Ballerlebnis der Extraklasse
Es ist nun ungefähr zehn Jahre her, da hielt an einem lauen Sommerabend vordem Hamburger „Golden Pudel Club“ ein Taxi. Auf der Hafentreppe und an den wackeligen Biertischen saß die übliche Mischung aus Taugenichtsen, Werbern, Musikern und Langzeitstudenten, die gelangweilt dabei zusahen, wie der stadtbekannte Rocko Schamoni aus dem Wagen stieg. Der Entertainer und Mitbetreiber des „Pudels“ war nicht allein gekommen – und das wollte er offenbar allen zeigen: Mit großer, ritterlicher Geste warf er sein Jackett in den Staub und öffnete die Tür des Taxis, wie das nur ein echter Bonvivant und Kavalier alter Schule beherrscht. Zögerlich kam ein schlankes Bein zum Vorschein, ein Fuß tastete sich zur Jacke – und charmant lächelnd entstieg eine unbekannte Schöne dem Wagen. Zehn Stilpunkte!
Wundert sich da wirklich jemand, dass Rocko Schamoni seinen autobiografischen Roman „Dorfpunks“ Ende April als Theaterstück neu aufrollt? Natürlich nicht an irgendeiner Bühne, sondern gleich am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, dort, wo bereits Heinz Strunks „Phoenix – wem gehört das Licht?“ Premiere feierte. „Die Ästhetik dessen, was man heute Punk nennt, interessiert mich natürlich überhaupt nicht“, behauptet der interdisziplinäre Tausendsassa gekonnt blasiert. „Als kunsthistorischer Abschnitt in der Geschichte ist das Phänomen für mich aber nach wie vor interessant. Das hatte ja alles viel tiefere Quellen, als man mit 18 auf dem Land erahnen konnte.“
Doch keine Angst, der endlosen Punk-Retrospektive, die seit Jürgen Teipels „Verschwende Deine Jugend“ das Land heimsucht, wird hier kein weiteres Kapitel hinzugefügt. Schamonis Alter Ego war ja bereits im Buch Mofafahrer und Töpferlehrling, also das genaue Gegenteil von eitlen Lederjacken wie Ben Becker. Und der echte King Rocko sang irgendwann lieber mit Michael Holm „Mendocino“, als sich weiter im grölenden Stumpfsinn der Pogo-Fraktion zu suhlen.
„Für mich ist das Thema schon deswegen absolviert, weil ich ,Dorfpunks 1 an die 120-mal live gelesen habe und meine eigene Geschichte so wahnsinnig oft wiedergekäut habe, dass sie mir schon zu den Ohren raushängt. Deswegen ist das Theaterstück für mich eine willkommene Chance, alles komplett anders aufzuzäumen.“ Wie schon bei „Phoenix – wem gehört das Licht“, der „Operettenfassung“ von „Fleisch ist mein Gemüse“, handelt es sich auch hier wieder um eine gemeinsame Produktion von Studio Braun: Jacques Palminger, Heinz Strunk und Rocko Schamoni haben sich angeblich über Monate jeden Tag zwischen elf und 16 Uhr um einen runden Tisch versammelt: „Wir haben dabei einen riesigen Bücherstapel durchgearbeitet: Geschichte des Anarchismus, verschiedene Revolutionen, Kunsthistorie und so weiter. Wir vermengen das alles mit lustigen Ideen, irren Kostümen und tollen Schauspielern.“
Rocko Schamoni (alias Tobias Albrecht) war schon immer ein begnadeter Verkäufer seiner eigenen Kunst. In den ganz alten Zeiten unterstrich er die Wirkung seiner Musik gerne mit von der Bar geklauten Freigetränken, die er im Publikum verteilte. Heute dagegen tragen seine Lieder philosophische Titel wie „Leben heißt sterben lernen“, und auch das Thema von „Dorfpunks“ wurde fürs Schauspielhaus erweitert: „Es geht um Aufbruch und Tristesse auf dem Land, um Gefangensein und Befreiung!“ Dann macht er eine kleine rhetorische Pause und fährt mit dramatischer Rebellen-Stimme fort: „Und das war 1966 schon genauso beschissen wie 1976.“
Eine Pressemitteilung des Deutschen Schauspielhauses verspricht dem hanseatischen Theaterfreund bereits jetzt: „Sinnlich choreographierte Prügelorgien und dörflich-dialektischer Wortwitz garantieren ein bourgeoises Ballerlebnis der Extraklasse.“ Die Kulisse dafür ist eine Miniaturausgabe der Heimatstadt des Autors: „Ich freue mich wahnsinnig, dass die komplette Stadt Lütjenburg auf die Drehbühne passt“, sagt Schamoni, als befände er sich in einem Telefonsketch von Studio Braun. „Auch die vielen Lütjenburger, die sicherlich kommen, werden sich auf freudvolle Art dort wiederfinden.“ In der Inszenierung spielen sich Jana Schulz, Felix Kramer, Hagen Oeschel und weitere Mitglieder des Schauspielhaus-Ensembles durch einzelne Episoden und Themen des Romans: Sexualität in der Provinz, Gewalt unter jungen Männern – die heißen Eisen unserer Gesellschaft. Unterstützt werden sie dabei von Musikern wie Rica Blunck, Erobique und Mathias „Tex“ Strzoda. Jens Rachut, dem Genius hinter den Bands Oma Hans, Blumen am Arsch der Hölle und Kommando Sonnenmilch, wurde ebenfalls eine wichtige Rolle zugedacht. Studio Braun sind dagegen nur in kleinen Nebenrollen zu sehen, als Dorf polizisten (Schamoni und Palminger) und Rockos Mutter (Heinz Strunk).
Am 30. April haben die „Dorfpunks“ im Deutschen Schauspielhaus zu Hamburg Premiere. Ob man das Ergebnis nun Revue, Operette oder gar Oper nennen wird, stand bei Redaktionsschluss noch nicht endgültig fest.