Festivalbericht

Balkan:Most: Wie man Musik aus Südosteuropa aus der Klischee-Falle befreit

Das Festival am Balaton wirft einen Blick auf neue Weltmusik. Über 30 Bands „beyond stereotypes“ waren mit dabei. Einer der Höhepunkte war ein Akustikset von Manu Chao.

Es ist gut 20 Jahre her, seit der Frankfurter DJ und Produzent Stefan Hantel, alias DJ Shantel („Disco Partizani“) die traditionelle Volksmusik der rumänisch-ukrainischen Region Bukowina in ein Club- und Partyformat überführt hat. Die Reihe lief in vielen westeuropäischen Städten so gut, dass Hantel zur „Balkan-Beats“-Plattenauswahl auch echte Bukowina-Bands einladen konnte. Zumeist kleine Orchester, die aus älteren Herren in schwarzen Hemden bestanden. Mit Gitarren und Trompeten machten sie mächtig Dampf. Von kultureller Aneignung redete damals niemand. Warum auch? Zumeist tanzte der ganze Saal.

Nun hat ein großes Projekt, ermöglicht vom EU-Förderprogramm „Creative Europe“, den Shantel-Faden von damals aufgegriffen.

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In einer Allianz mit den „World“-Experten von der WOMEX und der Budapester Musikfirma Hengveto, die sich ebenfalls seit langem mit dem Sujet beschäftigt, entstand das Festival Balkan:Most in Veszprem am Balaton. Ihres Zeichens Europäische Kulturhauptstadt 2023 (neben Elefsina in Griechenland und Timisoara in Rumänien).

„Most“ heißt in vielen slawischen Sprachen Brücke. Bei Balkan:Most wird eine musikalische Brücke in die großen Musik- und Festivalmärkte für Bands und Künstler gebaut, die aus südosteuropäischen Ländern kommen oder stammen.

Dabei ist der Sound längst weit gefächert. Geht es bei „Most“ doch um ein Programm jenseits der üblichen Stereotypen einer „Jugo-Hochzeitmusik“.

Dubioza Kolektiv

Crossover-Möglichkeiten

Die Wurzeln mögen jenseits von Rock oder Pop angloamerikanischer Prägung liegen, doch genau wie bei Latin Music ist ein Crossover jederzeit möglich. Hier sind Weltstars wie Jennifer „J.Lo“ Lopez oder Shakira lange gänzlich im Pop angekommen. Das Ethno-Crossover der Israelin Ofra Haza im HipHop-Remix des DJ-Teams Coldcut aus UK passierte Ende der 1980er.

2023 unterstreicht der umjubelte Open-Air-Auftritt von Manu Chao (als Stargast mit Akustik-Set) an der Kathedrale von Veszprem mit Nachdruck, was alles möglich ist. Unterstützt vom argentinischen Gitarristen Luciano Eduardo Falic und seinem langjährigen Musikpartner, dem Perkussionisten Philippe Teboul, war es ein Grande Finale im entspannten Pop-Parcours in der barocken Altstadt.

„Wir leben zwar in Italien, haben aber Albanien im Herzen“ sagt von der Bühne die Sängerin des Elektronik-Duos Shkodra Elektronike im imposanten Fledermaus-Outfit. Kein Çiftelia-Folk, sondern Darkwave-Elektro-Entwürfe mit spezieller Färbung. Mehr Ofra Haza als Trompeten- oder Akkordeon-Attacken.

Shkodra Elektronike
Shkodra Elektronike

Das Barcelona Gipsy Balkan Orchester wiederum ist etwa in der katalanischen Metropole beheimatet, ihre Mitglieder stammen jedoch aus diversen Regionen Ex-Jugoslawiens. Der Rockabilly-Standbassist, der auch bei den Stray Cats spielen könnte, ist ein kosmopolitischer Serbe. Die vielköpfige Band Le Caravane Passe hat ihren Standort In Frankreich. Eine schäumende Melange aus Jazz, Gypsy Sound und HipHop. Und das heftig umjubelte Dubioza Koletiv aus Bosnien, das in Veszprem viele Fans im punkigen T-Shirt-Merch anzieht, vereint auf verschiedenen Social Media-Kanälen über 600.000 Follower. Vielfältige Migration hat den Balkan-Sound über (europäische) Ländergrenzen hinweggeführt.

Freier Eintritt dank EU-Unterstützung

Avantgarde folkloristisch wiederum das rhythmus-lastige Programm eines weiteren Duos: Alice in Wonderbrand aus Novi Sad in Serbien. Subsonische Tönen und expressiver Gesang. Das Festival in Veszprem ist gleichermaßen Bilanz und krönender Abschluss eines auf vier Jahre angelegten Projektes. Zwei Millionen Euro kamen aus den EU-Fördertöpfen. Die gleiche Summe brachte das Konsortium mit Unterstützung ihrer Kulturhauptstadt-Partner auf. So wurde (abgesehen von Manu Chao) ein durchgehend freier Eintritt ermöglicht, was für eine rundherum relaxte Stimmung sorgte.

Aufgrund der vielen Gespräche mit Bookern und Festivalmachern aus ganz Europa, die am Rande des Festivals in begleitenden Konferenzen stattfanden, ist davon auszugehen, dass viele der BALKAN:MOST-Bands und -Künstlerinnen recht bald auch in Ihrer Stadt zu sehen und hören sind.

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