusst geworden, was auch daran liegen mag, dass es gerade in der Bildwelt japanischer Comics eine Menge Insekten gibt und daher auch teilweise meine Vorbilder kommen“.
Das optimistische, fast schon heitere Ende dreht die surrealistische Schraube noch eine Umdrehung weiter. Pascal und sein Cousin Sven spielen „Insektmann“ und können plötzlich fliegen. Eine Flucht in die Fantasie beziehungsweise in den Comic. Die beiden Comic-Helden werden zu Comic-Helden zweiter Ordnung. Ein metapoetischer Selbstkommentar, der sich, Hommer bejaht das, autobiografisch lesen lässt. „Ich war ein schüchternes Kind mit relativ wenigen Sozialkontakten. Im Kindergarten hat es mir nicht besonders gefallen, weil alle laut waren und gewalttätig. In der Schule hat sich das zwar irgendwann relativiert, aber erst zu einem Zeitpunkt, als ich bereits die Erfahrung gemacht hatte, dass ich durch Comics, sei es als Leser oder Zeichner, ganz leicht aus der Wirklichkeit verschwinden konnte. Auf dem Gymnasium hab ich dann monatlich kopierte Hefte in der Klasse verkauft.“
Hommers Stil ist sehr reduziert, stilisiert, und das Kindchenschema der Figurenzeichnung erinnert deutlich an die Manga-Tradition. Er experimentiert hier zudem gekonnt mit unterschiedlich groben Rastern, die vor allem in der verrauchten Stadt die Atmosphäre suggestiv verdüstern. Sogar bei der Papierwahl hat man darauf Rücksicht genommen: die grobfaserigholzige Struktur passt gut zu den schlechten Sichtverhältnissen, unterstützt noch das urbane Grauen. Man sieht diesem wohldurchdachten Buch an, dass vieles am Bildschirm entstanden ist. Aber eben nicht alles. „Auf dem Papier mache ich Konzept, Storyboard und schließlich die Tuschezeichnung, also schon den Hauptteil der Arbeit. Auch die Raster hätte ich natürlich auf dem Papier einsetzen können, das hätte sicher auch mehr Spaß gebracht. Allerdings hat die Arbeit mit dem Computer natürlich den Vorteil, dass man vieles ausprobieren und wieder verwerfen kann, zumal wenn man an einem Projekt arbeitet, das man in diesem Umfang vorher noch nie bewältigt hat. Grundsätzlich ist meine Arbeitsweise eher ein trial-and-error-Verfahren, deshalb ist der Rechner schon eine große Erleichterung.“