Ballern @ Hisbollah
Auge um Auge, Game um Game: Pro-arabische Computer- Spiele lassen sich von westlichen Vorbildern inspirieren
Die Uzis knattern, Handgranaten krachen, die israelischen Soldaten hinter den Barrikaden ihres Militärpostens sterben mit einem tiefen ,Ahhhh“. Und das Punktekonto schnellt in die Höhe. Der Weg ist frei für das nächste Level im Kampf gegen die zionistischen Besetzer Palästinas. „Under Siege“ heißt ein neues Computerspiel, das den „Befreiungskampf des palästinensischen Volkes“ zum unterhaltsamen Thema macht. Produziert wurde es von der Softwarefirma Afkar Media in Damaskus, die schon 2001 „Under Ashes“ herausgebracht hatte: Die Geschichte vom Intifada-Jungen Ahmed, 500 000 Mal von der Firmen-Webseite heruntergeladen, wurde im Mittleren Osten ein Selbstläufer.
Wie „Under Ashes“ basiert auch „Under Siege“ auf realen Gegebenheiten. Die Eröffnungssequenz handelt vom Attentat des aus New York stammenden hebräischen Arztes Baruch Goldstein. Der radikale Jude tötete 1994 in der Moschee von Jericho 27 palästinensische Gläubige beim Gebet und verletzte über 100 andere. Die „Under Siege“-Spieler bekommen nun Gelegenheit, dieses Ereignis ungeschehen zu machen. Es gilt, Baruch Goldstein möglichst schnell und genau abzuschießen.
„Wir versuchen“, sagt Radwan Kasmiya, der Manager von Afkar Media, „eine neue Art von digitaler Würde zu liefern.“ „Under Siege“ sei keine Antwort auf die Bestseller aus den USA wie „Delta Force“ oder „America’s Army“, die meist nur arabische Stereotypen bedienen. „Unser Spiel ist keines über das Töten. Wir erzählen eine Geschichte“, so Kasmiya, der bereits als 13jähriger mit dem Programmieren anfing.
Beide Plots handeln von Jugendlichen, die mit Steinschleudern gegen Panzer vorgehen und Tränengasbomben zurückwerfen, sowie von erwachsenen Männern, die mit MGs das israelische Militär bekämpfen. In „Under Ashes“ gibt es auch die Episode einer Selbstmordattentäterin, die in Israel heftig kritisiert wurde: Eine junge Frau liefert ihre Kinder bei Verwandten ab, bevor sie eine Granate inmitten israelischer Soldaten zündet, die zuvor ihren Mann erschossen hatten.
Angesichts des momentanen Tauwetters hinkt das Softwarehaus aus Damaskus möglicherweise den aktuellen politischen Ereignissen hinterher. Seit Mahmud Abbas Yassir Arafat als Präsident abgelöst hat, befürworten nur noch 29 Prozent der Menschen „Selbstmordunternehmen“. Vor sechs Monaten noch hatten 77 Prozent der palästinensischen Bevölkerung für derartige Aktionen votiert. Der Markt für arabische „Wargames“ wird trotzdem wachsen. Anfang letzen Jahres erschien „Special Force“, entwickelt von der Computer- und Internetabteilung der Hisbollah, die seitdem auch regelmäßig Updates liefert. Ebenso wie die Produkte aus Damaskus basiert auch das Kriegsspiel der „Partei Gottes“ auf realen Begebenheiten. Es ist als digitales Denkmal gedacht, das an die Vertreibung der israelischen Besatzungsmacht aus dem Südlibanon im Jahr 2000 erinnert. Die libanesische Widerstandsbewegung versucht mit „Special Force“ eine mediale Lücke schließen: Was Al-Dschasira oder Al Arabyia im Nachrichtengeschäft, möchte man im Computer-Entertainment werden: eine arabische Gegenöffentlichkeit zur prowestlichen Dominanz. „Special Force“ ist nur der erste Schritt. Mit der Zeit wird die Bewegung immer größer“, prophezeit Bilal Zeyn vom Internet-Büro der Hisbollah.
„Was man in den meisten amerikanischen Spielen geboten bekommt“, erklärt er weiter, „ist eine Demütigung für islamische und arabische Länder.“ Arabische Soldaten und Zivilisten taugten gewöhnlich nur als terroristisches Kanonenfutter, und der Held, der sie tötet, sei in der Regel Amerikaner. „In ‚Special Force‘ sind Araber nicht Terroristen, sondern Freiheitskämpfer“.
Das Hisbollah-Spiel wurde inzwischen über 20 000 Mal verkauft, hauptsächlich nach Syrien, Iran, Kuwait und in die Vereinigten Emirate. Verständlicherweise regte sich in der westlichen Welt der stärkste Protest. In England etwa wurde das Spiel von jüdischen Organisationen aufs Schärfste verurteilt. Was allerdings die „Unmenschlichkeit“ und „Blutrünstigkeit“ von „Under Siege“ und „Special Force“ betrifft, liegen beide weit hinter den kommerziell so erfolgreichen Spielen aus den USA und Israel. Knapp 1,5 Millionen Menschen sind für „America’s Armv“ registriert, das auf der Webseite der US-Armee zu finden ist. Es gilt, Terroristen im Irak und Afghanistan zu vernichten, wobei keine Rücksicht auf Kollateralschäden genommen wird. „Als Soldat der US-Armee stehst du in vorderster Front im Kampf gegen den Terrorismus. Mit Apache- und Huey-Hubschrauber. Hummer, schweren Maschinengewehren und Rocketlaunchern wirst du bekannte Terroristen unschädlich machen. Eine herzklopfende Mission, unsere Heimat zu verteidigen.“
Bei den pro-arabischen Spielen mag es nicht minder propagandistisch zugehen, dafür werden aber Zivilisten nicht ohne Not geopfert. Bei dem „palästinensischen Befreiungskampf von „Under Ashes“ und „Under Siege“ gibt es Punkteabzug oder heißt es gar „Game Over“, wenn nur ein Zivilist getötet wird. Beim Hisbollah-Spiel „Special Force“ gibt es überhaupt keine Zivilisten, die in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Bei „Israeli Airforce“ hingegen kann man während der Invasion des Libanons gerne auch mal die Option „Carpet bombing over Beirut“ wählen.
Vielleicht liegt es ja an der allzu offensichtlichen politischen Indoktrinierung, daß sich die Kids in Beirut oder in den libanesischen Flüchtlingslagern bislang nur wenig für die Produktionen aus dem arabischem Raum zu begeistern scheinen. „Die meisten kennen die Spiele gar nicht“, sagt ein Student, der als Internet-Supervisor im Beiruter „Starcafe“ arbeitet. „Alle Spiele bleiben ohnehin nur über einen kurzen Zeitraum interessant. Dann „werden neue Reize gesucht.“
In der Computer-Abteilung der Hisbollah will man diese Reize bald liefern: Man arbeitet an einem neuen „Widerstandsspiel“. „Es wird wesentlich ausgefeilter ausfallen, mit Hubschraubern und vielen neuen Missionen“, erzählt Bilal Zeyn, der Leiter des Internetbüros. Mehr Informationen könne er aber wirklich nicht geben, sagt er geheimnisvoll – und lächelt fast so undurchschaubar wie der überlebensgroße Ajatollah Khomeini hinter ihm an der Wand.